„Im konservativen Frauenbild Österreichs werden die Frauen immer noch als ‚Dazu‘-Verdienerinnen gesehen.“

Die Gleichstellung von Frauen privat wie im Beruf ist für die langjährige Gewerkschafterin Dwora Stein ein großes Anliegen. Als Aufsichtsratsvorsitzende des Jüdischen Museum Wien freut sie sich auf die Zusammenarbeit mit der neuen Direktorin. Ebenso bereitet ihr das Engagement im Maimonides-Zentrum und bei ESRA große Freude.

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Dwora Stein sieht in der MaxBerger-Judaica-Sammlung des Jüdischen Museums eine besondere Möglichkeit, jüdische Geschichte zu erzählen. © Reinhard Engel

WINA: Sie sind seit 2014 Aufsichtsratsvorsitzende des Jüdischen Museums Wien (JMW) und haben dieses Mandat der Stadt Wien übernommen, als Sie noch berufstätig waren, nämlich als Bundesgeschäftsführerin der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA). In dieser größten Einzelgewerkschaft innerhalb des ÖGB waren Sie für internes Management, insbesondere für Finanzen und Personalführung verantwortlich. Was hat Sie motiviert, diese zusätzliche Bürde im Jüdischen Museum zu übernehmen?
Dwora Stein: Es war und ist keine Bürde, sondern eine pure Freude. Dieses Jüdische Museum war immer schon ein besonders wichtiger Ort für mich. Ich kann mich an großartige Ausstellungen erinnern, z. B. an die Eröffnungsausstellung Hier hat Teitelbaum gewohnt oder jene über die Türkisch-Jüdische Gemeinde in Wien sowie die Ausstellung Prima la Musica über jüdische Musiker. Als dann das Angebot kam, den Vorsitz des Aufsichtsrates zu übernehmen, habe ich mich unglaublich gefreut. Mein erster Gedanke war, da schließt sich wieder ein Kreis. Ich bekomme jetzt eine Chance, meine berufliche Erfahrung – auch aus anderen Aufsichtsräten – diesem wichtigen Museum zur Verfügung zu stellen.

Welchen Kreis meinen Sie?
I Der Kreis hat sich insofern geschlossen, als ich in meiner bisherigen Tätigkeit in der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer beruflich wenig mit jüdischen Themen zu tun hatte. Erst durch die Funktion im Aufsichtsrat bin ich damit wieder stark in Berührung gekommen, das hat mir sehr viel bedeutet. Daher habe ich mit großer Freude zugesagt.

Derzeit arbeitet sich ein neues Führungsteam im Museum ein. Sie begleiten die Entwicklung dieses Hauses seit nunmehr acht Jahren. Was erwarten oder erhoffen Sie sich von dieser Veränderung?
I Ich freue mich sehr auf die Arbeit mit Frau Dr. Staudinger, die seit 1. Juli im Amt ist. Was erwarte ich mir? Das Jüdische Museum verfügt über eine einzigartige Sammlung, und diese wieder stärker sichtbar zu machen, ist notwendig und auch in Planung.

Welche Sammlungen meinen Sie?
I Die Max-Berger-Judaica-Sammlung des Jüdischen Museums ist eine der weltweit bedeutendsten. Diese der Öffentlichkeit besser zu präsentieren, ist eine große Aufgabe – umso mehr, als sich die Sammlung hervorragend eignet, anhand von Objekten jüdische Geschichte zu erzählen. Zweitens ist es wichtig, jüdisches Leben hier und heute darzustellen und wichtige gesellschaftliche Fragen aus jüdischer Perspektive zu diskutieren, z. B. wie lebt eine Minderheit in einer Mehrheitsgesellschaft, wie geht man mit Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit um. Das sind alles Themen, die auch in einem jüdischen Museum in den Vordergrund gerückt werden sollten.

 

         „die Gemeinde hat sich vorbildlich bei der Betreuung    
  der Geflüchteten aus der Ukraine engagiert. Ich freue mich, dass    
        ich auch dieses humanitäre Projekt unterstützen konnte.“    
    Dwora Stein  

 

Würde das auch mehr Besucherinnen und Besucher ins Museum locken?
I Da kommen wir zu meinem dritten Anliegen, das ist die Digitalisierung. Das sinnliche Erlebnis kann durch nichts ersetzt werden, aber trotzdem muss ein Museum im virtuellen Raum präsent sein. Doch lediglich ein virtueller Rundgang reicht nicht, da muss es eigene Formate geben, die besser geeignet sind. Darüber hinaus ist es genauso wichtig, dass sich das Museum auch in die Stadt hinein öffnet, also im öffentlichen Raum präsent ist.

In welcher Form könnte das geschehen?
I Zum Beispiel, indem Veranstaltungen außerhalb der Räumlichkeiten im Palais Eskeles oder am Judenplatz stattfinden. Es muss ja nicht alles nur in Gebäuden gezeigt werden. Das Wien Museum hat während des Umbaus sogar Ausstellung rund um die Baustelle organisiert. Ich bin sicher, dass Barbara Staudinger viele Ideen hat, wie man Menschen in die Ausstellungen bringen kann, aber auch die Expositionen und Veranstaltungen zu den Menschen.

Sie könnten sich derzeit nur Ihren großen Vorlieben, wie dem Besuch von Musik- und Sprechtheater, dem Reisen, dem Lesen von Literatur und Zeitgeschichte widmen. Trotzdem haben Sie die Initiative ergriffen und sich zur freiwilligen und unentgeltlichen Mitarbeit in Ihren Fachgebieten der jüdischen Gemeinde angeboten – und bereits etliche kleinere Beratungsaufgaben erfüllt. Seit März 2022 sind Sie auch Vorstandsmitglied bei ESRA. Warum machen Sie das?
I Nach mehr als 40 Jahren durchaus anstrengender Berufstätigkeit wollte ich mich regenerieren und auf Bereiche konzentrieren, die zu kurz gekommen waren. Dazu gehörte sowohl reisen wie auch Kultur genießen. Die Familie und meine Freundschaften spielten immer schon eine wichtige Rolle, doch meine Freizeit war knapp bemessen. Nach einer gewissen Zeit hatte ich den Wunsch, meine beruflichen Erfahrungen doch nicht ganz brach liegen zu lassen, sondern sie in eine Institution einzubringen, die mir persönlich wichtig ist – und das ist die IKG. Ich habe durch meine Mutter das Maimonides Zentrum (MZ) kennen und schätzen gelernt, deshalb wollte ich da etwas beitragen. Als ich meine Mitarbeit angeboten habe, wurde ich gebeten, mich an der Weiterentwicklung der Gesundheitseinrichtungen der IKG, Maimonides Zentrum und ESRA, zu beteiligen. In beiden Einrichtungen wird von engagierten und professionellen Menschen großartige Arbeit geleistet, aber es geht auch um die Zukunft. Die Zusammensetzung der Gemeinde ändert sich, die Bedürfnisse der Menschen verändern sich, wir wissen gar nicht, welche Erwartungen die Gemeindemitglieder an das MZ und an ESRA haben. Die neue Führung bei ESRA wird auch einiges in Bewegung setzen – das alles ein Stück beratend zu begleiten, mache ich sehr gerne, weil ich glaube, mit meiner Organisations- Führungs- und Managementerfahrung etwas bewirken zu können. Außerdem habe ich zusätzlich den Blick von außen und nicht nur die Innensicht.

Nicht wenige Gemeindemitglieder kennen Sie unter Ihrem Mädchennamen Tessler. Sie haben zwei Schwestern, die beide in Jerusalem leben. Woher stammen Ihre Eltern?
I Mein Vater stammt aus dem ungarisch-rumänischem Grenzgebiet, durch sein Geburtsjahr, 1908, war er eigentlich ein Altösterreicher. Meine Mutter, Jahrgang 1921, wurde schon in Wien geboren.

 

  „Es gibt viele Arten, jüdisch zu sein.
Das hat sich auch in unserer Familie gezeigt.“
Dwora Stein

 

Wie und wo haben Ihre Eltern die Shoah überlebt?
I Mein Vater hat darüber immer geschwiegen. Meine Mutter konnte mit ihrer Schwester und den Großeltern 1942 nach Ungarn fliehen, dort haben sie als U-Boote überlebt. In Budapest haben sich meine Eltern kennengelernt und auch dort geheiratet. 1948 konnten sie mit falschen Papieren und Fluchthelfern nach Wien flüchten. Als ich von meinem Vater wissen wollte, warum sie schon 1948 zurückkamen und nicht wie viele andere erst 1956, sagte er kurz und knapp: „Weil ich nicht wollte, dass meine Kinder im Kommunismus aufwachsen.“

Wie würden Sie Ihre jüdische Kindheit, den Stellenwert der Religion in der Familie definieren?
I Es gibt viele Arten, jüdisch zu sein. Das hat sich auch in unserer Familie gezeigt: Mein Vater war ein gläubiger Jude, meine Mutter hingegen gar nicht religiös. Das Ergebnis war aber, dass wir Schwestern uns sehr unterschiedlich entwickelt haben: Ich bin nicht religiös, meine Schwester Edith auch nicht, aber unsere jüngste Schwester Sylvia ist es sehr wohl.

Das heißt, die Eltern ließen den Kindern völlige Freiheit?
I Ja, nur die sogenannte Freiheit hinterlässt auch eine gewisse Orientierungslosigkeit. So mussten wir alle unseren Weg finden, und dieser gestaltete sich sehr unterschiedlich. Ich bin in Wien geblieben, habe mich hier etabliert. Meine Schwester Edith hat sich sehr früh für die Alija entschieden und wurde klinische Psychologin in Jerusalem. Unsere jüngste Schwester wiederum hat in Wien studiert und hier ihren israelischen Mann kennengelernt, mit dem sie nach Israel ging. Das ist sehr typisch für jüdische Familien.

Als Vizepräsidentin der Arbeiterkammer Wien und durch die langjährige Tätigkeit im Berufsförderungsinstitut haben Sie konsequent für die Besserstellung von Frauen im Privat- und Berufsleben gekämpft. Was konnte erreicht werden, was gibt es noch zu tun?
I Frauen sind im öffentlichen Leben, in der Politik wesentlich präsenter als noch vor einigen Jahren, was sicher ein großer Fortschritt ist. Sobald ich in einer Führungsposition war, habe ich dafür gesorgt, dass auch andere Frauen eine Chance bekommen Verantwortung zu übernehmen – und das ist mir auch gelungen. Tatsache ist aber, dass Frauen immer noch wesentlich weniger verdienen als Männer.

Aber weshalb ist und bleibt das so?
I Wenn Teilzeit gearbeitet wird, sind es meistens die Frauen. Dadurch werden sie nicht nur in der Karriere gebremst, sondern bekommen auch nur ein Teilzeitentgelt. Im konservativen Frauenbild Österreichs werden die Frauen immer noch als „Dazu“-Verdienerinnen gesehen. Und wenn sich an der Pflegesituation nichts ändert, wird das zukünftig auch auf dem Rücken der Familien, sprich Frauen, ausgetragen. Ich fürchte, da droht ein großer Rückschritt.

Gibt es noch Bereiche im jüdischen Gemeindeleben, die Sie zur weiteren Mitarbeit reizen würden?
I Das Vorhaben bei der Weiterentwicklung der Gesundheitseinrichtungen der IKG einen Beitrag zu leisten, ist schon sehr fordernd und umfangreich. Der Plan, sich auf die Zukunft des Maimonides Zentrums und von ESRA zu fokussieren, auch auf mögliche engere Kooperationen, musste in den letzten Monaten aufgeschoben werden, weil sich die Gemeinde vorbildlich bei der Betreuung der Geflüchteten aus der Ukraine engagiert hat. Ich freue mich, dass ich auch dieses humanitäre Projekt unterstützen konnte.

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