Im Kontor und im Salon

Eine Sammelbiografie widmet sich den Frauen der Banken- und Unternehmerdynastie Rothschild – mit Schwerpunkt auf die englische Linie.

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Natalie Livingstone: Die Frauen der Rothschilds. Das unterschätze Geschlecht der mächtigsten Dynastie der Welt. Quadriga 2022, 560 S., € 26

Blanche Lady Lindsay war mit der Gemäldegalerie in der Royal Academy nicht zufrieden, also gründete sie eine eigene, im Burlington House. Und auch ihre extravaganten Dinner-Partys und eleganten Sonntagssalons hatten in der Londoner Society ihren festen Platz. Da kamen der Prince of Wales und diverse Prinzessinnen, von den Künstlern und Schriftstellern etwa James McNeill Whistler, Oscar Wilde, George Eliot oder Henry James. Blanche war von ihrer Herkunft eine echte Rothschild, eine Tochter von Hannah Meyer und Henry FitzRoy, Enkelin von Hannah und Nathan de Rothschild.

Jungfräulich, aber nicht naiv. Die Anfänge der Rothschilds – und ihrer Frauen – hatten freilich deutlich einfacher ausgesehen. 1744 wurde im Frankfurter Judenviertel Mayer Amschel Rothschild geboren, der als geschäftstüchtiger Gründervater der Dynastie gilt und als Münzhändler die Basis für den späteren sagenhaften Reichtum der Familie legte. Geholfen hat damals auch die erhebliche Mitgift, die seine Schwiegereltern ihrer Gutle mitgaben: „2.400 Gulden stellten eine wichtige Kapitalspritze für Mayer Amschels Unternehmen dar“, schreibt die englische Journalistin Natalie Livingstone in ihrem Buch Die Frauen der Rothschilds, „zumal er sich nicht mehr nur auf Münzen beschränkte, sondern sein Geschäft auf Antiquitäten und Textilien ausdehnte. Auch sollte es nicht mehr lange dauern, bis er sich auf ein weiteres Geschäftsfeld spezialisierte: Banken.“

Im Haus zum Grünen Schild, in dem die Rothschilds lebten und wo Mayer Amschel Handel und Geldgeschäfte abwickelte, hatten auch die Frauen ihre Aufgabe. Laut Livingstone war Gutle „eine gnadenlose Buchhalterin“. Und auch die Töchter wurden damit beschäftigt, Einnahmen und Ausgaben zu verbuchen, gegenüber allzu neugierigen Behörden bei Kontrollen nur das Notwendigste zu sagen. Sie erhielten allerdings schon eine etwas besser Bildung als damals für Mädchen üblich war, zu ihren Privatlehrern zählte etwa der berühmte Philosoph Moses Mendelsohn.

Er hatte festgelegt, dass die Unternehmensanteile nur
von Vater zu Sohn weitergegeben werden durften.

Unter der Kapitelüberschrift Die Erfindung der Familie berichtet Livingstone von der Internationalisierung der Rothschilds nach England, Frankreich, Österreich und Italien, von geschäftlichen Erfolgen mit Textilien und Kriegsfinanzierung, vom Beginn einer Heiratspolitik, die jener alter adeliger Familien um nichts nachstand. Dabei sollten Geld und Einfluss auch über die Generationen kontrolliert und erhalten werden, indem einander vor allem Cousins und Cousinen ehelichten: „Von einundzwanzig Rothschild-Hochzeiten zwischen 1824 und 1877 fanden fünfzehn zwischen direkten Nachkommen von Gutle und Mayer Amschel statt.“

Dabei waren freilich die gesellschaftlichen und sexuellen Möglichkeiten äußerst ungleich verteilt. Während die jungen Männer sich ihre Hörner abstoßen durften, vor ihrer Ehe zahllose Liebschaften hatten, wurden die Mädchen früh und jungfräulich verheiratet – weniger nach ihren emotionalen Bedürfnissen denn nach ökonomischen Überlegungen. So schreibt Livingstone über unglückliche junge Damen auf der Suche nach Freundinnen – auch innerhalb der Familie –, auf der Suche nach sinnvollen Betätigungen als Salonnièren mit Abenden mit bis zu 300 Gästen, als Kunstsammlerinnen und Wohltäterinnen. Vom Geschäft hatte sie ein harsches Testament von Meyer Amschel auf alle Zeiten fern gehalten: Er hatte festgelegt, dass die Unternehmensanteile nur von Vater zu Sohn weitergegeben werden durften.

Den gesellschaftlichen Aufstieg in die höchsten Kreise schafften die Rothschilds trotz antisemitischer Grundhaltung an sämtlichen Standorten ihrer Banken. Geholfen hat dabei die Nobilitierung aller fünf Brüder durch den österreichischen Kaiser Franz I. Das öffnete auch in anderen Ländern Türen zur Politik und Staatsfinanzierung. Livingstone beschreibt Generationen von Rothschild-Frauen, legt ihren Schwerpunkt allerdings auf die englische Linie. Österreich kommt kaum vor, so hört man während des Zweiten Weltkriegs lediglich von fernem Geschützdonner. Die Gestapo-Haft von Louis Nathaniel von Rothschild und die „Arisierung“ seiner Besitztümer finden sich nicht im Buch, auch nicht die Frau, die er 1946 in der Emigration geheiratet hat, Hildegard Johanna von Auersperg.

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