Im Zentrum aller Peripherien

Wenn Hanno Löwy Ende März 2026 als Direktor des Jüdischen Museums Hohenems in den Ruhestand geht, so geht er nicht weit weg. Gemeinsam mit seiner Frau hat sich der 64-Jährige im Nachbarhaus angekauft und behält so seine Wirkungsstätte, die er seit über 20 Jahren leitet, ganz konkret im Blick. In Lauf seiner Ära hat sich die kleine Vorarlberger Stadt weit im Westen Österreichs zu einem kulturellen Zentrum entwickelt. Weit von wo, könnte man, von Wien kommend, fragen.

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Hanno Löwy im Jüdischen Museum in Hohenems: „Die jüdische Gemeinde hier besteht im Moment nur aus mir.“ © Wikimedia/ Asurnipal

Im Garten der Villa Heimann-Rosenthal, dem stimmungsvollen und sinnfälligen Sitz des Jüdischen Museums Hohenems, trifft sich sein Wiener Freundeskreis bei Kaffee und Kuchen. Wenige Schritte entfernt ist in einer anderen Villa Rosenthal nach einer gelungenen Restaurierung im April 2025 das Literaturhaus Vorarlberg eröffnet worden. Das jetzt wiederum in reinstem Historismus erstrahlende herrschaftliche Palais will, so die engagierte Direktorin Frauke Kühn, ein offenes und keineswegs museales Haus sein. Dokumentarische Spuren der einstigen jüdischen Besitzer Franziska und Iwan Rosenthal finden sich kaum, ob der prächtige Gartensalon wirklich für große Empfänge genutzt wurde, weiß man nicht, jedenfalls hat die Nichte des kinderlos verstorbenen Paares die Immobilie 1938 an einen lokalen Zahntechniker sicherlich weit unter Wert verkauft und nach dem Krieg keine Restituierung angestrebt. Von dessen Sohn, einem Zahnarzt, hat ein Investoren-Trio die ausgedehnte Liegenschaft erworben und entwickelt, Wohnhäuser und das neue Rathaus finden nun im Park der Villa Platz.

Zwischen beiden Villen beherbergt die heute als Kulturhaus genutzte ehemaligen Synagoge den Salomon-Sulzer-Saal, war doch der berühmte Kantor und Freund Schuberts ein Sohn dieser einstmals blühenden jüdischen Gemeinde. Gräber am Jüdischen Friedhof künden noch heute von den erfolgreichen europaweit vernetzten Hohenemser Juden.

Der einzig lebende Jude von Hohenems ist heute der aus Frankfurt stammende Hanno Löwy, 2009 vom FPÖ-Politiker und heute amtierenden Bürgermeister Dieter Egger als „Exil-Jude aus Amerika“ antisemitisch verunglimpft. Diese Wogen haben sich offensichtlich geglättet. „Egger macht seinen Job gut, und das ist auch fürs Museum gut“, meint Löwy heute.

Sein Start 2004 hätte gar nicht besser sein können, meint er rückblickend, doch habe es eine hohe Erwartungshaltung gegeben. Ihr gerecht zu werden, erforderte viele Unterstützer, also Stadt, Land, Stiftung und Vereine, und diese aufzustellen sei „eine mühsame, aber spannende Aufgabe“ gewesen, der die geografische Lage des Ortes zupass kam.

„Das Museum liegt im Zentrum aller Peripherien, am Rand von Österreich, am Rand von Deutschland und am Rand der Schweiz, gleichzeitig aber in der Mitte des deutschsprachigen Raums. Aus diesem Potenzial kann man viele Ressourcen von Unabhängigkeit beziehen“, führt Löwy aus.

Grenzüberschreitungen Als das Haus 1991 eröffnet wurde, gab es – auch im Nachgang zum Waldheim-Skandal – den dezidierten Auftrag, sich mit Fragen des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion zu befassen, natürlich mit dem Zentrum der jüdischen Geschichte des Ortes, der auch gesellschaftliche Herausforderungen von heute spiegelt. Ein Ort, in dem über 400 Jahre Mehrheiten und Minderheiten miteinander auskommen mussten. „Ein Ort an der Grenze, wo das Thema von Flucht und Asyl als Teil der Erinnerung auch innerhalb der lokalen und regionalen Gesellschaft sehr lebendig ist. Sowohl die Frage von Einwanderung und Migration hat in ganz Vorarlberg einen Fokus als auch die von transnationalen jüdischen Familiennetzwerken, die sich hier ausgebildet haben und deren Nachkommen heute eine kosmopolitische Community bilden, deren Familienzentrum immer noch in Hohenems ist.“

Grenzüberschreitungen über die enge jüdische Gasse, das unsichtbare Ghetto hinaus hat das Museum ganz offensichtlich auch mit den oft kontroversiellen Themen seiner Ausstellungen gewagt.

„Ja, es sind immer Ausstellungen, in denen es ganz konkret um jüdische Geschichte und Gegenwart geht und in denen sich gleichzeitig große Themen, die jeden angehen, verstecken.

„Eine gute Ausstellung stellt eine Frage,
die man selbst nicht mit Ja oder Nein beantworten kann.“
Hanno Löwy

Wir sind nicht klüger als unsere Besucher:innen; wir sind manchmal neugieriger, und unsere Neugier soll anstecken. Wir versuchen Ausstellungen über Themen zu machen, über die wir selbst gern mehr erfahren wollen. Wenn es zum Beispiel um die weibliche Seite G’ttes ging, haben wir auch über die Rolle von weiblicher Vorstellung von Göttlichkeit in allen monotheistische Religionen gesprochen; also wir haben immer große Fragen sehr konkret auf das Judentum bezogen. Eine gute Ausstellung stellt eine Frage, die man selbst nicht mit Ja oder Nein beantworten kann. Es gibt immer eine Auseinandersetzung darüber, welche Bedeutung Jüdisches für Juden hat und welche Bedeutung Jüdisches für Nicht-Juden hat, und das ist meistens nicht dasselbe. Da gibt es eine Spannung, die man nicht aus der Welt schaffen kann.“

Eine Spannung, die vielleicht durch das Phänomen, ein jüdisches Museum an einem Ort ohne Juden zu sein, noch verstärkt wird?

„Wohl besteht die jüdische Gemeinde hier im Moment nur aus mir, aber besonders engagiert für die Gründung waren gar nicht wenige Menschen, die häufig halachisch keine Juden sind, bei denen aber jüdische Geschichte Teil ihrer eigenen Geschichte ist. Außerdem ist die jüdische Gemeinde von Tirol und Vorarlberg durch den Zuzug etwa von Amerika, Israel, der Sowjetunion und Ukraine, aus Deutschland und der Schweiz zwar nicht nach der offiziellen Mitgliederzahl, aber informell sich organisierend mittlerweile größer, als sie 1938 war – allerdings war sie damals schon sehr klein.“

Auch die jüdischen Gemeinden von St. Gallen und Zürich gehören zum Einzugsgebiet des Museums, das zusätzlich auf die Unterstützung der weltweiten Community von Nachkommen ehemaliger Hohenemser Juden zählen darf, die in einem privaten Verein auch den jüdischen Friedhof der Stadt führen.

Allerorts geraten jüdische Museen besonders nach dem 7. Oktober 2023 von mehreren Seiten ins Kreuzfeuer feindlicher Linien. Wie stellt man sich diesem Problem hier?

„Einer unserer Grundsätze ist es, dass wir im Konflikt zwischen Israel und Palästina allen Menschen, die dort Opfer werden, mit Empathie begegnen und nicht einseitig Partei ergreifen. Wenn ein Jüdisches Museum mit öffentlichem Geld finanziert und in Hohenems auch von der Bevölkerung mitfinanziert wird, ist man nur für die Menschenrechte parteiisch.“

Stabswechsel. Mit Hanno Löwy geht ein nicht immer unumstrittener, aber erfolgreicher Hausherr ab. Auch auf Grund seiner zahlreichen Aktivitäten ist die schöne historische Villa mittlerweile zu eng geworden. Erweiterungspläne liegen vor, ihre Realisierung soll der zukünftigen Leitung vorbehalten sein. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist wird eine Findungskommission über diese entscheiden. Mitspracherecht hat der scheidende Direktor nicht, Wünsche hätte er aber doch.

„Ich wünsche mir einen Menschen mit eigenem Kopf, Spirit und Überraschungen, der auch den Mut mitbringt, unbequeme Fragen zu stellen. Jemand, der hierherkommt, muss auf vielen Klaviaturen spielen. Das Museum ist ganz nah bei den Leuten hier, die Gesellschaft ist sehr vielfältig, man ist in engem Kontakt mit Kulturveranstaltern und Künstlern und eng verzahnt mit wissenschaftlichen Communitys. Ein Museum, das seine Aufgabe erfüllt, ist ein Ort, der nicht nur Objekte präsentiert, sondern Menschen miteinander in Kommunikation bringt.“

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