„In Bayreuth geht man so erfrischend offen mit der schlimmen Vergangenheit um“

Wer wagt, gewinnt“, könnte das Lebensmotto der israelischen Sängerin Noa Beinart lauten. Denn sie gab viele Sicherheiten auf, um ihrer internationalen Karriere Schwung zu verleihen.

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Die israelische Sängerin Noa Beinart ist zurzeit in ganz Europa unterwegs. Warum sie die Strapazen ihres Künstlerinnenlebens im Koffer dennoch liebt, erzählt sie hier im Gespräch mit WINA. © Reinhard Engel

WINA: Sie kommen gerade von den Bayreuther Festspielen, wo Sie zum ersten Mal gleich in zwei Wagner-Opern, Walküre und Götterdämmerung, debütiert haben. Wie ist es zurzeit als Israelin, so exponiert zu sein? Wie fühlt sich Bayreuth angesichts seiner Vergangenheit überhaupt für eine Jüdin an?

Noa Beinart: Ich bin in Bayreuth gut aufgenommen worden. Denn dort stößt man nicht auf ein bestehendes Ensemble, sondern die Künstlerinnen inklusive Musiker und Sänger kommen von überall her. Daher müssen sich alle gleichzeitig einleben, und in den sechs Wochen Probezeit wird man zu einer kleinen Familie. Es gab keine unangenehme Frage, ich wurde nur von den Kollegen und Künstlerinnen auf meine Familie angesprochen, um zu erfahren, wie es ihnen geht. Aber es ist sicher nie einfach, an solchen Orten zu sein.

 

Wie geht das Bayreuther Opernhaus damit um?

I Das Besondere ist hier, dass man sich am Haus dieser Bürde der NS-Vergangenheit ständig bewusst ist und sehr viel unternimmt, um mit dieser schweren Bürde offen umzugehen. Es gibt z. B. im unteren Geschoß eine Dauerausstellung mit dem Titel Silenced Voices, wo Plakate, Fotos von verfolgten Dirigenten, Sängerinnen, Musikern, und Regisseuren hängen, deren Schicksal ausführlich dokumentiert wird. Diese Fotos wurden in den letzten zehn Jahren oft in das Bühnenbild integriert, so zum Beispiel bei Parsifal in der Regie von Stefan Herheim. Oder als Barrie Kosky Die Meistersinger von Nürnberg in der Kulisse des Nürnberger Gerichts spielen ließ. Das Angenehme ist, dass es nicht tabuisiert wird: Man spricht es offen an und akzeptiert es demonstrativ, kritisiert zu werden. Es ist ein Teil dieser Stadtgeschichte, man ist sich dessen bewusst, nimmt es ernst und hat keine Scheu oder Angst, darüber zu reden. Dadurch ist vieles natürlicher, und deshalb fühle ich mich gar nicht schlecht.

 

„Es gibt z. B. im unteren Geschoss eine Dauerausstellung mit dem Titel Silenced Voices, bei der Plakate, Fotos von verfolgten Dirigenten, Sängerinnen, Musikern und Regisseuren hängen, deren Schicksal ausführlich dokumentiert wird. Diese Fotos wurden in den letzten zehn Jahren oft auch in das Bühnenbild integriert.“
Noa Beinart

Für die Musik von Richard Wagner und jene Partien, die Sie in zahlreichen seiner Werke interpretieren können, haben Sie sich seit dem Studium in Berlin begeistert. Aber Sie haben ein viel umfangreicheres Repertoire sowohl als Opernsängerin, z. B. Richard Strauss, Puccini, Verdi, Mozart, Händel oder Britten, und als Konzertsängerin unter anderem Mahler und Brahms. Bleibt Wagners Musik dennoch Ihr Favorit?

I Ich habe unglaublich viel Spaß, Wagner zu singen, weil er für mein Stimmfach so wunderbare Musik komponiert hat. Man fühlt sich durch das Orchester großartig unterstützt, und die musikalischen Klangfarben sind so besonders, auch irgendwie durchsichtig. Ich liebe die musikalische Sprache von Richard Wagner, es ist ein Traum, das zu singen, vor allem weil das Opernhaus in Bayreuth mit seiner wunderbaren Akustik so ein Geschenk ist, es singt sich sozusagen von selbst. Mahler singe ich sehr gern, das deutsche Fach ist die Erfüllung meiner Träume. Aber ich benötige auch Abwechslung: Nach viel Wagner brauche ich dann z.B. eine neue Melodik, etwa die Händel-Oper Xerxes, die ich im Herbst am Opernhaus Zürich singe.

 

Die Liste renommierter Opernhäuser, an denen Sie in den letzten 18 Monaten in atemberaubender Abfolge aufgetreten sind, ist beeindruckend: Opéra National de Paris, Royal Opera House Covent Garden, Opernhaus Zürich, Staatsoper unter den Linden Berlin, Sydney Opera House sowie Opern in Kopenhagen und Finnland. Macht Ihnen das viele Reisen nichts aus?

I Der Karriereweg einer Opernsängerin ist einerseits wunderschön, aber auch schwierig, wir reden darüber viel in der Kollegenschaft: Das viele Reisen ist das Schwierigste, und auch das Alleinsein. Aber die positive Erfahrung, so viele Kolleginnen und Kollegen kennen zu lernen, gefällt mir doch sehr. Oft lebt man auch an die zwei Monate wie eine kleine Familie zusammen – und findet Freunde fürs Leben. Das erlebe ich als das Allerschönsten in meinem Beruf, so zahlreiche menschliche Erlebnisse zu haben.

 

Vor fast drei Jahren haben wir unser erstes Gespräch für das WINA-Magazin* geführt, als Sie mit der Saison 2020–2021 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper geworden sind. Ihre Debüts fielen in die Corona-Zeit, aber Sie konnten dennoch für die Zeit danach proben. Sie waren damals sehr glücklich und erfreut, an dem renommierten Haus singen zu können. Wir durften Sie in mehreren Rollen in Wien hören, u. a. als Maddalena in Verdis Rigoletto oder als Suzuki in Puccinis Madame Butterfly. Was hat Sie bewogen, nach knapp zwei Jahren erneut auf Wanderschaft zu gehen?

I Ich habe festgestellt, dass es für mich wichtig ist, freischaffend zu sein, denn ich bin ein sehr selbstständiger Mensch. Ich war sehr gerne im Ensemble der Wiener Staatsoper, meine Kollegen sind und waren wunderbar, und ich bekam viele schöne Möglichkeiten, zu singen. Aber persönlich brauche ich tatsächlich meine Freiheit, die Kontrolle darüber, was ich singe und wann ich singe. Ich möchte über mein Leben, meine Partien und wann ich Pause mache selbst entscheiden. Wenn man in einem Ensemble ist, haben die anderen die Macht über deine Zeit. Das ist klar, denn man hat ja auch viele Vorteile und Sicherheiten dadurch.

 

Hatten Sie keine Angst vor dem finanziellen Risiko?

I Nein, Angst vor Risiko hatte ich nie, weil ich die Herausforderung liebe. Ich habe meine Familie in Israel mit 20 Jahren verlassen, weil ich in Berlin studieren wollte, hatte aber noch keinen Platz an der Hochschule für Musik Hannes Eisler. Ich wollte unbedingt Deutsch lernen und versuchen, an die Hochschule zu kommen. Ich gab mir drei Monate Zeit und dachte, wenn es klappt, ist es wunderbar, wenn nicht, gehe ich nach Hause und denke neu.

 

Aber es hat sehr gut geklappt. Nach Ihrem Studium sangen Sie im Opernstudio der Bayrischen Staatsoper München. Mit der Passagierin, einer Oper des jüdisch-polnischen Komponisten Mieczysław Weinberg, kehrten Sie auf diese große Bühne zurück. Wie kam es dazu?

I Zu meinem Glück haben sich noch einige Menschen in München an mich erinnert, und so kam das Angebot zustande. Ich habe 2018 zum ersten Mal von dieser Oper gehört, weil meine Mutter und Großmutter eine Inszenierung der Passagierin in Tel Aviv gesehen hatten und mich sofort voller Begeisterung anriefen und mir vorschwärmten, wie großartig diese Musik sei. Deshalb musste ich das Angebot einfach annehmen.

 

Die Oper handelt von der ehemaligen KZ-Aufseherin Lisa, die nach 1945 auf einer Übersee-Schiffsreise vermeint, eine ihrer geplagten weiblichen Opfer aus dem KZ wiederzuerkennen, womit ihr Leben aus den Fugen gerät. Eines ihrer Opfer, die Polin Marta, ist eine politische Gefangene in Auschwitz. Sie spielen und singen die jüdische Inhaftierte Hannah. Wie war das für Sie?

I Der Inhalt der Oper basiert auf der autobiografischen Erzählung von Zofia Posmysz, daher fand ich es so spannend, dass man als Opfer die Geschichte aus der Sicht der Täterin schreibt. Das Libretto ist schon einzigartig und die Musik von Weinberg sowieso. Ich hatte zuerst Angst, dass das Konzept vorsieht, dass ich mit einem kahl geschorenen Kopf und einem gestreiften Häftlingsanzug auftreten muss – das wollte ich auf keinen Fall. Aber Regisseur Tobias Kratzer hat schon bei der ersten Besprechung klar gemacht, dass es solche Szenen nicht geben werde. Ich schätze ihn sehr, denn er kommt immer mit einem starken Konzept und zieht es eisern durch. Die Ereignisse im Lager versteht man durch eine klare Symbolik, nicht durch plakative Bilder, und die sind stärker als jede Glatze, weil die Hinweise raffiniert doppelbödig sind.

 

Haben Sie die Partie der Jüdin Hannah bekommen, weil Sie Israelin sind?

I Nein, das glaube ich nicht, ich denke nicht so zynisch. Es ist die einzige Rolle für Contralto.

 

Gesungen wird Die Passagierin großteils in Deutsch und in Polnisch. Nur Sie singen in Jiddisch, hat man Sie gefragt, ob Sie die Sprache können?

I Ja, schon. Aber ich kann nur wenige Brocken, die ich bei meiner Großmutter aufgeschnappt habe. Deshalb wurde der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, Vladimir Jurowski, mein Jiddisch-Coach, er kann die Sprache gut, er hat sie mit seiner Großmutter gesprochen.**

 

Vladimir Jurowski ist auch der musikalische Leiter der umjubelten Produktion, die im November wieder auf dem Spielplan steht. Sind Sie wieder dabei?

I Ja, und ich freue mich schon unglaublich darauf. Es war so eine tolle Zusammenarbeit in den sechs Wochen, weil Tobias Kratzer und Vladimir musikalisch und szenisch das Gleiche wollten. Beiden haben sowohl in der Musik wie in der Vorlage einiges gekürzt, das sie als kitschig empfanden. Dadurch wird alles in der Aussage viel stärker. Denn Vladimir Jurowski ist nicht nur ein wunderbarer Musiker und Mensch, er engagiert sich politisch, er redet in der Öffentlichkeit ganz offen, sagt seine Meinung zu Russland, Ukraine und Israel.

 

Apropos: Wie oft fahren Sie nach Israel zu Ihrer Familie?

I Leider viel zu selten, trotzdem kann ich alle abwechselnd sehen, denn bei jedem meiner Auftritte, von Sydney bis Bayreuth, gab es keine Vorstellung, bei der nicht ein Familienmitglied dabei gewesen wäre. Meine Großmutter war letzten August sogar bei der Zauberflöte in Salzburg. Wann können wir Sie wieder in Wien hören und sehen? I Ich singe sehr gern in Wien, hier habe ich eine Wohnung, und Wien bleibt mein Zuhause. Anfang November gibt es drei Mal Mahlers 8. Symphonie mit den Wiener Symphonikern unter Philipp Jordan. Gegen Ende der Spielzeit bin ich dann Gast an der Wiener Staatsoper und mache Wagners Ring, ebenfalls mit Maestro Jordan.

 


* Marta Halpert: „Wagners Musik lernte ich erst in Berlin kennen.“ In: WINA 03/2022, wina-magazin.at/wagners-musik-lernte-ich-erst-in-berlin-kennen (Interview mit Noa Beinart).

** Marta Halpert: „Mein Schlüsselerlebnis verdanke ich Leonard Bernstein.“ In: WINA 09/2017, wina-magazin.at/mein-schluesselerlebnis-verdanke-ich-leonard-bernstein (Interview mit Vladimir Jurowski).

 

 

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