Wer glaubt, dass einen Job zu finden, die größte Herausforderung in Israel ist, der irrt. Denn nur wer bei der Suche nach einem Apartment nicht die Nerven verliert, hat den israelischen Aufnahmetest bestanden. Meine letzte Wohnungssuche liegt ungefähr ein Jahr zurück, und ich bin froh, dass diese Zeit vorbei ist. Es ist einfach frustrierend. Obwohl die Lebenshaltungskosten in Tel Aviv steigen, will man den Luxus des Lebens in der Stadt nicht aufgeben.
Es ist 14 Uhr. Nora geht heute schon früher aus dem Büro, denn sie ist auf der Suche nach einer Wohnung und hat sich gleich sechs Termine an einem Tag ausgemacht, ich begleite sie dabei. Die Zeit drängt, denn sie schläft noch immer bei Freunden auf der Couch. Dies sollte zwar nur eine Übergangslösung sein, aber es sind bereits vier Wochen. Bis jetzt hat sie weder die Wohnung noch die Mitbewohner ihrer Träume gefunden. Aber heute ist sie sich sicher, sie hat es im Gefühl, diesmal wird was dabei sein!
Obwohl die Lebenshaltungskosten in Tel Aviv steigen, will man den Luxus des Lebens in der Stadt nicht aufgeben.
Doch dann der Realitätscheck. Die erste Wohnung in der Nachlat-Binyamin-Straße. Schimmel hinter dem Kleiderschrank, eine antike Klimaanlage aus den 70er-Jahren, die so laut ist wie eine Lokomotive, und eine Kakerlake, die uns gleich beim Eingang in die Wohnung begrüßt. Sonst ganz hübsch eingerichtet, ganz nach dem Motto „außen hui, innen pfui!“. Trotz Bedenken ist Nora bereit, die Wohnung zu nehmen. „Vielleicht bin ich zu anspruchsvoll, ich kann mir hier keinen europäischen Standard erwarten. Wenn Israelis bereit sind, das Zimmer zu nehmen, dann bin ich es auch.“ Zehn willige Anwärter auf das Zimmer haben sich bereits um den derzeitigen Mitbewohner versammelt. Mit ihrem Checkbuch und etwas Erspartem versuchen sie das Geschäft gleich abzuschließen und den Vertrag mit nach Hause zu nehmen. Doch zuerst muss sich jeder in eine Liste eintragen. Die Auserwählten werden benachrichtigt.
Die Stimmung ist angespannt, böse Blicke von den anderen Anwärtern. Man kann in ihren Augen lesen, „dieses Zimmer gehört mir!“. Nicht unbedingt weil sie so begeistert von der Wohnung sind, aber weil sie müde von der Sucherei sind. In dem Fall gibt man sich auch einmal mit weniger zufrieden. Kostenpunkt 650 Euro in einer WG mit zwei weiteren Mitbewohnern.
Wir gehen zur nächsten und übernächsten Wohnung. Gefunden haben wir nur Schlafzimmer ohne Fenster, Baustellenlärm und Spannteppiche mit Zigarettengeruch. Die meisten Verträge hier sind auf ein Jahr befristet mit einer Verlängerungsoption für ein weiteres Jahr. Der Vermieter kann allerdings die Miete bei einem neuen Vertragsabschluss wieder erhöhen. Deswegen sind die Mietwohnungen hier nur vorübergehende Domizile, wer bei diesem Kampf nicht weiter mithalten kann, zieht in das umliegende Ramat Gan oder nach Givatayim.
Die letzte Station auf Noras Plan ist eine Einzimmerwohnung in der Nähe der Habima, des israelischen Nationaltheaters. Sie ist zwar frisch gestrichen, aber in der Wand ist ein Loch zwischen Toilette und Wohnzimmer. Der Vermieter, ein selbstbewusster Medienmacher, ist davon überzeugt, dass er uns „eine super Mezieh“, ein gutes Geschäft, anbietet. Doch diese dreißig Quadratmeter Mezieh kostet mehr als 800 Euro. Es ist eine so genannte „Dira Mechuleket“, eine Vierzimmerwohnung, die vom Wohnungseigentümer in vier Studioapartments mit einem gemeinsamen Haupteingang und getrennten Eingängen umgebaut wurde. Das kommt sehr häufig in Tel Aviv vor. „Es hat gerade jemand abgesagt, wenn du die Wohnung möchtest, musst du sofort zusagen.“
Nora hat zugesagt, aber wer hier die Mezieh macht, ist beiden klar.
© Flash 90/Chen Leopold