„In Tel Aviv ist es so laut und lebendig wie zu Hause in Bulgarien.“

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Der Ururgroßvater des beliebten Theater- und Filmschauspielers Samuel Finzi war Rabbiner in Sarajevo. Der Vielbeschäftigte schwärmt von Dreharbeiten in Tel Aviv und sorgt sich um antijüdische Stimmung in seinem Geburtsland. Gespräch mit Marta S. Halpert

WINA: Sie waren erst jüngst als Inspektor Jakoov Blok im zweiten Tel-Aviv-Krimi „Shiv’a“ im ARD zu sehen. Davor konnte man sie in 22 Episoden als Psychologe Vince Flemming in der gleichnamigen Kriminalserie erleben, in der Sie die Polizei bei ihren Ermittlungen unterstützen. In Berlin bejubeln Sie die Theaterkritiker, zuletzt für die Darstellung des Wladimir in „Warten auf Godot“ für den Sie als „Bester Schauspieler 2015“ ausgezeichnet wurden, und als „Don Juan kommt aus dem Krieg“ (die letzte Regiearbeit von Luc Bondy in Berlin). Sie standen u. a. in Berlin, Hamburg, Köln, Graz und Wien auf der Bühne, und vor Kurzem gastierten Sie mit Ionescos „Die Nashörner“ am Landestheater in St. Pölten.

„Es ist salonfähig geworden, ein bisschen antisemitisch zu sein. Das gehört irgendwie dazu.“ Samuel Finzi

Was machen Sie eigentlich lieber, Theater oder Fernsehen?

Samuel Finzi: Je nachdem. Ich richte mich nach dem Stück oder dem Drehbuch. Da ich in den letzten Jahr wahnsinnig viel gedreht habe, würde ich wahrscheinlich ein forderndes Theaterstück mit einem guten Regisseur und ebensolchen Kollegen und Partnerinnen vorziehen. Mittlerweile suche ich mir die Konstellation sehr genau aus, denn ich muss wissen, mit wem ich zwei Monate meiner Lebenszeit verbringe. Die Zeit ist zu kostbar, und wenn ich von meiner Familie weg bin, muss ich wissen, warum. Ich stehe nicht zu Institutionen wie die Wiener zum Burgtheater, es macht für mich keinen Unterschied, wo ich spiele, denn die größten Ansprüche stelle ich mir selbst.

Sie wurden 1966 im bulgarischen Plowdiw in eine Künstlerfamilie hineingeboren: Ihr Vater, Itzhak Finzi, ist in Bulgarien ein bekannter Schauspieler, und ihre Mutter, Gina Tabakova, eine berühmte Pianistin. Sie tragen einen angesehenen sefardisch-jüdischen Namen. Gab es zu Hause einen Bezug zum Judentum? Ihr Sohn heißt Ezra – auch kein preußischer Vorname.

Samuel Finzi (r.) als Psychologe Vince Flemming in der gleichnamigen Erfolgsserie.
Samuel Finzi (r.) als Psychologe Vince Flemming in der gleichnamigen Erfolgsserie.

❙ Ich bin nicht religiös erzogen worden, aber da meine weitläufige Familie großteils in Israel und in den USA lebt, war das Jüdische immer gegenwärtig. Mein Vater hat mir die große Synagoge gezeigt, ab und zu gab es Mazzah zu Hause. Meine Großmutter hat bestimmte Gerichte gekocht, daran erinnere ich mich gut, Albondigas, die herrlichen Fleischbällchen. Die Großeltern sprachen immer Ladino untereinander, auch mit meinem Vater, daher verstehe ich es. Und natürlich wusste ich, dass mein Ururgroßvater Rabbiner in Sarajevo gewesen war.

Erinnern Sie sich an jüdisches Leben in Bulgarien?

❙ Es gab die Zeitung Jüdische Nachrichten, nur gingen die leider in der Berichterstattung konform mit dem kommunistischen System. Heute gibt es in Bulgarien alles, jüdische Schulen, aber auch die älteren Menschen werden gut umsorgt und unterstützt. Sie müssen wissen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg von den 50.000 Juden Bulgariens nur mehr rund 5.000 im Land geblieben sind. Meine große Familie ist zuerst in den 30er-Jahren und dann 1948, nach der Staatsgründung Israels, ausgewandert. Israel hat die Juden aus Bulgarien freigekauft. Auch meine Großeltern väterlicherseits hatten schon ihre Möbel verkauft, alles gepackt und vorbereitet, dann ist mein Großvater krank geworden, und sie konnten nicht reisen. Im Kommunismus durften meine Eltern auch immer nur einzeln auf Reisen gehen, einer musste zur Garantie in Bulgarien bleiben. So kam es auch, dass mein Vater allein nach Israel auf Hochzeitsreise ging!

Wann kamen Sie in den freien Westen?

Finzi2Engel❙ Ich war 15 Jahre alt, als mein Vater es schaffte, die ganze Familie für eine Reise hinauszubekommen: Wir besuchten Verwandte in Lyon und Paris, fuhren weiter nach Deutschland und Italien. Er wollte mir alles zeigen, und das wurde zu einem einschneidenden Erlebnis, das mir nicht mehr aus dem
Kopf ging. Später, als ich schon zwei Jahre an der Akademie für Film und Schauspiel in Sofia studierte, dachte ich, das kann es wohl nicht gewesen sein. Ich beschloss, nach Paris zu gehen,um dort weiterzustudieren. Aber die Methode hat mir gar nicht gefallen, diese pathetische Art taugte mir nicht. Ich kehrte nach Sofia zurück, und kurz darauf wurde ich eingeladen, an einem Theaterprojekt in Berlin teilzunehmen. Da musste ich schnell Deutsch lernen, das habe ich dann in zwei Monaten mit Privatunterricht geschafft. Dass ich die ersten paar Monate nichts richtig verstanden habe, war schon deprimierend.

Sie haben aber gleich ein Engagement am Hebbel-Theater bekommen. Ab 1992 begann die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Regisseur Dimiter Gotscheff, ihrem bulgarischen Landsmann, der 2013 verstarb. Wann sind Sie zum ersten Mal nach Israel gereist?

❙ Ich war schon ein Jahr in Berlin, das war 1990/91, und hatte noch keinen gesetzlichen Status. Da hat mein Vater angerufen und gefragt, ob ich nicht mit ihm und meiner Tante nach Israel fliegen möchte. Ich flog nach Sofia, und von dort ging es gemeinsam nach Tel Aviv. Ich hatte nicht einmal ein Visum. Ich hatte das Glück, dass meine Cousine in Tel Aviv die Betreuung von VIP-Gästen innehatte. Ich habe innerhalb von zwanzig Minuten ein Visum erhalten – das war ein Gefühl von „nach Hause kommen“. Daraufhin habe ich mich erkundigt, ob ich denn nicht die israelische Staatsbürgerschaft annehmen könnte. Ja, natürlich, hieß es da. Sehr gerne können sie das, aber dann müssen sie drei Jahre Armeedienst machen.
Da war ich schon 23 und hatte bereits zwei Jahre in der bulgarischen Armee gedient, also bin ich nach Berlin zurück. Privat war ich aber immer wieder in Israel.

Sie sprechen außer Deutsch und Bulgarisch noch Russisch, Englisch und haben sogar schon auf Französisch Theater gespielt. Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal woanders hinzugehen und in einer anderen Sprache zu spielen?

❙ Es könnte in Hebräisch sein. Ich hatte ja das Glück, vor einem Jahr den ARD-Tel-Aviv-Krimi sechs Wochen lang dort zu drehen. Das war eine wunderbare Zeit, obwohl ich ständig hin- und her geflogen bin, weil ich gleichzeitig in Berlin Theater gespielt habe. Tel Aviv fühlt sich an wie zu Hause: Die Menschen sind genauso laut und lebendig wie in Bulgarien.

Meine Frau kam zu Besuch, und auch ihr hat es sehr gut gefallen. So gut, dass wir uns durchaus überlegt haben, dass wir mit den Kindern für ein halbes Jahr nach Tel Aviv ziehen könnten. Jedenfalls geht jetzt mal der Tel Aviv-Krimi weiter, und im Spätherbst drehen wir mit der gleichen Besetzung weiter. Die Arbeit war so unglaublich toll, wahnsinnig nette Leute und so schöne Gesichter.

Haben Sie in Deutschland je Erfahrung mit Antisemitismus gemacht?

❙ Eigentlich nicht, aber wahrscheinlich schreibe ich das sofort einer gewissen Dummheit zu. Andere Vorkommnisse machen mir mehr Sorgen, zum Beispiel die Vorgänge in Bulgarien. Bereits vor etwa zehn Jahren veröffentlichten Nationalisten eine Internetliste mit zirka 2.000 jüdischen Namen, auf der unsere ganze Familie aufschien. Da wurden die Juden an den Pranger gestellt. Intellektuelle und Künstler wurden mit schrecklichen Kommentaren bedacht. Jetzt häufen sich diese Kommentare auch auf Facebook. Wenn ich das lese, finde ich immer wieder Weltverschwörungstheorien. Es gibt zwar keine physischen Übergriffe. Aber sobald über Geld gescherzt wird, ist der Jude gemeint. Es ist salonfähig geworden, ein bisschen antisemitisch zu sein.

Das gehört irgendwie dazu. Bis vor Kurzem war ich überzeugt, dass es in Bulgarien keinen Antisemitismus gibt. Vielleicht ist es auch nicht direkt Antisemitismus. Aber so eine allgemeine Verbitterung gegenüber dem Rest der Welt, und dann greift man gerne gewisse Klischees auf – und dann kommen immer die Juden und die Amerikaner dran. Ich will trotzdem nicht glauben, dass es so dramatisch ist wie in Ungarn.

Auf welche neue Filme können sich die Finzi-Fans freuen?

❙ Zwei Kinofilme kommen bald ins Kino: ein Film über den legendären Regisseur Fritz Lang. Da spiele ich den Massenmörder Peter Kürten, der in Düsseldorf sein Unwesen trieb. Dann die absurde Komödie Outside the Box (Kinostart 26. Mai 2016). Danach kommt eine französisch-deutsch-polnische Koproduktion über Marie Curie ins Kino, in der ich als Aufdeckerjournalist unterwegs bin. Für das Fernsehen habe ich gerade zwei Martin-Suter- Krimis mit Heino Ferch in der Rolle des Johann Friedrich von Allmen abgedreht. Da spiele ich Carlos, den treuen Diener dieses eleganten Adeligen und Lebemanns.

Samuel Finzi wurde 1966 im bulgarischen Plovdiv als Sohn jüdisch-bulgarischer Eltern geboren. Sein Vater ist der in Bulgarien bekannte Schauspieler Itzhak Finzi, seine Mutter die Pianistin Gina Tabakova. Er absolvierte ein Schauspielstudium an der staatlichen Theater- und Filmakademie Sofia. Um der „Enge und Spießigkeit“ der bulgarischen Gesellschaft zu entfliehen, zog es Finzi 1989 zunächst nach Paris und dann nach Berlin. Hier machte er schnell als Theaterschauspieler auf sich aufmerksam: Er spielte unter berühmten Regisseuren wie Dimiter Gotscheff, Frank Castorf oder Jürgen Flimm und überzeugte Kritiker und Publikum mit seinem facettenreichen Spiel, für das er mehrere Preise erhielt. Finzi gehört zu den profiliertesten deutschen
Schauspielern: Er ist in zahlreichen TV- und Kinoproduktionen in Hauptrollen zu sehen.

Bilder: © Reinhard Engel; ZDF

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