In Trauer vereint – wenn nichts mehr so ist, wie es einmal war

Mehr als 250 Frauen von regulären und Reservesoldaten der IDF haben seit dem Hamas-Massaker ihren Ehemann verloren. Hunderte Kinder sind vaterlos geworden, viele von ihnen werden ihren Vater nie kennenlernen dürfen. Ein vielschichtiges Programm unterstützt sie in ihrem Trauer und ihrer neuen Realität.

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In der Gemeinschaft trauern und gemeinsam heilen. Witwen bei einem Treffen der IDFWO. © idfwo.org

Israel beging letzten Monat einen nationalen Trauertag für die Opfer des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023, nachdem zuvor bereits Zeremonien am Jahrestag des Terroranschlags abgehalten worden waren. Dieses zweite nationale Gedenken des jüdischen Staates ereignete sich am 25. Tag des hebräischen Monats Tischri – kurz nach dem jährlichen Simchat-ThoraFest, an dem der Angriff der palästinensischen Terrororganisation im vergangenen Jahr stattfand. Dieser Genozid, bei dem 1.200 Menschen – hauptsächlich Zivilisten – abgeschlachtet, fast 5.000 verletzt und über 250 Geiseln genommen wurden, löste den Gazakrieg aus. Neben führenden Staatsoberhäuptern des Landes sowie hohen Offizieren des Sicherheitsapparats nahmen an der Zeremonie auch betroffene Familien teil. Sie hielten Kaddisch, das zentrale Totengebet im Judentum, und legten Kränze nieder. Neben Kindern, die ihre Väter verloren, waren auch viele Frauen anwesend, die vor einem Jahr zu Witwen wurden, als ihre Männer die Heimat verteidigten.

„Diese Menschen sind Helden und Vorbilder für die Nation“, sagt Tami Shelach, Gründungsmitglied und Vorsitzende der Witwen- und Waisenorganisation der Israelischen Streitkräfte IDFWO.

INFO und Spenden: idfwo.org

„Der 7. Oktober war der schlimmste Tag in der Geschichte des jüdischen Staates, doch gemeinsam werden wir dem Licht, der Hoffnung und dem Horizont entgegenschreiten. Natürlich ist unsere Realität von Krieg und Verlust geprägt, doch inmitten all dessen sorgt IDFWO dafür, dass sich kein Elternteil oder Kind der israelischen Helden nach der schlimmsten Nachricht allein fühlt. Die Organisation hat sich verpflichtet, den Familien derjenigen, die das höchste Opfer zur Verteidigung Israels gebracht haben, umfassende soziale, emotionale und finanzielle Unterstützung zu bieten. Allerdings hatten wir es seit der Gründung unserer Organisation 1991 noch nie mit so einer Anzahl zu tun.“

Die in Ramat haScharon, nördlich von Tel Aviv, lebende 82-Jährige verlor selbst ihren Ehemann, den Piloten Lt. Col. Ehud Shelach, als dieser in den ersten Tagen des Jom-Kippur-Kriegs 1973 über Ägypten abgeschossen und getötet wurde. Seit neun Jahren leitet sie IDFWO, die einzige Organisation, die sich um die Unterstützung von IDF-Witwen und -Veteranen kümmert und vom jüdischen Staat als offizielle Vertretungsorganisation anerkannt wird. Die Organisation unterstützt mehr als 4.000 Witwen und 13.000 Waisen aller Altersgruppen, gleichgültig, ob sie Juden, Araber, Beduine oder Drusen sind. Seit dem Hamas-Massaker haben mehr als 250 Frauen von regulären und Reservesoldaten der IDF ihren Ehemann verloren, davon sind etwa 30 derzeit schwanger oder haben vor Kurzem ein Kind zur Welt gebracht. Mehr als 600 Kinder sind vaterlos geworden.

„Vom Kopf her weiß ich, dass
Noy tot ist, aber ich habe Probleme, das emotional zu verarbeiten. Nichts ist so, wie es war.“
Mahol Shosh

„Dieser Anstieg machte eine Neubewertung der Arbeitsweise der Organisation erforderlich, um den vielfältigen Bedürfnissen dieser neuen Familien gerecht zu werden“, erzählt Shelach. „Wir wollen den Witwen und Waisen nach besten Kräften helfen und überall bei ihnen sein, wo sie uns brauchen. Manche frisch verheiratete Bräute wurden schon zu Witwen, bevor sie ihren Status auf ihren israelischen Ausweisen von ledig auf verheiratet ändern konnten. Wir sind ihr Zuhause für ihr ganzes Leben.“

Vielfältige und umfangreiche Hilfe und Unterstützung. IDFWO unterhält enge Beziehungen zum Verteidigungsministerium, das etwa 20 Prozent ihres Budgets beisteuert, und hält regelmäßig Veranstaltungen mit dem israelischen Präsidenten, dem Premierminister und dem Generalstabschef der Armee. Darüber hinaus bietet die Organisation wirtschaftliche Unterstützung, indem sie begrenzte staatliche Mittel durch zusätzliche Stipendien für Gesundheitsversorgung und Bildung ergänzt. Sie baut Gemeinschaften durch mehr als 30 Programme auf, die die seelische Genesung unterstützen sollen, und sie tritt als Fürsprecherin der Regierung auf, indem sie sich für verbesserte Richtlinien und umfassende Familienfürsorge einsetzt.

Nach den Ereignissen vom 7. Oktober 2023 startete die Organisation gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium das Projekt Letzidech (An deiner Seite) – eine Unterstützung für schwangere Witwen von Soldaten, die das höchste Opfer gebracht haben. Das neue Konzept ist auf deren besonderen Bedürfnisse in einer der wichtigsten Phasen ihres Lebens zugeschnitten: Schwangerschaft, Geburt und die ersten Wochen der Mutterschaft. Das Projekt bietet emotionale, medizinische und praktische Unterstützung für die Witwe wie auch ihr ungeborenes Kind. Von der Schwangerschaftsvorsorge bis hin zu Beratungsdiensten stellt das Programm sicher, dass keine Witwe diesen Weg allein gehen muss.

Shlomi Nahumson vor einem Treffen schwangerer Witwen. © idfwo.org

„Ich habe meine Schwangerschaft lange Zeit emotional verdrängt“, sagt Mahol Shosh aus dem Kibbuz Be’eri, der während des Hamas-Angriffs viele Opfer zu verzeichnen hatte. „Als die palästinensischen Terroristen in unsere Ortschaft eindrangen, schaffte ich es mit meinem Mann Noy, unseren zwei Söhnen und unserer Tochter zum Sicherheitsraum unseres Hauses. Dabei mussten wir alle mit ansehen, wie der geliebte Vater meiner Kinder durch die Schutztür erschossen wurde. Noy hatte eine Notrufbenachrichtigung der IDF erhalten, aber er schaffte es nicht einmal aus dem Haus.“

Wie jede Witwe wurde auch die 35-jährige Gymnasiallehrerin einem engagierten Sozialarbeiter des Verteidigungsministeriums zugeteilt, der ihr maßgeschneiderte langfristige Unterstützung bietet, um ihre individuellen Bedürfnisse zu erfüllen. Das neue IDFWO-Programm ergänzt dies durch zweimonatliche Gruppentreffen für alle schwangeren Witwen, die teilnehmen möchten. Jeder wird eine Hebamme zugeteilt, die sie während der Schwangerschaft, bei der Geburt und in der Zeit danach begleitet und betreut.

Da ihr Ehemann nicht bei der Geburt sein wird, ist Shosh unsicher, wen sie stattdessen dabei haben möchte, da auch Familienmitglieder Teil ihres Traumas sind. Letzidech bietet den Müttern daher auch die Möglichkeit, nach der Geburt einige Tage in einem an das Krankenhaus angrenzenden Hotel zu übernachten und ihnen zudem anschließend zuhause mit dem Baby und den anderen Kindern zu helfen. Darüber hinaus erhalten die Frauen einen Gutschein im Wert von 5.000 Schekel (1.230 Euro) für Babyausstattung, Kleidung und Spielzeug.

„Diese finanzielle Hilfe lässt mich etwas durchatmen“, erzählt Shosh, die seit über einem Jahr mit ihren Kindern in einem engen Hotelzimmer am Toten Meer lebt, wo sie demnächst ein Mädchen zur Welt bringt. „Ich war mir nicht sicher, wie ich mit der ganzen Situation umgehen sollte. Vom Kopf her weiß ich, dass Noy tot ist, aber ich habe Probleme, das emotional zu verarbeiten. Nichts ist so, wie es war. Es ist wie eine alternative Realität, und es ist schwer zu verstehen, was wirklich passiert.“

Lebenslanger Status Witwe. Bis zum Gazakrieg bestand ein Großteil der Tätigkeit von IDFWO darin, bestehende Beziehungen zu den Tausenden von Witwen und Waisen aufrechtzuerhalten. Durch die tragischen Ereignisse vom 7. Oktober und den anhaltenden Konflikt wurde die Organisation veranlasst, in kürzester Zeit Tausende von Verbindungen zu den betroffenen Menschen aufzubauen. „Witwe oder Waise zu sein, ist nicht nach der Schiwa, nach dreißig Tagen oder sogar nach einem Jahrzehnt beendet“, erklärt Shlomi Nahumson, seit drei Jahren Geschäftsführer von IDFWO. „Dieser Status bleibt einem ein Leben lang. Deshalb ist eines der wichtigsten Prinzipien unserer Organisation das Gedenken, und zwar nicht nur an die Gefallenen, sondern, vielleicht noch wichtiger, an ihre Familien. Diese leben weiterhin mit ihrem Verlust, und wir müssen an sie erinnern und sie unterstützen.“

Der aus Kfar Saba, nordöstlich von Tel Aviv, stammende CEO erklärt, dass Letzidech für jede Witwe alle mit der Schwangerschaft verbundenen Kosten übernimmt, einschließlich Untersuchungen, Beschneidungen sowie anderen Ausgaben, wie z. B. einen Zuschuss für die ersten Monate, um jemanden einzustellen, der beim Putzen des Hauses hilft oder sich um die anderen Kinder kümmert. Die Organisation versucht in dieser Zeit, jeden Bedarf zu identifizieren und auf alles eine Antwort zu geben.

„Viele wollen dabei meine persönliche Geschichte hören,
um zu verstehen, dass es möglich
ist, zu überleben und weiterzumachen.“
Tami Shelach

Waisen können dank des Otzma-Programms bis zur Volljährigkeit Feriencamps im Sommer und zu den jüdischen Feiertagen besuchen, um in einer Gemeinschaft, in der die Teilnehmer ihren Verlust gemeinsam verarbeiten, positive Erfahrungen zu machen, Widerstandskraft zu entwickeln und einander zu unterstützen.

Ihr neuestes Projekt ist die Unterstützung kinderloser Witwen – junger Frauen, die entweder kürzlich geheiratet haben oder unverheiratet mit ihren Ehemännern zusammenlebten.

„Frauen, die ihre Männer verloren haben, übernehmen Verantwortung für ihre Kinder, um sie zu versorgen“, sagt Nahumson. „Kinderlose Witwen jedoch haben dieses Bedürfnis nicht und verfallen daher oft in Depressionen. Deshalb ist uns der Aufbau von Beziehungen zu den Hinterbliebenen wichtig. Wir wollen verstehen, was sie durchmachen, und ihnen eine Antwort auf die Bedürfnisse geben, die ihnen auf ihrem Weg begegnen.“

Die IDFWO bemüht sich, die zahlreichen Herausforderungen zu überwinden, denen ihre Mitglieder gegenüberstehen, insbesondere im Bereich der rechtlichen und finanziellen Hilfe. Umfassende Unterstützung und Fürsprache sind eine Lebensader für Familien, die mit immensen Verlusten zu kämpfen haben. Dazu gehören auch alternde Witwen mit niedrigen Renten, deren Ehemänner ihr Leben für ihr Land in vorangegangene Konflikte geopfert haben.

„Ich versuche überall anwesend zu sein“, erklärt Tami Shelach, Vorsitzende der Organisation, die seit Beginn des Krieges tagsüber in ihrem Büro ist und abends Familien besucht. „Dabei treffe ich sowohl Frauen als auch Kinder und gebe ihnen, was sie brauchen. Wenn ich mit diesen Menschen zusammenkomme, sehe ich ein neues Israel erwachen und kehre gestärkt nach dem Treffen mit ihnen zurück.“

Respekt für die Trauernden. Neben ihrer immensen Empathie für die Menschen ihrer Generation empfindet Shelach tiefe Bewunderung und Respekt für die Witwen und Waisen seit dem 7. Oktober. Doch sie weiß auch, das erst ein Jahr vergangen ist und die meisten den Verlust noch nicht verarbeitet haben. Die Bemühungen der Organisation, die von Mitgefühl und einem tiefen Verständnis für die Bedürfnisse ihrer Mitglieder getragen werden, sind eine Lebensader für betroffene Angehörige.

„Es ist unsere Berufung, als Abgesandte des gesamten jüdischen Volkes diesen Menschen zu helfen“, erzählt Shelach. „Wir haben Gelder für neu geborene Waisen zurückgelegt, um ihnen in 20 Jahren Stipendien zu gewähren. Durch unsere langjährigen Erfahrungen hoffen wir unsere Fähigkeiten zu stärken, um die Art und Weise, wie wir diese Familien für den Rest ihres Lebens umsorgen, zu verbessern. Viele wollen dabei meine persönliche Geschichte hören, um zu verstehen, dass es möglich ist, zu überleben und weiterzumachen. Es macht ihnen Hoffnung, denn sie sehen, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt.“

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