Ins Exil heiraten: „Es war wie eine Epidemie“

Wie Verfolgte des NS-Regimes mittels Eheschließungen mit Ausländern zu fliehen und überleben suchten.

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Von Irene Messinger

Die Eheschließung kann nicht nur den schönsten Tag des Lebens bedeuten, sondern auch Leben retten. Das ist heute so – und das hat es auch schon in vergangenen Zeiten gegeben. So konnten rasch geschlossene Ehen, die nur auf dem Papier bestanden, Jüdinnen die Flucht aus dem NS-Reich ermöglichen oder im Exilland ihren Aufenthalt sichern. Einige überlebten die NS-Zeit nur dank einer Schein- beziehungsweise Schutzehe. Wie bei jeder Ehe war damit jedoch ein gewisses Risiko verbunden, ob der Pakt auch halten würde, was er versprach. Denn die Ehe konnte statt des großen Glücks auch Abhängigkeit, Erpressung und die Gefahr der Denunziation bedeuten. Hier werden einige Jüdinnen aus Wien vorgestellt, die von einer Ehe im Exil zu profitieren versuchten. Es waren fast ausschließlich Frauen, die sich über eine Heirat ins Ausland retten konnten, denn sie bekamen automatisch die Staatsbürgerschaft ihres Ehemannes.

Eheschließung zur Ausreise ins Exil

1938 war die Ausreise für Juden und Jüdinnen aus Wien bereits schwierig, Ehefrauen von Ausländern hatten es da einfacher. Es sind Ehen „zu Hunderten 1938 kurzerhand geschlossen worden, zu einem Zeitpunkt als die Annahme einer ‚fremden‘ Staatsbürgerschaft noch Schutz gegen die NS-Schikanen versprach bzw. die Chancen zur Flucht zu verbessern schien“, wie es Sophie Lillie in ihrem Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens anhand der Ehe von Vally Honig treffend beschreibt. Bei ihr ging der Plan jedoch nicht auf, sie heiratete 1938 zwar einen wesentlich jüngeren Norweger, wurde jedoch 1942 verhaftet und in das Konzentrationslager Maly Trostinez überstellt, wo sie umgehend ermordet wurde.

Ein Mann,
der unter diesen Bedingungen heiratete, verlangte eine große Summe Geldes für seinen Namen und seine Dienste
und fühlte sich obendrein noch als Wohltäter.
Margit von Mises

Mehr Glück hatte da Rosl Ebner mit ihrer Schutzehe: Die in Baden bei Wien geborene Frau Ebner konnte 1938 über Vermittlung ihrer in Paris lebenden Brüder eine Scheinehe eingehen. Ihr bezahlter Ehemann, mit dem sie sich kaum verständigen konnte, war ein französischer Hutmacher polnischer Herkunft. Für die Hochzeit hat ihre Schwester noch einen Strauß weißer Lilien besorgt, damit es nicht verdächtig wirkt. In ihren Briefen an Maria, die als Manuskript überliefert sind, beschreibt sie die Eheschließung: „Wir haben im Rathaus in einem kleinen Zimmer unterm Hitlerbild den Segen des Standesbeamten bekommen.“ So konnte sie mit einem französischen Pass ausreisen und ebenfalls nach Paris und 1939 nach Großbritannien gehen, wo sie im Treffpunkt der Austrian Self Aid aktiv war. 1946 kehrte sie nach Wien zurück, wo sie ihr Medizinstudium beendete und als Ärztin tätig war.

Eheschließung zur Weiterreise

Das Exil bedeutete nicht immer das geglückte Ende der Flucht oder Sicherheit. Aber manchmal half eine Eheschließung schlicht, am Ende vielleicht nicht das eigene, dafür aber andere Leben zu retten: Anna Steinitz, Chemiestudentin und Leiterin der Gruppierung Rote Techniker an der Wiener TU, konnte in die Schweiz flüchten, wie Marie Tidl in ihrem Buch Die Roten Studenten. Dokumente und Erinnerungen 1938-1945 beschreibt. Nachdem sie nicht mehr bleiben konnte, heiratete sie einen Franzosen, um als Madam Maugis nach Frankreich einreisen zu können. Sie arbeitete dort in einem jüdischen Kinderheim und lernte eine Widerstandsgruppe von ursprünglich polnischen EmigrantInnen kennen. Gemeinsam konnten sie zahlreiche jüdische Kinder, zum Teil mit gefälschten Papieren, bei französischen Familien und Hilfsorganisationen unterbringen.

Ehen mit „willigen Ägyptern“

Selbst in fernen Exilländern war es notwendig, sich mittels Eheschließung zu schützen: Die Wiener Kunsthistorikerin Hilde Zaloscer flüchtete bereits 1936 nach Ägypten. Als ihr befristetes Visum abgelaufen war, hatte sie die Wahl, nach Deutschland zurückzukehren oder in Ägypten, damals englisches Mandatsgebiet, als enemy alien in ein Lager zu kommen. Daher ging sie 1939 eine „Scheinehe“ ein. Sie schreibt in ihrer Autobiografie Eine Heimkehr gibt es nicht: „Der einzige Ausweg war, eine Scheinehe mit einem Ägypter einzugehen und so die ägyptische Nationalität zu erwerben. Für Geld fanden sich willige Ägypter, auch wenn es mit gewissen Risiken verbunden war.“ Zudem gibt es Hinweise in der Autobiografie Thea Levinsohn-Wolfs Stationen einer jüdischen Krankenschwester. Deutschland – Ägypten – Israel, dass Schutzehen in ihrem Umfeld in Alexandria geschlossen und vermittelt wurden, um die Ausweisung zu verhindern und eventuell sogar weitere Familienmitglieder nach Ägypten retten zu können.

Angst vor Verfolgung

Prive Schächter, später Friedjung, entstammte einer streng religiösen Familie aus Czernowitz, Rumänien, die im Ersten Weltkrieg vor den zaristischen Truppen nach Österreich geflohen war und 1931 eine Ausweisungsverständigung erhalten hatte. Die Kommunistin erzählt über die Organisation ihrer Ehe: „Es gab immer wieder Leute, die politisch genügend Bewusstsein hatten, um in solchen Fällen zu helfen. Von der Partei aus hat man dann meine Eheschließung mit einem Österreicher vorbereitet.“ Und sie beschreibt die zahlreichen Schutzehen in diesem Umfeld: „Es war wie eine Epidemie.“

Risiko Schutzehe: Abhängigkeit, Verrat und Erpressung

Nicht in allen Fällen war die Eheschließung die schnelle und einfache Lösung. Dies verdeutlichen die Erzählungen rund um die Ehe der jüdischen Rechtswissenschafterin Helene Lieser. Sie war die erste Frau, die am staatswissenschaftlichen Institut promovierte. Um ausreisen zu können, ging sie im Juli 1938 die Ehe mit einem Mann namens Berger ein, wodurch sie außerdem jugoslawische Staatsbürgerin wurde und damit einen Teil ihres Vermögens retten konnte. Über Helene Liesers und viele weitere derartiger Ehen wird in der Biografie über den mit ihr befreundeten Ludwig von Mises berichtet: „Als Hitler in Wien einrückte und sie Schwierigkeiten hatte auszuwandern, heiratete sie einen ihr fast unbekannten Mann. Es gab viele solcher Ehen, die faktisch nur Scheinehen waren und nie vollzogen wurden. Ein Mann, der eine Frau unter diesen Bedingungen heiratete, verlangte eine große Summe Geldes für seinen Namen und seine Dienste und fühlte sich obendrein noch als Wohltäter, weil er der Frau auf diese Weise ermöglichte, Österreich zu verlassen. Sobald seine ‚Frau‘ im Ausland war, reichte er die Scheidung ein. Öfters hatten diese Scheinehen unangenehme Erpressungen zur Folge.“ Das zeigt die mehrfache Abhängigkeit vom Ehemann und die Unsicherheit, die solche Ehen mit sich bringen konnten.

Tod trotz Schutzehe

Die Ehe mit einem Ausländer war letztlich keine Garantie, vor Verfolgung sicher zu sein und zu überleben. Die Violinistin Alma Rosé war auf Konzertreise in den Niederlanden, wo 1942 die Lage für Juden und Jüdinnen so bedrohlich wurde, dass viele Schutzehen eingingen, um sich vor Deportationen zu retten. Auch Rosé schloss durch Vermittlung niederländischer Freunde eine Scheinehe. Als ihre Ehe dann verraten wurde, wollte sie in die Schweiz flüchten, wurde jedoch verhaftet und ins KZ Auschwitz deportiert, wo sie für ihr Mitwirken im Frauenorchester bekannt wurde und 1944 starb.

Die Eheschließung zum Schein konnte einige Jüdinnen retten, war jedoch nicht nur eine Chance zum Überleben, sondern wurde oft auch zur Bürde: Hohe Kosten, Abhängigkeit und Angst vor Entdeckung waren oft ihre weiteren Begleiterinnen im vermeintlich sicheren Exil.

Literatur-TIPP: „ScheinEhen“ einst und jetzt

Auch heute noch heiraten Menschen aus Solidarität, Gefälligkeit unter Freunden oder Verwandten, aus politischen Motiven oder auch für Geld. Solche Ehen werden juristisch wie moralisch ganz anders beurteilt als die hier aufgezeigten Schutzehen, die retrospektiv als Form der Hilfeleistung positiv bewertet werden. Dem „fremden“ Ehepartner droht ein Aufenthaltsverbot und die Abschiebung in das Herkunftsland. Zudem stellt das Eingehen einer so genannten „Aufenthaltsehe“ in Österreich seit 2006 ein strafrechtliches Delikt dar, das mit bis zu einem Jahr Haft bestraft wird. Um den Nachweis für eine Aufenthaltsehe zu erbringen, kontrolliert die Fremdenpolizei das Paar in der Wohnung, fragt bei den Nachbarn nach und lädt zu detaillierten Befragungen zum gemeinsamen Familienleben. Die Fremdenpolizei geht recht rasch von einer Aufenthaltsehe aus, vor Gericht bedarf es jedoch fast immer eines Geständnisses, um wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe verurteilt zu werden.

Im Herbst erscheint das Buch Schein oder Nicht-Schein. Konstruktion und Kriminalisierung von „Scheinehen“ in Geschichte und Gegenwart im Mandelbaum-Verlag. Falls Sie nähere Informationen über Schutzehen aus der NS-Zeit haben, ersucht die Autorin um Kontaktaufnahme unter irene.messinger@univie.ac.at.

mandelbaum.at

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