Interpretation eines Lebens

Fritzi Löwy (1910 –1994) ist heute – wenn überhaupt – als eine der erfolgreichsten Hakoah-Schwimmerinnen der Zwischenkriegszeit bekannt. 1929 wurde sie auch österreichische Meisterin. Doch wie ging ihr Leben im und nach dem Nationalsozialismus weiter? Die Historikerin Vida Bakondy zeichnet nun ein ganz anderes Erinnerungsbild an Löwy.

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Mehr als eine Spitzenschwimmerin. Fritzi Löwy (li.) war nicht nur Sportlerin, sondern auch eine emanzipierte Frau mit vielen damit einhergehenden Sorgen. Und eine Geflüchtete. © Lothar Rübelt/ ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Basis der Auseinandersetzung von Vida Bakondy sind drei Fotoalben, die Löwy hinterließ und die nach ihrem Tod auf einem Flohmarkt auftauchten. Der Schwimmsport ist auf diesen Aufnahmen kein Thema: Löwy dokumentierte vielmehr Reisen nach Paris, ihre Familie, die teils im Holocaust ermordet wurde, und ihre Flucht nach sowie ihr Exil in der Schweiz. Bakondy zieht spätere Lebenserinnerungen, etwa in einem Interview mit der Historikerin Gabriele Anderl, Briefe und weitere Aufnahmen hinzu, um von Löwy ein differenzierteres Bild zu zeichnen als nur das der Spitzensportlerin.

1945 bis 1994. Das waren fast fünf Jahrzehnte. Fünf Jahrzehnte, in denen Löwy immer wieder arbeitslos war, in denen sie – ohne formale Ausbildung – Schwierigkeiten hatte, Jobs zu finden, die sie über Wasser hielten, und in denen ihr Leben noch trister ausgesehen hätte, hätte sie nicht auf das Hakoah-Netzwerk zurückgreifen können, das ihr doch ab und zu einen Job bescherte. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg zielte die Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamts vorrangig darauf ab, Beschäftigung für Männer zu finden. Frauen wie Löwy, die nie geheiratet hat, kamen dabei ins Hintertreffen.
Es waren also oft Geldsorgen, die das Leben Löwys prägten. Und das eben nicht nur während ihrer Zeit als Geflüchtete in der Schweiz. Es wird heute aber auch angenommen, dass sie Liebesbeziehungen zu Frauen pflegte – doch dazu hat sie nichts Substanzielles hinterlassen. Das ist, so die Historikerin Bakondy, vor allem im Licht der Illegalität von Homosexualität zu sehen.

Vida Bakondy:
Montagen der Vergangenheit. Flucht, Exil und Holocaust in den Fotoalben der Wiener Hakoah-Schwimmerin Fritzi Löwy. Wallstein Verlag 2017,
288 S., € 36,90

Traurig stimmt, wie zerfleddert sich Löwys Nachlass nur wenige Jahre nach ihrem Tod präsentierte. Ob etwa ihre Sammlung an Fotos aus ihrer Zeit als Schwimmerin überhaupt noch existiert, ist nicht bekannt. Das Schicksal einer kinderlosen Frau? Und wie spielte hier der Holocaust herein? Er hat einerseits Lücken hinterlassen und andererseits Familienmitglieder in alle Welt verstreut. Auch Löwy versuchte nach 1945, in Australien Fuß zu fassen – der Mutter zu Liebe kehrte sie aber wieder nach Wien zurück.

Vida Bakondys Arbeit, die zwar die erhaltenen Fotoalben Löwys in den Vordergrund stellt, aber auch so viele Zwischentöne erzählt, macht vor allem die vielen Leerstellen sichtbar. Und so fragt man sich am Ende: Was bleibt vom Leben eines Menschen? Sind es wirklich nur die wenigen Momente des persönlichen Triumphs?

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