„Israelis gehen Risiken ein“

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Sechs Jahre lang hat Christian Lassnig als Wirtschaftsdelegierter in Tel Aviv Österreich vertreten. Im wina-Interview analysiert er Stärken und Schwächen der israelischen Ökonomie. Text & Foto: Reinhard Engel

wina: Sie waren jetzt sechs Jahre in Israel und haben zuvor Erfahrungen in anderen Ländern wie Dänemark, Rumänien und den USA gemacht. Wie würden Sie einem Besucher die Besonderheiten der israelischen Wirtschaft erklären?

Christian Lassnig: Die erste Besonderheit liegt darin, dass sich die Wirtschaft in Israel erst in den letzten 120 Jahren entwickelt hat, wenn man die vor-staatliche Zeit mitrechnet. Lange Zeit war diese Wirtschaft landwirtschaftlich geprägt. Und wenn man mit Menschen spricht, die in den 70er-Jahren in Israel waren, erzählen diese von einer Kaffeesorte, einer Schokoladesorte und von sehr strikten Regelungen. Wenn man sich das heute anschaut, muss man sagen: Hut ab, es ist wirklich ein sehr dynamisches Land. Und es ist umso bemerkenswerter unter den schwierigen politischen Umständen, dass man es so weit gebracht hat.

wina: Was sind die außergewöhnlichen Stärken – und auch Schwächen?

CL: Eine Stärke der israelischen Wirtschaft ist die Innovationskraft. Man hat innerhalb von etwas mehr als 20 Jahren eine Hochtechnologieindustrie auf die Beine gestellt, auch mit staatlicher Initiative, mit Fonds und Forschungsförderung. Hier gibt es sehr viele Firmen, die zwar noch jung sind, aber schon Bedeutung von Weltrang haben. Was auch bemerkenswert ist: dass man im Gasbereich etwas sehr schnell umsetzt – die ersten Funde waren 2008, und jetzt fließt das Gas bereits.

wina: Und die Schwächen?

CL: Es gibt Bereiche, da denkt man, eine gewisse Professionalisierung wäre nicht schlecht, etwa im Hafen oder im öffentlichen Bereich. So ist auch die Straßenbahn in Tel Aviv eine never ending Story. Von der Konzeption zur Umsetzung vergehen da mehr als 20 Jahre, und die Dringlichkeit ist wirklich gegeben, Tel Aviv erstickt im Verkehr. Die Bürokratie kann sehr mühsam sein, etwa wenn man etwas bauen will. Und es gibt noch Nachwehen der Staatsindustrie, etwa eine große Gewerkschaftsmacht. Es erinnert ein wenig an Österreich in den 80er-Jahren. Wenn man sich als Regierung von einer Hafenarbeitergewerkschaft vieles vorschreiben lässt, kann etwas nicht stimmen.

wina: Wie sehr hat sich die israelische Wirtschaft in den Jahren verändert, in denen Sie diese beobachten?

CL: Am augenfälligsten ist der Bauboom, zumindest in Tel Aviv. Auch in der Infrastruktur hat sich etwas getan, etwa der Bau der schnellen Bahnlinie nach Jerusalem. Oder die gute Verkehrslösung in Haifa mit mehreren Tunnels. Auch das Radfahren hat man in Tel Aviv entdeckt, vor sechs Jahren ist niemand mit dem Rad gefahren. Das einst dringliche Wasserproblem hat man gelöst, mit großen Entsalzungsanlagen. Auch die chemische Industrie hat in den letzten Jahren kräftig in den Umweltschutz investiert.

wina: Wie groß ist die Kluft zwischen den Segmenten mit hoher Wertschöpfung, etwa Hightech, und den einfacheren Branchen wie Lebensmittel, Bau, persönliche Dienste?

CL: Einer der Bereiche, in denen es in Israel noch viel aufzuholen gilt, ist die Bauindustrie. Hier wird teilweise noch sehr altbacken gearbeitet, es wird schlechte Qualität geliefert, ausgenommen sind dabei die neuen Hochhäuser. Auch bei manchen Kibbuz-Industrien ist die eine oder andere Erneuerung notwendig, manche erinnern schon noch an Manufakturen. Probleme gibt es beim Abfall, es fehlt ein nationales Müllkonzept, es gibt keine Müllverbrennung und man kann nicht alles deponieren. Auch den Klärschlamm vom Großraum Tel Aviv leitet man teilweise noch ins Meer. Und bei wertvollem Bauland auf ehemaligen Militärgeländen stößt man immer wieder auf erhebliche Altlasten.

wina: Wo sehen Sie für Österreich Bereiche, in denen man etwas lernen könnte?

CL: Auf jeden Fall einmal beim Wagemut, wenn man sich auf die Wirtschaft bezieht. Israelis probieren etwas Neues, gehen Risiken ein. Und sind sich dabei auch darüber im Klaren, dass sie auf die Nase fallen können.

wina: Gibt es diesen Wagemut nur im Hightechsegment oder findet man ihn auch in anderen Bereichen?

CL: Natürlich findet sich wegen der vielen spektakulären Erfolgsgeschichten eine besondere Dynamik im Hightechbereich. Es gibt viele Israelis, die einen Kiosk eröffnen, aber kaum ein Kioskbesitzer erzielt später beim Verkauf hundert Millionen Dollar. Es existiert auch eine blühende, innovative Gastronomieszene. Ich habe in meiner Zeit hier ein hohes Niveau erlebt, aber was ich an Erzählungen von früher gehört habe, hatte Tel Aviv vor 20 Jahren gerade einmal zwei gute Restaurants. Und auch wenn in dieser Branche immer wieder Lokale pleitegehen, sieht man doch einen enormen Optimismus.

wina: Wie hat sich der Handel mit Österreich entwickelt?

„Wir sind froh darüber, dass sich die österreichischen Exporte von 120 oder 150 Mio. Euro pro Jahr in Richtung 300 Mio. entwickelt haben.“ Chistian Lassnig

CL: Wir sind froh darüber, dass sich die österreichischen Exporte von 120 oder 150 Mio. Euro pro Jahr in Richtung 300 Mio. entwickelt haben. Man muss das auch in Relation setzen: Österreich exportiert in die Türkei Waren um 1,2 Milliarden Euro, und das Land hat 74 Mio. Einwohner. Was freilich fehlt, und zwar gegenseitig, sind Investitionen. Man muss offen zugeben, dass in den letzten Jahrzehnten manche österreichischen Firmen nicht sehr aktiv waren.

wina: Damit wollten diese sich die Möglichkeiten auf den arabischen Märkten nicht zerstören?

CL: Das wird wohl auch ein Grund gewesen sein. Manches verstehe ich selbst nicht: Wenn in einem arabischen Land gerade alles zusammengebrochen ist und sich die Rauchschwaden verziehen, strömen die österreichischen Firmen hin, um am Wiederaufbau teilzuhaben. Auch wenn es immer noch große Sicherheitsprobleme gibt, werden immer die Chancen gesehen. In Israel sieht man immer die Risiken zuerst, die Chancen kommen erst an zweiter Stelle. Und Israel ist ein stabiler, wachsender Markt mit einer vernünftigen Währungs- und Wirtschaftspolitik.

wina: Sehen Sie in den Kennzeichnungspflichten und Boykottdrohungen für Waren aus den besetzten Gebieten drohende Probleme für Israel?

CL: Ich kann mir vorstellen, dass man dafür Menschen mobilisieren kann, aber in Österreich sehe ich die Gefahr nicht als groß an. Es sind kleine politische Gruppen, die das betreiben. Die Mehrheit der Konsumenten interessiert das Thema nicht.

wina: Was wird Ihnen nach Ihrer Rückkehr nach Österreich hier am meisten fehlen – außer der Sonne?

CL: Die ist schon ein großer Faktor dabei. Das Leben dort ist einfach lockerer. Natürlich kann ich mich nicht in den Kopf von israelischen Eltern versetzen, deren Kinder gerade bei der Armee sind. Das ist eine Anspannung, die wir nie kennen. Was ich schätze, ist der amikale und nicht-hierarchische Umgang miteinander, man ist gleich per Du, und auch im Geschäftsleben hat man immer Zeit für einen Schmäh.

ZUR PERSON
Mag. Christian Lassnig betreut von Wien aus ausgewählte Tourismusmärkte, darunter Israel. Sein Nachfolger in Tel Aviv ist Mag. Günther Schabhüttl, der zuvor unter anderem in Riga gearbeitet hat. wko.at/aussenwirtschaft/il

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