Intensivbeziehung. Judentum und Wein verbindet eine Jahrtausende alte und bis heute ungebrochene Tradition. Davon zeugen unter anderem viele, nicht bloß rituelle Aspekte betreffende Bibelstellen. Von König David heißt es etwa, er sei ein großer Weinliebhaber vor dem Herrn gewesen. Gesichert ist, dass er die Weinproduktion auf ein bis dato im alten Israel ungeahntes – heute würde man sagen: auf ein industrielles – Niveau heben ließ. Eine florierende Weinwirtschaft im biblischen Israel belegen auch Ausgrabungen riesiger steinerner Weinpressen im Negev (!). Und bis zur Zerstörung des zweiten Tempels und der Zerstreuung des jüdischen Volkes war das alte Israel auch Drehscheibe des Weinhandels zwischen Mesopotamien und Ägypten und lieferte den Rebensaft tief ins römische Reich hinein bis an dessen westliche Grenze, den Hadrian-Wall auf den britischen Inseln.
Israel als Weinland. Heute produzieren die rund 300 israelischen Winzerbetriebe auf 12.000 Hektar 50 bis 60 Millionen Flaschen pro Jahr. Das ist für ein so kleines Land durchaus beachtlich. Zum Vergleich: Das flächenmäßig mehr als viermal „größere“ Österreich liefert auf rund 48.000 Hektar den Ertrag für über 300 Millionen Flaschen pro Jahr. Die Proportionalität ist, rein mathematisch gesehen, also durchaus gegeben. Wirtschaftlich bedeuten die deutlich geringeren absoluten Kennzahlen für Israel jedoch einen erheblichen Kostennachteil. Denn wer mehr (vom Gleichen) produziert, kann in der Regel günstiger produzieren – und umgekehrt. Weniger prosaisch formuliert mit den Worten von Guy Haran, israelischer Weinexperte, Consulter, Podcaster und Gründer von Vinspiration, einem Wein- und Kulinarik-Touranbieter: „Mit unseren Produktionskosten sind wir gezwungen, im höheren Preissegment anzubieten. Wenn wir also international mithalten wollen, müssen wir einerseits noch stärker auf eine individuelle israelische Note, zum Beispiel auf Weine aus dem Negev, setzen und andererseits natürlich in jedem Fall auf Qualität!“
Ein önologischer Neubeginn. Es vergehen fast 2.000 Jahre, bis auf historisch biblischem Boden wieder ernsthaft Wein angebaut wird. Mit Unterstützung des legendären Baron Rothschild (auch er ein großer Weinliebhaber) kultivieren Olim Chadaschim der ersten Alija gegen Ende des 19. Jahrhunderts erneut Weingärten. Wobei die Bezeichnung „kultivieren“ doch recht hoch gegriffen scheint: Mit gewissem Schaudern erinnert der Autor dieser Zeilen noch heute den zwar „Pessach koscheren“, ansonsten jedoch süßlich sirupartigen Carmel- Wein der Sederabende in den späten 1970ern und 1980ern (oj weh – vier Gläser!), der diese Nächte in der Tat von allen anderen unterschied! Fairer Weise muss man an dieser Stelle aber auch anmerken, dass der junge Staat und seine Menschen in den Jahren nach der Staatsgründung gewiss andere Sorgen hatten, als Qualitätsweine zu produzieren oder zu genießen.
Mit Unterstützung Baron Rothschilds
kultivieren Olim Chadaschim der
ersten Alija gegen Ende des 19. Jahrhunderts
erneut Weingärten.
Boutique-Winzer und Weinindividualisten zünden den Qualitätsturbo. Es braucht jedenfalls rund 40 weitere Jahre, bis Visionäre und Enthusiasten unter den israelischen Winzern – meist in Kleinbetrieben – den Qualitätsanspruch stellen. Einer von ihnen ist Eli- Gilbert Ben-Zaken, der nach seiner Ausbildung in Frankreich 1983 im Moschaw Ramat Raziel bei Jerusalem den Betrieb Domaine du Castel gründet. Seine Gründungsgeschichte hört sich dabei an wie eine önologische Version jener von Apple- Gründer Steve Jobs – wenn auch in deutlich kleinerem Maßstab: Ben-Zaken hat in seinem „Garagenbetrieb“ in den ersten Jahren nicht mehr als zwei große französische Holzfässer zur Verfügung. 1992 ergibt das an die 600 (!) Flaschen Rotwein. Heute erzeugen Ben-Zaken und sein Sohn Ariel 100.000 Flaschen jährlich in der Domaine du Castel, die auch heute noch in Familienbesitz ist. Eli-Gilbert Ben-Zaken gilt als einer der Doyens des israelischen Weinbaus, ist Träger zahlreicher Auszeichnungen und höchst prämiert. So verpasste der weltweit bekannteste Weinkritiker Robert Parker bereits etlichen Weinen von Domaine du Castel 92 und 93 von 100 möglichen Punkten. Domaine du Castel produziert unter anderem den – zumindest nach Ansicht des Schreibers dieser Zeilen – wirklich ausgezeichneten „Castel Grand Vin“, eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Petit Verdot (nach Möglichkeit: ausprobieren!).

gestalt. DEDE war auch Mitinitiator der weltweiten Flyeraktion Kidnapped from Israel nach dem 07. Oktober. © teperbergwinery.co.il
Das Traditionsunternehmen Teperberg hingegen sucht in seinen Weinen die individuelle, lokale Note. Teperberg ist das älteste Weingut Israels und das viertgrößte im Land (vier Millionen Flaschen pro Jahr). Abraham Teperberg ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der allerersten russischen Olim Chadaschim. Mit seinem Sohn Zeev gründet er den Kellereibetrieb in Efrat bereits 1870. Heute wird das Weingut von Motti Teperberg in der fünften Generation geleitet, während mit Amos Teperberg bereits die sechste Generation „ante portas“ steht. Das Gut Teperberg verbindet Tradition mit Innovation und Qualität mit Individualität. Schönes Beispiel dafür ist der „Dabouki“, ein trockener Weißwein, der aus der gleichnamigen autochthonen und bereits über 3.000 Jahre hinweg kultivierten Traube gekeltert wird. Nir Kuttner, Teperbergs Global Sales Manager: „Die Dabouki-Traube hat sich über viele Generationen als erfrischende Tafeltraube mit prickelnder Säure erhalten. Die Weingewinnung aus der Dabouki geriet allerdings in Vergessenheit. Wir von Teperberg – wie auch einige andere Winzer – ändern das nun!“ Ein bemerkenswerter (und dabei wunderbar trinkbarer) Wein, der das geforderte Kriterium der Einzigartigkeit in einer globalisierten Weinwelt erfüllt – vielversprechend!
Wasser in Wein verwandeln können die israelischen Winzer zwar nicht. Dafür aber Wüste in Weingärten. Im Negev entstanden in den letzten Jahren an die 20 Weingüter. Was im ersten Moment absurd anmutet, erweist sich bei näherer Betrachtung als verblüffend logisch und fußt auf zwei Faktoren: Erstens: Die Wüste ist kein Boden für Schädlinge. Und zweitens: Israel ist ein Hightech-Land (Israels Agrotech-Sektor ist bekanntlich weltweit nachgefragt). Bewässerungs- und Nährstoffbedarf sogar einzelner Rebstöcke werden mittels KI und Drohnen, die Mikrodaten an über Smartphone steuerbare Apps liefern, ermittelt und können in weiterer Folge punktgenau befriedigt werden. Und: Neuerdings sind bei der Weinlese auch Pflückroboter im Einsatz.
Resümee. Eine Qualitätsoffensive, die Besinnung auf individuelle, weil lokale Noten sowie das Knowhow beim Einsatz von Hochtechnologie könnten für frischen (Auf)Wind sorgen und die israelischen Winzer wieder auf die Erfolgsspur zurückführen. Und ja, ein bisschen Frieden tät’ auch nicht schaden!
Der Gaza Krieg und die Winzer
Die Weinwirtschaft in Israel wurde vom Krieg in Gaza hart getroffen. Über 40% der israelischen Weingärten finden sich im Galil und auf dem Golan. Diese Anbauflächen standen unter ständigem Beschuss der Hisbollah. „Hunderte Hektar Ackerland, Obstgärten, Weingärten und Naturschutzgebiete wurden von Bränden vernichtet“, sagt Segev Yerbam, Vorsitzender der Galilee Development Company, die 35 Betriebe und Kibbuzim im oberen Galil vertritt.
Das Weingut Avivim im gleichnamigen Moschaw traf es am schlimmsten. Das Gut wurde durch Raketentreffer vollständig zerstört, über 300.000 Flaschen Wein gingen verloren. Der Schaden, so heißt es, beläuft sich auf mindestens 10 Millionen Dollar. Andere hatten Glück im Unglück – die Schäden durch die Raketeneinschläge waren zumindest nicht direkt existenzgefährdend. Aber alle erlitten großen mittelbaren wirtschaftlichen Schaden: Viele der Gebiete mussten evakuiert werden, die Arbeit in den Weingärten war über lange Zeit praktisch unmöglich. Ganze Jahrgänge sind großflächig verloren. Alex Haruni vom Weingut Dalton: „Viele Weingärten mussten aufgegeben werden, weil es keinen Zugang gab. Wir haben unseren Weinberg in Misgav Am komplett verloren. Ein schrecklicher Schlag. Die tatsächlichen Auswirkungen werden wir erst 2026 oder später zu spüren bekommen.“
Dort, wo an den Weinstöcken und Reben dennoch gearbeitet werden konnte, fehlten die Arbeitskräfte: Sie wurden als Reservisten eingezogen, verließen – als ausländische Hilfskräfte – das Land oder durften nicht mehr hinein: „Palästinenser von der Westbank und Thailänder waren unsere Hauptarbeitskräfte“, erzählt Kobi Arviv vom Weingut Recanati. „Die Thailänder verließen nach dem 7. Oktober das Land, und die palästinensischen Arbeiter durften aus Sicherheitsgründen nicht mehr herein – und das zur Erntezeit!“ Zu alledem brachen auch noch die für die meisten der Betriebe extrem wichtigen Einnahmen aus dem Weintourismus weg.
Die Verwüstungen an Mensch und Landschaft haben letztlich aber auch einen positiven Aspekt: Zusammenhalt und Solidarität unter Israels Winzern sind beeindruckend. Berührend mitzuerleben war das bei jener Weinpräsentation, die der Falstaff-Verlag in Zusammenarbeit mit der Botschaft Israels Mitte Mai in einem Wiener Hotel organisierte. So erzählt Domaine du Castel Gründer Eli-Gilbert Ben-Zaken: „Uns geht es im Grunde gut. Wir leiden nicht wirklich – wir hatten hier und da ein bisschen Ärger und eine Rakete in unseren Weinbergen, aber keine großen Schäden. Deshalb haben wir von Anfang an versucht, den kleineren Weingütern und Winzern in den am stärksten betroffenen Gebieten zu helfen.“ Ben-Zaken weiter, nachdenklich: „Wir machen gerade die wahrscheinlich schwierigste Zeit durch, die das Land erlebt hat. Es ist schwer, den Enthusiasmus aufrecht zu erhalten, den es braucht, um alles wieder aufzubauen, solange noch Geiseln in der Gewalt der Hamas sind und Israel mitten in einem Krieg zerrissen und zerrüttet ist von inneren Kämpfen zwischen Links, Rechts und der Mitte. Meine größte Sorge gilt nicht meinem Geschäft, sondern meinem Land.“
Bei der Präsentation ist auch Itamar Alperin, Marketing & Sales Manager International bei Barkan, einem der größten israelischen Weingüter, anwesend. Sein Statement fasst die Motivation und Entschlossenheit, die hier zu spüren ist, zusammen: „Wir haben schon Krisen durchgemacht. Wir sind noch jedes Mal gestärkt zurückgekommen. Dieses Mal wird es nicht anders sein.“
Die zitierten Statements sind einem Artikel von Joshua E. London entnommen, erschienen im Online-Magazin Jewish Link Wine Guide.

























