„Was ist schiefgegangen?“

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Was wäre wenn? Wenn der Vater des Judenstaats heute nach Israel käme, in sein „Altneuland“?  Doron Rabinovici und Natan Sznaider unterzogen dessen Roman-Vision einem Reality-Check mit dem Titel: Herzl reloaded.  Versprochen wird „kein Märchen“.

Von Anita Pollak   

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Unter der Adresse teddyherzl@altneuland.com meldet sich im Dezember 2014 ein untoter Theodor Herzl bei seinem Wiener Schriftstellerkollegen Doron. Was er schreibt, klingt nicht ganz neu, ist aber wert, neu gelesen und überprüft zu werden. Von heute aus, von Wien aus, von Israel aus, wo sich der Soziologe Natan Sznaider in den Mail-Diskurs einklinkt. Was dabei herauskommt, ist ein Buch der offenen Fragen.

„Ist ‚normale‘ Politik für Juden überhaupt möglich?“ Natan Sznaider

Dass Utopie und Wirklichkeit voneinander abweichen, ist ja gerade im Fall Israels schon wiederholt festgestellt worden. So hat erst vor Kurzem der israelische Autor Eshkol Nevo in seinem Roman Neuland unter anderem diese Divergenz und gleichzeitig die Sehnsucht nach dem alten Märchen, das leider nicht ganz so wahr wurde, wie es sich die zionistischen Idealisten erträumt hatte, thematisiert.

„Was ist schiefgegangen?“, fragt Sznaider den „lieben Teddy“ und versucht selbst auf vielen Seiten, von vielen Seiten Antworten zu finden, und dabei tun sich immer neue Fragen auf. Es sind die großen Fragen des Judentums, die in diesem klugen Dialog zweier Zeitgenossen mit Zitaten aus Herzls quasi kanonischen Texten zu einem fiktiven Trialog ergänzt werden. Wie aktuell und prophetisch und gleichzeitig wie zeitverhaftet und damit auch antiquiert dessen Schriften wirken, ist ebenso paradox wie Herzls Bedeutung für das gegenwärtige Israel – eine weit gehend unbekannte Ikone, mit deren Namen jüngere Israelis oft nicht mehr viel verbinden.

Standortbestimmung

Doch zurück zu den Fragen dieser luziden Standortbestimmung, in welcher die fast ewigen jüdischen Probleme aus der Vergangenheit in die Gegenwart gebeamt werden.

Doron Rabinovici & Natan Sznaider:  Herzl Relo@ded. Kein Märchen. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag,  207 S., € 20,60
Doron Rabinovici & Natan Sznaider:
Herzl Relo@ded. Kein Märchen.
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag,
207 S., € 20,60

Assimilation und Identität, Diaspora und Heimat, Zionismus und Messianismus, Antisemitismus, Orthodoxie und säkulares Judentum sind nur einige der Themenkreise, die hier teilweise recht kontroversiell erörtert werden, gipfelnd „in der jüdischsten Frage überhaupt“: Wie leben und letztlich auch wo leben?

Keine Frage für Sznaider, dem längst in Israel Angekommenen, der die Probleme seines Landes geschärfter, auch kompromissloser wahrnimmt als der Diaspora-Jude:  Israels Legitimation mit und ohne Auschwitz, die Rolle der Religion, die Besatzung als Dauerzustand, die wachsende Macht der israelischen Araber, die Trennung von Nation und Staat und wie es um dessen gesellschaftliche und politische Zukunft angesichts aktueller Bedrohungen bestellt ist. Ist „normale“ Politik für Juden überhaupt möglich, fragt Sznaider, der etwa die Zweistaatenlösung pragmatisch als „lebendige Leiche“ bezeichnet, während Rabinovici aus Wiener Perspektive am Prinzip Hoffnung festhalten möchte.

Natürlich auf Deutsch, in der Sprache der frühen zionistischen Schriften, wird dieser Diskurs geführt, in dem auch das „jüdische Schreiben“, ja die Sprache selbst zur Sprache kommt. „Ghetto mit guten Ghettogesprächen“, resümierte Herzl 1903 nach einem Abend bei einem seiner Förderer in Wilna. Mutatis mutandis mag das auch für diesen Band gelten, der bezeichnenderweise im „Jüdischen Verlag“ des Hauses Suhrkamp erscheint. Ob er die imaginären Ghettomauern überwinden bzw. auch über die „jüdische Gasse“ hinaus Interesse wecken kann, muss dahingestellt bleiben.

Bilder: © AlkTheShadow /Wikipedia

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