Ja, diskutieren wir

Die Ausstellung Die Stadt ohne. Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer ist bewusst kontroversiell angelegt. Das ist gut. Denn es gibt viel zu diskutieren.

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Zeichnung: Karin Fasching

Man hätte einfach die Geschichte des Stummfilms Die Stadt ohne Juden erzählen können, auf die Romanvorlage hinweisen, seine Entstehung beleuchten, seine Rezeption, den Verlust mancher Sequenzen schildern können sowie das Wiederauffinden, die Schwierigkeiten bei der Restaurierung nachempfinden, das dazu nötige Crowdfunding thematisieren. Aber das Kuratorenteam – Andreas Brunner, Barbara Staudinger, Hannes Sulzenbacher – hat etwas gänzlich anderes daraus gemacht. Sie zeichnen in ihrer Schau Die Stadt ohne den Antisemitismus in der Ersten Republik nach und setzen ihm die Fremdenfeindlichkeit in Österreich in den letzten Jahrzehnten gegenüber (siehe auch Bericht: „Ohne Juden, Muslime, Flüchtlinge, Ausländer“).

Schmälert das die Auseinandersetzung mit dem Thema Judenfeindlichkeit? Wird sogar der Holocaust herabgewürdigt? Ja, mancher Besucher empfand das bei der Eröffnung der Schau im Februar so. Doch die Schoah ist hier gar nicht das Thema. Es geht darum, wie Ressentiments in der Gesellschaft geschürt werden. Antisemitismus war in Wien schon lange vor dem Nationalsozialismus ein Thema. Judenfeindliches wurde ungeniert ausgesprochen, plakatiert, damit Stimmung gemacht. So wurde Judenfeindlichkeit mehrheitsfähig. So wurde Antisemitismus alltäglich. So konnte es geschehen, dass es bereits am 12. März 1938 zu erniedrigenden Aufwaschszenen auf den Straßen kam, zum Gaudium vieler umstehender Passanten. So konnten Jüdinnen und Juden am helllichten Tag aus ihren Wohnungen abtransportiert werden, ohne dass sich da groß jemand quer gelegt hätte.

Was mich heute an vielen Diskussionen stört,
sind das Schwarz-weiß-Denken

einer- und das Pauschalisieren andererseits.

Sulzenbacher betonte bei der Eröffnung der Schau, er erwarte Kritik daran, dass man den heutigen Antisemitismus von muslimischen Zuwanderern und Flüchtlingen bewusst ausgespart habe. Ja, wenn heute über Antisemitismus gesprochen wird, ist dieser Aspekt immer präsent: der Antisemitismus von rechts, der von links, der von muslimischer Seite. Und das ist richtig so. Man darf in keine Richtung blind sein. In der Ausstellung Die Stadt ohne geht es aber um die Perspektive der Mehrheitsgesellschaft. Und wenn politische Parteien heute gegen Ausländer, gegen Muslime, zuletzt gegen Geflüchtete hetzen, dann wenden sie sich damit an die österreichische Mehrheitsgesellschaft, an jene, die das Wahlrecht haben. Ihre Stimme gilt es zu ergattern. (Natürlich gibt es Menschen mit Migrations­hintergrund, die Staatsbürger sind und daher wählen dürfen, dennoch bilden auch sie eine Minderheit.)

Was mich heute an vielen Diskussionen stört, sind das Schwarz-weiß-Denken einerseits und das Pauschalisieren andererseits. Opfer können auch Täter sein, Täter auch Opfer. Das zeigt sich zum Beispiel bei Menschen, die als Kind missbraucht wurden und im Erwachsenenalter ihrerseits selbst Kinder misshandeln. Zuwanderer können also zugleich Opfer von Rassismus, aber selbst antisemitisch eingestellt sein. Das heißt aber dann nicht, dass alle Zuwanderer judenfeindlich sind. So wird das Thema aktuell aber teils diskutiert. Das nützt niemandem und schadet am Ende allen.

Grundsätzlich muss alles diskutiert werden dürfen. Die Voraussetzung: Die Debatte muss sich auf Fakten gründen und nicht auf Hörensagen. Und sie muss differenziert geführt werden. Beides fehlt streckenweise im aktuellen politischen Diskurs hierzulande. 

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