Jacques (Jacob) Offenbach: „Ein Pariser Leben?“ Köln, Paris, Wien

Der Kantorensohn aus Köln wurde zum Erfinder der Operette, die in seinen Werken einen starken Hang zur politisch-kulturellen Satire aufweist.

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Offenbach wurde 1819 als Jacob in Köln in eine jüdische Familie hineingeboren und starb 1890 als Jacques und weltberühmter Komponist. © akg-images / picturedesk.com;

Als siebtes Kind und als zweiter Sohn wird Jacob 1819 in Köln am Rhein geboren. Sein Vater Isaac Offenbach ist gelernten Buchbinder sowie begeisterter Musiklehrer und wird später Kantor der dortigen jüdischen Gemeinde; seine Mutter Marianne ist die Tochter des Geldwechslers Moses Rindskopf. Jacob wächst in einer bescheidenen, liebevollen und eminent musikalischen Umgebung auf, in der es selbstverständlich ist, zum G-ttesdienst in der Synagoge wie zum Tanz in der Kneipe aufzuspielen.

Das Lieblingsinstrument des Buben ist das Violoncello, obwohl ihn seine Lehrer auch in Komposition unterrichten. Früh erkennt sein Vater, dass für seinen talentierten 14-Jährigen Köln zu wenig zu bieten hat, und bringt ihn zusammen mit dem älteren Bruder Juda (Julius, später Jules) nach Paris. Obwohl die Offenbachs Ausländer sind, wird Jacob als Schüler am berühmten Conservatoire aufgenommen. Doch als er für wichtige Preiswettbewerbe nicht zugelassen wird, verlässt er schon nach einem Jahr das Institut, das damals Luigi Cherubini leitete.

Er spielt Violoncello in diversen Theaterorchestern, unter anderem dem der Opéra-Comique, und erlangt als Komponist von sentimentalen Romanzen, aber auch von sechs Fabeln nach Lafontaine (1842) eine gewisse Berühmtheit als Cellovirtuose. Er knüpft wichtige Bekanntschaften, etwa zum berühmten Komponisten der Grand Opéra Fromental Halévy (1799– 1862), der die Erfolgsoper La Juive schuf. Halévy gibt seinem Schützling privaten Kompositionsunterricht, und dieser schreibt daraufhin für die eigene Unterrichtspraxis drei Dutzend Cello-Duette, die heute noch von Solisten gespielt werden.

 

Mit Orpheus in der Unterwelt feiert der Komponist 1858
seinen Durchbruch und begründet so die moderne Operette als eigenständiges und anerkanntes Genre.

 

Der junge Jacob, der sich in Paris Jacques nennt und genau den gefühlvollen, romantischen Ton findet, nach dem sich die wohlhabende Damenwelt gesehnt hatte, führt 1843 in Köln eine Ouvertüre für großes Orchester auf, die zu einem Meisterstück deutscher Romantik wird. Es ist in jenem Stil komponiert, mit dem er aufgewachsen ist: Sein musikalischer Abgott ist eindeutig Wolfgang Amadeus Mozart, daneben Carl Maria von Weber.

Aber fünf Jahre später bereitet die französische Februarrevolution 1848 seinen weit fortgeschrittenen Opernplänen (La Duchesse d’Albe – Die Herzogin von Alba) ein jähes Ende – und vertreibt ihn für ein Jahr aus Paris. Bereits 1841 hatte Offenbach die katholische Spanierin Hermine d’Alcain kennen und lieben gelernt, deren Vater ein Konzertagent war und dem Brautwerber seine erste Konzertreise an den Londoner Königshof ermöglichte, wo er 1844 vor Königin Victoria musizierte. Schon als getaufter Katholik, denn das war Offenbach auf großen Druck der Familie seiner Verlobten geworden.*

Orpheus in der Unterwelt wurde zu Offenbachs erstem Welterfolg. Das gezeigte Plakat stammt von Jules Chéret für die zweite Fassung, die 1874 am Théâtre de la Gaité ihre Uraufführung hatte. © akg-images / picturedesk.com

Im Juni 1848 kehrt er mit Frau und Tochter Berthe nach Köln zurück, denn hier am Rhein ist die Revolution etwas gemütlicher als an der Seine. Hier schreibt Offenbach deutschnationale Lieder und Chöre und spielt auf dem Violoncello seine Hommage an Rossinis Wilhelm Tell bei der 600-Jahrfeier zur Grundsteinlegung des Kölner Domes.

Doch der Talentierte weiß, dass seine Zukunft in Paris liegt, der weltoffenen, damals relativ judenfreundlichen Kulturmetropole, wo mit Napoleon III. Offenbachs große Zeit beginnt: Zunächst ist er Kapellmeister an Frankreichs renommiertester Sprechbühne, der Comédie-Française (1850–1855), dem „Hause Molières“, und schreibt zehn Tänze für Klavier unter dem Titel Décaméron dramatique (1854). Das imponiert den Operndirektoren wenig, deshalb eröffnet er 1855 während der Weltausstellung ein eigenes kleines Theater auf den Champs-Élysées: die Bouffes Parisiens.

Geburt eines Genres. Mit Orpheus in der Unterwelt feiert der Komponist 1858 seinen Durchbruch und begründet so die moderne Operette als eigenständiges und anerkanntes Genre des Musiktheaters. Die Werke des „Erfinders“ der Operette haben kaum etwas mit dem zu tun, was heute unter Operette verstanden wird, da die Erwartungen an diese Gattung von der Wiener Operette geprägt sind, wie den Stücken von Franz Lehár oder Johann Strauss. Karl Kraus schätzte Offenbach sehr, daher prägte er für seine Werke den Begriff „Offenbachiaden“, um deutlich zu machen, dass Offenbach der einzige Vertreter dieses Genres war.

Bis 1869, dem Ende des Kaiserreichs, entstehen große musikalische Zeitsatiren, die überall in Europa, ja in der ganzen Welt nachgespielt werden und Offenbach zum berühmten und reichen Mann machen, darunter Die schöne Helena 1864, Blaubart 1866, Pariser Leben 1866/1873, Die Großherzogin von Gerolstein 1867, La Périchole 1868/1874, Die Prinzessin von Trapezunt 1869 oder Die Banditen 1869/1878. Die Hauptlibrettisten sind der schon erwähnte Ludovic Halévy und dessen Schulkamerad Henri Meilhac. Ihre Texte haben jene Qualität, die neben den Verächtern des angeblich „unmoralischen“ Genres immer wieder auch geistige Größen wie Karl Kraus auf den Plan gerufen haben, sich mit dieser neuen Art von „Gesamtkunstwerk“ zu beschäftigen.

In diesen Jahren öffnen sich Offenbach auch die Opernhäuser in Paris, auf Befehl des Kaisers wird er 1860 als Franzose eingebürgert und 1861 mit dem Band der Ehrenlegion dekoriert. Die großen Erfolge Offenbachs in Paris werden zu Exportschlagern in Berlin und Wien (wo sie Franz von Suppè und Strauss inspirieren), in London, Spanien, Italien und Portugal, Russland und den USA. Offenbach führt das für einen wohlhabenden Künstler damals typische Leben eines braven Familienvaters mit fünf Kindern in einer großen Pariser Stadtwohnung und in seiner schicken Villa „Orphée“ im normannischen Seebad Étretat. Aber auch eines Mannes, der zahlreichen Affären mit Darstellerinnen hat und der seine Dauergeliebte auch auf Reisen mitnimmt.

1870 wird sein Kölner Geburtshaus abgerissen; im gleichen Jahr bricht der Deutsch-Französische Krieg aus, und Offenbachs Ruhm verblasst: Das Pariser Publikum meidet ihn wegen seiner deutschen Herkunft. Die französische Presse bezeichnet ihn als Spion Bismarcks, die deutsche Presse als „Vaterlandsverräter“. Offenbach bringt daraufhin seine Familie nach Spanien in Sicherheit und unternimmt Tourneen in Italien und Österreich. Als er nach dem Kriegsende im Juni 1871 nach Paris zurückkehrt, hat sich dort der Geschmack geändert, seine Werke haben kaum mehr Erfolg. Um die Schulden aus dem Bankrott seines Théâtre de la Gaîté (1875) abzutragen, unternimmt Offenbach eine lukrative Amerikatournee, wo er zwei seiner Operetten dirigiert und in New York und Philadelphia über 40 Konzerte gibt.

Sein künstlerischer Ehrgeiz konzentriert sich mittlerweile auf ein neues Objekt, dem er sich wesensverwandt fühlt: Jahrelang feilt er an seiner „phantastischen Oper“ Hoffmanns Erzählungen und vollendet sie, allen Widrigkeiten zum Trotz, bis zu einem aufführungsreifen Zustand. Der schwer gichtkranke Mann stirbt in den Morgenstunden des 5. Oktober 1880, vier Monate vor der umjubelten Hoffmann-Premiere in der Opéra-Comique am 10. Februar 1881.

Erst Ernest Guiraud komplettiert die Orchestrierung der Oper im Auftrag der Familie Offenbach, so dass die Uraufführung postum stattfinden kann. Dem schmächtigen Kantorensohn aus Köln wurde auf dem Montmartre-Friedhof ein Ehrengrabmal aus braunen Marmor errichtet. Denkt man an Offenbachs Vorliebe für Zynismus und politisch-kulturelle Satire, dann könnte ihm das gefallen.

 

* Siehe dazu mehr im Interview mit Nikolaus Habjan.

 

 

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