Jede Menge Superväter

Ob Superman, Batman, Hulk oder Die phantastischen Vier: Das Gros der Comic-Superhelden wurde von jüdischen Zeichnern und Autoren kreiert. Warum das so ist, dafür gibt es verschiedenste Erklärungsansätze. Eine Reise in das Land der gezeichneten Helden.

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Mit Superman wurde im Englischen Friedrich Nietzsches Konzeption des Übermenschen übersetzt. © General/TopFoto/picturedesk.com

Comic-Verfilmungen gehören seit einigen Jahren zu den großen Pub­likumserfolgen in den Kinos. Ob Aquaman, Batman, Avengers: Die Faszination dieser Superheldenwelten ist ungebrochen. 2019 sind Abenteuer von Joker (einem Gegenspieler Batmans), Shazam (eine Superheldenkomödie) oder Captain Marvel auf der großen Leinwand zu sehen. Dabei war die Geburt des ersten Superhelden – Superman – mehr als beschwerlich.
Zwei Teenager in Cleveland, Ohio, waren begeisterte Science-Fiction-Fans, die in ihrer Freizeit ein Magazin herausgaben, das sie Science Fiction nannten. Jerry Siegel schrieb dafür Zukunftsgeschichten, Joe Shuster zeichnete Illustrationen. Die erste Ausgabe erschien 1933, sie enthielt eine Kurzgeschichte mit dem Titel The Reign of the Super-Man. Hier war aber noch nicht der Mann mit dem Cape und dem S auf seiner Brust dabei, Menschen in Not zu Hilfe zu eilen. Super-Man war hier ein glatzköpfiger Bösewicht, der mit Hilfe seiner übermenschlichen Fähigkeiten wie Telepathie und Telekinese die Weltherrschaft übernehmen will.

Der Zweite Weltkrieg wurde auch in den Abenteuern der Superhelden gespiegelt. Superman kämpfte auf Seiten der Alliierten gegen deutsche und japanische Truppen.

Doch Siegel und Shuster waren nicht recht zufrieden mit der Figur und arbeiteten in den nächsten Jahren an einem neuen Konzept. Aus dem Bösewicht wurde ein Kämpfer für das Gute, aus den mentalen Fähigkeiten machten sie körperliche Superkräfte. Sie splitteten zudem die Figur in den Helden Superman und seinen menschlichen Teil, den Brille tragenden Journalisten Clark Kent. Ab 1934 versuchten sie, den Comicstrip an Zeitungshäuser zu verkaufen. Vergeblich. Die Figur sei zu unreif, zu kindisch, wurde ihnen beschieden. Comics erschienen damals noch als Zeitungselement – erst nach und nach entstanden eigene Comichefte, erläuterte der österreichische Comicexperte Harald Havas im April bei einem Vortrag am Jüdischen Institut für Erwachsenenbildung (JIFE).
Ein solches Magazin brachte der Verlag National Publications heraus: Action Comics. Doch man war unter Zeitdruck und hatte zu wenig Material. Superman, von den Herausgebern immer noch nicht als guter Stoff bewertet, schaffte es dadurch, im Jahr 1938 in Action Comics #1 gedruckt zu werden. Das Heft wurde gekauft, gekauft, gekauft. Gedruckt wurden 200.000 Exemplare. Der Verlag beauftragte Marktforschung, um festzustellen, warum sich das Magazin so gut behaupten konnte. Das überraschende Ergebnis: Superman am Cover war der Hauptgrund für den Erfolg. So wurde Superman zum festen Bestandteil der Action Comics-Hefte.

Supermans Väter. Zeichner Joe Shuster (li.), und Autor Jerry Siegel (re.) werden auf dem Bild von Superman gerettet. © General/TopFoto/picturedesk.com; Anonymous/AP/picturedesk.com

Siegel und Shuster agierten natürlich nicht im luftleeren Raum, als sie Superman entwickelten. Mit Superman wurde im Englischen Friedrich Nietzsches Konzeption des Übermenschen übersetzt. Ob die Jugendlichen Nietzsche gelesen hatten, sei dahingestellt, so Havas. Der Begriff war allerdings in der Gesellschaft der 1930er-Jahre bekannt und oft benutzt. Vorbilder für die Figuren waren Hugo Danner, eine Figur mit physischen Kräften aus Philip Wylies Roman Gladiator aus dem Jahr 1930, und der Schauspieler Douglas Fairbanks, der in seinen Kinorollen als Freibeuter oder Musketier oft waghalsige Klettereien zeigte. Doppelidentitäten waren zudem aus Tarzan von Edgar Rice und Zorro von Johnston McCulley bekannt. Dass die Stadt, in der Clark Kent lebt, Metropolis heißt, ist ebenfalls kein Zufall. Siegel und Shuster entliehen ihn aus Fritz Langs gleichnamigem Film.

Spannend ist, dass die jüdischen Zeichner und Autoren hier ein Genre gross machten, das schliesslich zu einem Inbegriff der amerikanischen Kultur werden sollte. 

Im Zweiten Weltkrieg. Supermans Abenteuer faszinierten auch in den Kriegsjahren. Und der Zweite Weltkrieg wurde auch in den Abenteuern des Superhelden gespiegelt. Superman kämpfte aufseiten der Alliierten gegen deutsche und japanische Truppen. Adolf Hitler oder Benito Mussolini wurden lächerlich gemacht. Auf einem Cover von World’s Finest Comics warf ihnen Superman gemeinsam mit Batman Torten in das Gesicht. Havas sieht diese Referenzen weniger der jüdischen Herkunft von Siegel und Shuster und mehr dem allgemeinen patriotischen Zeitgeist geschuldet. Andere Beiträge im Netz orten dagegen eine Instrumentalisierung der Comics zu Propagandazwecken.
Dem widerspricht die Vita Siegels. Der Sohn litauischer Einwanderer kritisierte den Nationalsozialismus schon vor dem amerikanischen Eintritt in den Zweiten Weltkrieg. Er soll sich, selbst Jude, durch den Rassenkult der Nazis persönlich angegriffen gefühlt haben. Eine Superman-Geschichte, bei der Hitler wegen seiner Vergehen vor das Gericht des Völkerbunds gestellt wurde, führte sogar dazu, dass Siegel von NS-Deutschland zum Staatsfeind erklärt wurde. Deutschland verbot auch die Veröffentlichung von Superman-Comics. Propagandaminister Joseph Goebbels soll 1942 bei einer Reichstagssitzung „Superman ist Jude!“ ausgerufen haben.
Dass diese Figur tatsächlich vieles aufzuweisen hat, was als jüdisch einzustufen ist, arbeitet Harry Brod in seinem Buch Superman is Jewish? How comic book superheroes came to serve truth, justice and the Jewish-American way heraus. Brod sieht in dem Setting – das Baby Kal-El wird von seinen Eltern auf die Erde geschickt, weil sein Heimatplanet zerstört wird und wächst dann bei menschlichen Eltern, Eben und Sarah Kent, auf – beispielsweise eine Analogie zu den Kindertransporten. Er erkennt in dem eher fehlsichtigen Journalisten Kent das Stereotyp jüdischer Unzulänglichkeit und spricht von einem „super nebbish“.
Nicht bei allen Figuren gelingt jedoch das Herausarbeiten solcher Merkmale. Dennoch wurde das Gros der Superhelden, die auf Superman folgten, von jüdischen Zeichnern und Autoren geschaffen. Batman wurde von Bob Kane und Bill Finger kreiert. Das Satiremagazin MAD mit dem ikonischen Gesicht der Kunstfigur Alfred E. Neumann am Cover wurde von den Verlegern Harvey Kurtzmann und William M. Gaines entwickelt. Jack Kirby und Joe Simon schufen Captain America (auch hier gibt es in vielen Geschichten während des Zweiten Weltkriegs Auseinandersetzungen mit Agenten des NS-Regimes, später kommen ehemalige Nazi-Wissenschafter vor). Stan Lee entwickelte mit seinem Team (darunter auch Kirby) ein ganzes Superheldenimperium. Es entstanden Die phantastischen Vier, Hulk, Iron Man, Thor, die X-Men, also vieles, wofür die Marvel Comics bis heute bekannt sind. Ein Großer der Comicszene war zudem Will Eisner, der The Spirit erschuf.

Stan Lee beim Autogrammeschreiben vor der Premiere von Captain America: Civil War, 2016. © Chris Pizzello/AP/picturedesk.com; Matt Sayles/AP/picturedesk.com

Jüdische Zeichner und Autoren. Eisner, dessen Vater aus Österreich kam, setzte sich in späteren Jahren auch theoretisch mit dem Medium Comic auseinander. 1985 erschien sein Buch Comics & Sequential Art, 1996 Graphic Storytelling. The Definite Guide to Composing a Visual Narrative. Neben Comicserien wie eben The Spirit schuf er auch abgeschlossene Geschichten, die er selbst auch als „Graphic Novels“ bezeichnete, darunter etwa Ein Vertrag mit Gott (1978). Darin erzählt er Geschichten aus einem Mietshaus mit jüdischen Bewohnern. In seinem letzten Werk Das Komplott ging er der Wirkungsgeschichte der Protokolle der Weisen von Zion nach, um diese als antisemitisch motivierte Fälschung herauszuarbeiten.
Joe Kubert, der die nach ihm benannte Joe Kubert School of Cartoon and Graphic Art in New Jersey begründete, arbeitete an Comics wie Thor oder The Spirit mit. Auch er zeichnete daneben aber an Graphic Novels. So erschien 2003 Yossel: April 19, 1943. Darin skizziert er, wie sein Leben während der NS-Zeit verlaufen hätte sein können, wären seine Eltern nicht in die USA emigriert, sondern in Polen geblieben.
Wie aber ist diese massive jüdische Präsenz bei der Entstehung vieler Comic-Superhelden zu erklären? Havas’ Ansatz: New York sei einerseits in den 1930er-Jahren die US-Zeitungs- und Verlagsmetropole gewesen. Andererseits habe New York einen höheren jüdischen Bevölkerungsanteil als andere Städte Amerikas. So sei der hohe Anteil an jüdischer Mitwirkung in der Comicsproduktion nicht verwunderlich. Brod wiederum sieht hier ein Migrationsphänomen. Siegel, Shuster, Lee (der eigentlich Lieber hieß und erst kürzlich verstarb) seien allesamt in den USA zur Welt gekommen, aber dennoch noch in einer Migrationssituation. In der Verlagswelt wiederum waren Comics sozusagen das untere Ende, „shmate“, das, was als Abfall übrig bleibt, aber eben auch Publikationen, die nicht ernst genommen werden. Diskriminierung gegenüber Juden stand auf der Tagesordnung. Al Jaffee, der unter anderem bei MAD mitarbeitete, aber auch für Marvel Comics zeichnete, wird von Brod mit der Aussage zitiert, dass Juden in Zeitungen und Werbeagenturen nicht willkommen gewesen seien. In den Comic-Buch-Verlagen habe es dagegen keine Diskriminierung gegeben.

Batman hält das Foto seiner Erfinders Bob Kane anlässlich der postumen Verleihung eines Hollywood-Sterns, 2015. © Chris Pizzello/AP/picturedesk.com; Matt Sayles/AP/picturedesk.com

Spannend ist, dass die jüdischen Zeichner und Autoren ein Genre groß machten, das schließlich zu einem Inbegriff der amerikanischen Kultur werden sollte. Und während es das wurde, wurden gleichzeitig auch die Menschen dahinter anerkannter Teil der Gesellschaft. „Ihre Strategie der Assimilierung durch Idealisierung ging auf“, schreibt Brod. „Während die Leserschaft die idealisierten Bilder, die diese Juden schufen, akzeptierten, wurden diese neuen kulturellen Ikonen das Vehikel, durch welches marginalisierte Juden Teil des Mainstreams wurden. Ausgesperrt aus den Zentren amerikanischer Kultur erfanden sie neue kulturelle Formen.“ Etwas Neues schaffen, das sich so hoher Popularität erfreut, dass man damit Teil der allgemeinen Kultur und Gesellschaft wird – eine Erfolgsgeschichte. Man könnte auch sagen: Die ausgedachten Superkräfte haben Eisner, Kane, Finger und Co. selbst stark gemacht.

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