„Jetzt wo rundherum der Tod kriecht/
und Pekannüsse sich in ihre Schalen drücken/
verstecke ich mich im Hebräischen./
Nichts wird mir geschehen beim arglosen Schreiben/
nichts wird mir geschehen/
wenn ich mich von den Buchstaben aufnehmen lasse/
wenn ich nicht über die Linie schreibe.“
„Oktober 2023“ steht unter dem mit „Schutzraum“ überschriebenen Gedicht von Agi Mishol.
Es ist einer der ganz wenigen Texte des Bandes mit deutlichem Bezug zu einer der gegenwärtigen Situation ihres Landes und in dieser Hinsicht eher untypisch für diese Lyrikerin. Vielmehr bilden die Natur, Tiere und Pflanzen, das Wachsen und Vergehen, der Himmel und die Jahreszeiten den Raum ihrer Dichtung und ihren eigenen Lebensraum.
Als „Tochter, die zwischen Shoah und Shoah lebt“, 1946 noch im ungarischen Siebenbürgen geboren, kam sie mit ihrer Familie 1950 nach Israel. Nachts belauschte Agi ihre Eltern, die vom „Lager“ flüsterten, wusste, dass ihre nie gekannte Schwester dort „im Rauch auffuhr“.
Vielleicht ist der Rückzug in die von ihr so viel geliebte, viel verdichtete Natur auch ein „Schutzraum“ vor diesen mit geborenen Traumata.
Seit Langem schon lebt Agi Mishol in einem Moschaw, Kfar Mordechai, nahe Aschkelon, gemeinsam mit ihren Nächsten, gemeinsam mit Hunden, Katzen, Vögeln, Schafen, Blumen und Pflanzen, die sie anbaut, liebevoll beobachtet und denen ihre ganze Empathie gilt.
„Jetzt wo rundherum der Tod kriecht […]/
verstecke ich mich im Hebräischen.“
Da wird ein weißer Esel, beladen mit einem Dynamitsattel, „zum Sprengstoff-Messias befördert/und zweiundsiebzig unbefleckte Eselinnen leckten seine Wunden“.
Derlei mehr oder minder leise Ironie in kritischer Betrachtung aktueller Gegebenheiten kennzeichnen einige Texte, so etwa ist eine Zwanzigjährige schwanger mit einer Bombe, die sie unter ihrem Kleid verbirgt, „Jemand hat in deinem Kopf ein paar Schrauben verdreht.“

112 S., € 24,70
Doch vielmehr ist es die in allem spürbare Liebe zu den Geschöpfen, ihre durchaus auch sinnliche Liebe zu nahen Menschen, die Agi Mishols Poesie durchwebt. Die in Israel äußerst populäre Dichterin hat, wie Ariel Hirschfeld in seinem Nachwort feststellt, „einige der wichtigsten Zyklen weiblicher Liebeslyrik ihrer Generation geschrieben“. Obwohl sie vor allem, auch international ausgezeichnet, als eine der wenigen modernen Naturlyrikerin gilt, ein Genre, das insgesamt aus der Zeit gefallen scheint.
Einige Gedichte des schön gestalteten Bandes sind zweisprachig abgedruckt, und da dürfen sich jene freuen, die das Original lesen, verstehen und genießen können, gehen doch gerade Lyrikübersetzungen immer mit dem Verlust der Rhythmik, der Sprachmelodie, des unübertragbaren O-Tons einher, worauf auch die Übersetzerin Anne Birkenhauer hinweist, der es dennoch gelungen ist, die poetische Qualität Agi Mishols einzufangen. (Birkenhauer verzichtet dabei bewusst auf Beistriche).
Ihr Vater habe ihr beigebracht, auf Deutsch „den Erlkönig aufzusagen“ und „alle Operetten aus den fröhlichen Tagen in Wien“. Nun ist die „Geliebte heilige Sprache“ Agi Mishols Zuflucht, „jetzt wo alles seine Zeit hat/alles Entsetzen ist“.