„JUDE ZU SEIN, IST EIN TEIL VON MIR“

Nicolas Gold lebt seit sieben Jahren in Wien. Vor fünf Jahren hat er mit seinem Partner Markus Schaffer das Label „Sheyn.“ gegründet, seit einem knappen Jahr führen die beiden ihren eigenen Studio-Store in der Lerchenfelder Straße. Dass Gold in Wien gelandet ist, hat der in Argentinien geborene Architekt und Designer dem Studium zu verdanken. Dass daraus ein Erfolgskonzept mit spannender Zukunft entstehen würde, hat sich dann fast wie von selbst ergeben. Im Gespräch mit WINA hat Nicolas Gold über seinen Weg nach Wien erzählt und warum die Arbeit am 3DDrucker nicht nur spannend, sondern auch ökologisch nachhaltig ist.

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© Berenice Pahl/Lebendige Lerchenfelder Straße; Sheyn.

Geboren wird Nicolas Gold 1985 in Argentiniens drittgrößter Metropole, Rosario. Die Urgroßeltern waren aus Polen in das Land gekommen, die Großeltern und Eltern werden bereits in Argentinien geboren. Nicolas besucht die jüdische Gemeinde seiner Heimatstadt und „träumt von der Alija“. Mit 16 Jahren geht er, vorerst allein, nach Israel. Aufgrund der anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Situation in Argentinien ziehen bald die Eltern und Geschwister nach und leben noch heute in Nahariya.

„Homebase“ Wien. 2008 beginnt Nicolas Gold mit dem Architekturstudium an der Tel Aviv University. Am Tag studiert er, abends arbeitet er als Grafikdesigner. Nach dem Abschluss seines Bachelorstudiums will der junge Architekt jedoch noch weiterlernen. „Also habe ich lange gesucht, wo auf der Welt ich mit meinem Interesse noch weiterstudieren kann, und kam auf den Masterstudiengang der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Zaha Hadid. Da ich schon in Israel ein großer Bewunderer ihrer Arbeit war, habe ich hier dann von 2014 bis 2017 den Master gemacht.“
In Israel, wo Nicolas Gold 12 Jahre lang lebte, kam er nie wirklich an. „Es ist ein verrücktes Land, chaotisch, stressig.“ Dass Wien das absolute Gegenprogramm sein würde, war in den ersten Monaten auch nicht einfach. Die Stadt war für den jungen Designer, in dem bis heute das israelische Kreativfeuer brennt, „am Anfang viel zu langsam, und ich habe zum Beispiel nicht verstanden, dass ich abends nicht mehr einkaufen gehen kann. Aber wenn man den Rhythmus einmal kennt, lebt man gerne hier“, lacht Gold, der sich rasch in Wien verliebt, das für ihn heute die feste „Homebase“ ist, von der aus er seit einigen Jahren mit seinem Label „Sheyn.“ mit großem Erfolg und in beachtlicher Geschwindigkeit expandiert.

Perfekte Partnerschaft. Während des Studiums lernt Nicolas Gold den aus Graz kommenden Wirtschaftsinformatiker und ITConsultant Markus Schaffer kennen. 2016 lädt Gold seinen Freund ein, gemeinsam den Schritt in Richtung Selbstständigkeit zu machen. Die beiden gründen in diesem Jahr Sheyn – ein innovatives Designstudio, das sich zuerst auf Schmuck und bald schon auf Homeware aus dem 3D-Drucker spezialisiert. „Markus und ich wollten einen Namen finden, der in unseren beiden Sprachen funktioniert – und sheyn bedeutet sowohl im österreichischen Dialekt wie im Jiddischen ,schön‘, das hat also perfekt gepasst.“ In den ersten Jahren arbeiten beide auch noch in anderen Jobs, doch Sheyn wächst derart rasch, dass sich zuerst Nicolas und seit 2021 auch Markus vollzeitlich dem gemeinsamen Betrieb widmen.

„Für mich ist diese
Mischung aus
architektonischem
Denken und Design
ideal.“
Nicolas Gold

Design aus dem Drucker. Die ersten Objekte, die Nicolas Gold für den 3D-Drucker entwirft, sind Schmuckstücke, die bis heute vorwiegend in den Niederlanden produziert werden. Als er dann die Idee hat, einen eigenen kleinen 3D-Drucker zu kaufen, mit dem man selbst die Präsentationsobjekte herstellen kann, in denen der Schmuck auf Märkten und bei Händler:innen präsentiert werden soll, wissen die beiden Gründer noch nicht, dass sich mit dem Kauf ein ganz neuer kreativer Weg eröffnen wird. Die Maschine kann nämlich wesentlich mehr als erwartet, Markus Schaffer stellt sich neben seinem kaufmännischen auch als technisches Talent heraus – und statt einfach nur Präsentationsobjekte zu kreieren, beginnt Gold, Vasen für den Drucker zu designen. Die kommen derart gut bei den Kund:innen an, dass die beiden Gründer fast gänzlich auf die Produktion von Homeware umstellen. Heute bieten Nicolas Gold und Markus Schaffer mit Sheyn die Möglichkeit, aus elf Farben Vasen in unterschiedlichen Formen und Mustern in Auftrag zu geben:

„Es gibt mehrere Texturen, also Oberflächenmuster, die ich alle digital entwerfe und die alle einen eigenen Namen haben. In Kombination mit der Form, die ich ebenfalls entwickle, ergibt sich etwa auch, wie groß eine Vase wird. Und zu jeder Textur gibt es eine ,Designfamilie‘ von verschiedenen Objekten.“

Eigenes Studio, eigener Store. 2020 folgt der nächste Schritt: Im November des Jahres eröffnen Gold und Schaffer ihren ersten eigenen Shop am Beginn der Lerchenfelder Straße, wo man sie fast täglich und stundenlang arbeiten sieht: die 19 3D-Drucker, die im ganzen Showroom verteilt die Wünsche der Käufer:innen erfüllen. Gearbeitet wird dabei mit den biologischen Kunststofffasern PLA, die in Fäden auf Spulen geliefert werden und sichtbar im hinteren Bereich des jungen Neubauer Designladens lagern. Da neben den ausgestellten Produkten fast jedes auch auf Wunsch produziert werden kann, ist der ökologische Fußabdruck des Unternehmens so minimal wie möglich: Es gibt weder lange Transportwege noch große Lager oder Überproduktion. „Dass wir kein Lager brauchen, empfinde ich als wesentlichen Vorteil“, erzählt Nicolas Gold. „Wir drucken nur, was die Menschen bestellen.“ Eine Vase von Sheyn braucht dabei je nach Muster und Design beeindruckende drei bis neun Stunden. Und wem das dann doch mal zu langsam geht, der findet im Lerchenfelder Store mit Sicherheit auch ganz spontan Schönes fürs Eigenheim oder zum Verschenken.

SHEYN. Studio & Shop Lerchenfelder Straße 7, 1070 Wien sheyn.at GOTTFRIED & SÖHNE Jewish Museum Shop Dorotheergasse 11, 1010 Wien gottfriedundsoehne.com © Berenice Pahl/Lebendige Lerchenfelder Straße; Sheyn

Alles bei Sheyn ist klug durchdacht. Auch die Partnerschaften, die Gold und Schaffer bald schon aufzubauen beginnen. Die längste und bis heute intensivste ist mit dem im Jüdischen Museum beheimateten Designstore Gottfried & Söhne. Gold erzählt: „Das Konzept von Elisabeth M. Gottfried, Produkte von israelischen beziehungsweise jüdischen Designer:innen zu verkaufen, hat perfekt zu dem gepasst, was wir tun. Wir verkaufen dort seit der Eröffnung und bis heute und sind sehr dankbar, dass sie uns von Beginn an in ihr Sortiment aufgenommen hat.“

Und so kann es auch schon mal passieren, dass eine Kundin vorbeischaut, weil sie ein Stück im Jüdischen Museum entdeckt hat, das sie gerne in einer anderen Farbe hätte. Und es gibt sogar „Kunden, die immer wieder kommen und eine bestimmte Vase in verschiedenen Farben kaufen. Das Konzept, eine Vase nur für jemanden zu produzieren, der sie wirklich haben will, ist eines, das auch bei unseren Käufern sehr gut ankommt.“

Sheyn in Wien: Ausblick ins Lerchenfeld; Nicolas Gold beim Begutachten einer seiner Vasen; einer von 19 3D-Druckern bei der Arbeit; das junge österreichisch-israelischargentinische Gründerduo im eigenen Studio-Store in der Lerchenfelder Straße. © Berenice Pahl/Lebendige Lerchenfelder Straße; Sheyn

Mitten im Lockdown des letzten November ein Geschäft zu eröffnen, war ein mutiger Schritt. Bis jetzt ist alles mehr als gut gegangen. Im multifunktionalen kleinen Wiener Studio-Shop wird gemeinsam kreiert, geplant, konzipiert, entworfen, programmiert, produziert, verkauft und expandiert. Es ist schön, freut sich Gold, den in den letzten Jahren aufgebauten und stetig wachsenden Stock an Kund:innen nun auch persönlich im eigenen Geschäft empfangen und beraten zu können. „Sie können bestellen und dann vorbeikommen, um das nur für sie hergestellte Objekt abzuholen. Es existiert nur für sie.“

Auch wenn es zu Beginn schwer war, sich an die Wiener Langsamkeit zu gewöhnen und in der jüdischen Community dieser Stadt seinen Platz zu finden: Nicolas Gold ist heute in Wien angekommen und hat ein großes und vielfältiges Netzwerk aufgebaut, zu dem unter anderen auch der Kibbutz Klub zählt, „wo israelische und jüdische Musik gespielt wird und wo ich Menschen kennenlerne, die eine ähnliche Art von Verbindung mit dem Judentum haben wie ich.“ Für die nahe Zukunft heißt es also für Nicolas Gold und seinen Partner Markus Schaffer: „Wir wollen neue Produkte entwickeln und neue Märkte entdecken.“ Und das von der traditionellen Wiener Lerchenfelder Straße aus.

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