Im 13. Jahrhundert kamen die ersten Juden als Zolleinnehmer in die Grafschaft Tirol. Die jüdischen Familien wurden meist toleriert, doch nur wenig geachtet, oft diskriminiert und bei Katastrophen als Sündenböcke beschuldigt. Zeiten der Toleranz wechselten mit Zeiten der Verfolgung. In den Bundesländern Tirol und Vorarlberg bestand seit 1617 die jüdische Gemeinde Hohenems, damit lag das Zentrum des jüdischen Lebens der Region in Vorarlberg. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wanderten jedoch die meisten Hohenemser Gemeindemitglieder ab.

In Innsbruck hatte sich seit den 1880er-Jahren eine kleine Zuwanderergemeinde (größtenteils aus Böhmen, Mähren, Galizien und der Slowakei) gebildet, deren Mitglieder sich in der boomenden Landeshauptstadt vor allem als Händler und Kaufleute etablieren konnten. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg lebten knapp fünfhundert Juden in Innsbruck. Der klerikale Antisemitismus, Arierparagraphen in Vereinen und der Tiroler Antisemitenbund führten dazu, dass die jüdische Bevölkerung aus Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen wurde. Dennoch zeugen viele Gräber der im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten auf dem Innsbrucker Westfriedhof vom Patriotismus der Tiroler Juden.


TIPP zum Weiterlesen:
Mit Café Schindler  hat die Londoner Anwältin Meriel Schindler ihrer jüdischen Familie aus Innsbruck ein zutiefst berührendes literarisches Denkmal gesetzt. 


In der Zwischenkriegszeit erkaltete auch das politische Klima. Laut dem Forderungskatalog des Antisemitenbundes an die Tiroler Landesregierung sollten all jene Menschen als Juden und Jüdinnen gelten, die auch nur einen einzigen jüdischen Urgroßelternteil hatten. Damit nahm der Tiroler Antisemitenbund die „Nürnberger Rassengesetze“ der Nazis vorweg, ja er ging sogar über die Regelungen der Nazis hinaus. Im März 1938 endete, wie für alle jüdischen Gemeinden auf dem Gebiet der nunmehrigen „Ostmark“, die Illusion der friedlichen Koexistenz. Jüdische Schülerinnen und Schüler wurden vom Unterricht ausgesperrt, Gewerbescheine eingezogen, Mietverträge unter Druck gekündigt und Geschäfte „arisiert“.

Die Folgen des „Anschlusses“ für die jüdische Bevölkerung Tirols.
Die NSDAP fand in Tirol nur eine kleine überalterte jüdische Gemeinde vor, denn viele Juden und Jüdinnen hatten Innsbruck zu dieser Zeit schon verlassen. In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 besetzten Truppen der SA die Grenzen, um die Ausreise der in Tirol lebenden jüdischen Bevölkerung zu vereiteln. In Folge mussten alle Juden und Jüdinnen ihre Reisepässe abgeben. 1938 lebten in Tirol 452 Juden und Jüdinnen, entsprechend den „Nürnberger Rassengesetzen“ erklärten die Nazis weitere 318 Menschen katholischer oder protestantischer Konfession zu „Volljuden“ bzw. „Mischlingen“. Im Landesdienst und an der Innsbrucker Universität wurden sie entlassen, so verlor die jüdische Bevölkerung nach und nach ihre staatsbürgerlichen Rechte. Die Beschlagnahme von Haus- und Grundbesitz und die Aufkündigung der Mietverträge sollten sie zur Ausreise oder zur Übersiedlung nach Wien zwingen, der ersten Station auf dem Weg in die Vernichtungslager.

Die blutige Pogromnacht fand in Innsbruck nicht zufällig statt, im Gegenteil, die Durchführung wurde genauestens geplant. Um aber bei der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, dass ein spontaner Volkszorn ausgebrochen wäre, befahl Gauleiter Franz Hofer, dass Verbände der SA, SS und Gestapo in Zivilkleidung die Juden überfallen und ermorden sollten. Gegen 3 Uhr 30 begannen die Aktionen in Innsbruck. Bei Kranebitten wurde der Leiter der israelitischen Kultusgemeinde, Ing. Richard Berger, bestialisch erschlagen und in den Inn geworfen. Weiters wurden Dr. Wilhelm Bauer, Chef der jüdischen Handelsorganisation, und Ing. Richard Graubart ermordet. Karl Bauer, Mitbesitzer des Kaufhauses Bauer & Schwarz (heute Kaufhaus Tyrol) überlebte mit schweren Kopfverletzungen, blieb aber in Folge geistig umnachtet. Oberbaurat Ing. Josef Adler wurde so schwer misshandelt, dass er bei einer Operation in Wien kurz darauf verstarb. Er war das vierte Todesopfer der Pogromnacht in Innsbruck. In derselben Nacht wurde das betagte Ehepaar Popper in die Sill geworfen, konnte sich jedoch vor dem Ertrinken retten. Hilfeleistungen aus der Bevölkerung gab es kaum, die katholische Kirche bezog nicht Stellung.

Mindestens zweihundert Tiroler und Vorarlberger Juden erlebten das Jahr 1945 nicht – die Todesursachen reichten von den verzweifelten Selbstmördern des 12. März 1938 über die Toten der Novemberpogromnacht bis zu noch Mitte 1944 in Auschwitz-Birkenau vergasten Kindern. Von gut dreihundert ist bekannt, dass sie im Ausland oder auch im KZ überlebt haben; über siebzig Schicksale rassisch verfolgter Tiroler und Vorarlberger bleiben bis heute ungeklärt.

Nach 1945 kehrten nur wenige ältere Gemeindemitglieder wieder nach Innsbruck zurück, unter ihnen Rudolf Brüll. Brüll war 1946 aus dem KZ Theresienstadt zurückgekehrt und vom Land zum Ansprechpartner in jüdischen Belangen ernannt worden. Ab 1987 war Dr. Esther Fritsch Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg. Mit ihr entwickelte die Kultusgemeinde schon bald ein neues Selbstbewusstsein. Im Mai 2016 legte Fritsch nach 29 Jahren, die sie merklich geprägt hatte, ihr Amt nieder. Günter Lieder wurde zum neuen Präsidenten der IKG für Tirol und Vorarlberg gewählt.

Quellen und weiterführende Informationen, Termine, Ausstellungen: IKG Tirol & erinnern.at

Weiterführende Literatur u. a.: Horst Schreiber (Hg.) Der Anschluss in den Bezirken Tirols

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