Das jüdische Padua ist einen Abstecher wert

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Mit dem neuen jüdischen Museum ist die Stadt noch eine Facette reicher geworden. Reisebericht von Marta S. Halpert   

Der rechteckige große Raum ist spärlich beleuchtet an diesem Nachmittag. Nur die bunten Buchrücken werfen ein warmes Licht durch die Glasscheiben des großen Schranks. An den Seitenwänden hängen jeweils drei Stoffvorhänge in vergilbtem Rot, Blau und Grün. „Das sind antike Parochot (Torahschrein-Vorhänge), die wir verkehrt aufgehängt haben, weil es hier keine Torah-Rollen gibt und in diesem Gemeinschaftsraum profane Dinge geschehen“, lacht Rabbi Aharon Locci. Der 47-jährige Rabbiner der orthodoxen jüdischen Gemeinde in Padua trägt einen sportlichen Pullover und spricht über die Aktivitäten, die hier stattfinden. Ganz so unheilig geht es dann doch nicht zu, denn der gebürtige Römer hält hier seinen Unterricht für Groß und Klein ab.

„Das gemeinsame Lernen fördert sowohl den religiösen als auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

Rund 200 Mitglieder zählt seine Gemeinde, und bis zu 50 davon kommen jeden Sonntag zwischen 10 bis 11.30 Uhr zu den Shiurim. „Das gemeinsame Lernen fördert sowohl den religiösen als auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Unsere Juden suchen das Gefühl der Zusammengehörigkeit“, erzählt der Vater dreier Kinder. Seinen Unterricht muss Rabbiner Locci nach den Bedürfnissen, dem Wissensstand und den unterschiedlichen Altersgruppen staffeln. Es beginnt beim Studium der Gebete und des Sidur und reicht über den Shulchan Aruch bis zum Vertiefen in die Gemara. „Auch das nicht-jüdische Umfeld unserer Mitglieder zeigt Interesse an jüdischen Themen. Sie nehmen dann auch am Unterricht teil und zahlen dafür“, erläutert Locci.

Der umtriebige Rabbiner, der an der angesehenen Jeshiwath Hakotel in Jerusalem seinen Abschluss gemacht hat und aus einer italienischen Rabbinerdynastie stammt, erzählt gerne über seine Schäfchen und wie er bemüht ist, koscheres Fleisch und Lebensmittel aus Venedig oder Mailand herbeizuschaffen. Auch den ehrenvollen Vorsitz im Verband der Rabbiner Italiens erwähnt er gerne, aber „jetzt brennen wir für eine ganz andere Sache“, vermerkt er ungeduldig. Diese „Sache“ ist das erste jüdische Museum in Padua, das Ende Juni eröffnet wurde. Im Rahmen der Expo in Mailand, die noch bis 31. Oktober läuft, wurde auch das Projekt des Museums in Angriff genommen. „Wir liegen doch sehr zentral auf dieser touristischen Route Mailand, Bergamo, Verona, Padua – und von hier sind es nur noch 40 Minuten nach Venedig“, so Locci. Sieht man sich die reiche Geschichte dieser Stadt und ihrer jüdischen Gelehrten und Rabbiner an, fragt man sich, wieso diese dokumentarische Arbeit bis jetzt nicht in Angriff genommen wurde. Denn auch die Räumlichkeit, in der das neue Museum untergebracht ist, ist Teil der Historie dieser jüdischen Gemeinde. Es handelt sich um die erste aschkenasisch-deutsche Synagoge, die bereits 1525 in der Via delle Piazze 26 eingeweiht wurde und bis 1682 aktiv war. Erst 1548 wurde ganz in der Nähe die Synagoge nach italienischem Ritus eröffnet, das ist jene in der Via S. Martini e Solferino, wo Rabbi Locci heute tätig ist. Diese beiden Gebetshäuser wurden 1927 durch einen Großbrand beschädigt. Die italienischen Faschisten zerstörten 1943 noch die Überreste der deutschen Synagoge. Im Mai 1998 wurde diese restauriert und an die Gemeinde zurückgegeben, sie diente bis zur Eröffnung des neuen Museums als Mehrzweckhalle.

Jüdisches Padua

Die ersten jüdischen Ansiedelungen in Padua gehen auf das 11. Jahrhundert zurück. Mitte des 14. Jahrhunderts fand eine massive Einwanderung aus verschiedenen italienischen Städten nach Padua statt: Vor allem Studenten kamen hierher, um die rabbinische Akademie oder die medizinische Fakultät der Universität Padua zu besuchen, die als einzige jüdische Studenten zuließ. Zu den Tätigkeiten, die die Juden hauptsächlich ausübten, gehörten die Goldschmiedekunst und der Tuch- und Wollhandel. Bereits 1603 wurde die jüdische Gemeinschaft in einen von vier Straßenzügen begrenzten Wohnblock gezwungen: Das erste Ghetto war entstanden. Erst 1797, als die Franzosen nach Padua kamen, wurden die vier Ghettotore abgetragen. Die Blüte der jüdischen Lehre begann mit der Errichtung des Rabbinischen Kollegs, das 1829 eröffnet wurde. „Der in Padua geborene Rabbi Moshe Chaim Luzzato (1707–1746), auch „RaMCHal“ genannt, gilt als einer der größten Philosophen und Kabbalisten des 18. Jahrhunderts. „Da sehr viel historisches Material verbrannt ist, haben wir anhand der noch erhaltenen Dokumente einen Film mit zehn ausgewählten Porträts der jüdischen Persönlichkeiten Paduas produziert“, freut sich Rabbi Locci, „darin erzählen wir auch die Geschichte von Meir von Padua, dem in der Rheinland-Pfalz geborenen Meir ben Issac Katzenellenbogen, der nach seinem Studium in Prag auch die Jeshiwa in Padua besuchte, um später als Rabbiner den Gemeinden von Venedig und Padua vorzustehen.“

Den Weg zum ehemaligen Ghetto und dem neuen jüdischen Museum in Padua findet man leicht, wenn man das Auto auf der Piazza Yitzhak Rabin stehen lässt und durch die stimmungsvollen Arkaden schlendert. Touristisch gut platzierte Schilder weisen in die engen Gassen des jüdischen Viertels. Hinter den rot bemalten Außenmauern befindet sich im zweiten Stock die Lehrstube von Aharon Locci mit den antiken Parochot. Doch den verborgenen Schatz findet man im ersten Stock: Von der Straße nicht einsehbar, steht hier eine der schönsten Holzsynagogen Italiens aus dem Jahr 1548. Eine prächtige Bima mit Marmorsäulen, eine unbenützte Frauengalerie sowie ein ebenerdiges frequentiertes Frauenabteil mit dezentem Holzgitter. Hier beten jeden Freitag um die zwanzig Einheimische und immer wieder Besucher aus aller Welt. ◗

Bild: © Reinhard Engel

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