Gesellschaftlich toleriert, politisch belächelt und mit dem Antisemitismus oft alleingelassen, saßen nicht wenige Jüdinnen und Juden bis in die späten 1980er-Jahre auf gepackten Koffern. Jüdisches Leben in Österreich fand hinter verschlossenen Türen statt. Die Schoah? Im Selbstverständnis der Zweiten Republik war Österreich Opfer, das Schicksal der Juden und anderer Verfolgten war höchstens sekundär. Bis Bundeskanzler Franz Vranitzky die Zweite Republik in eine Ära der Aufrichtigkeit führte. „Es gibt eine Mitverantwortung für das
Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen und Völker gebracht haben“, sagte er 1991 im Nationalrat: „Wir bekennen uns zu allen Taten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen; und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen – bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten.“
Es ist in großem Ausmaß auf Vranitzky und auf große Persönlichkeiten in unserer Gemeinde zurückzuführen, dass wir heute jüdische Identität selbstbewusst in Österreich leben können. Seither ist viel passiert. In Zeitraffer: Die IKG Wien ist zu einer der sichersten jüdischen Gemeinden Europas geworden, deren Infrastruktur und Leistungen für alle Mitglieder beispiellos sind. Die demokratische Struktur, solide Finanzen, die erfolgreiche Sicherheits-, Schul- und Integrationspolitik machte die IKG zu einer verlässlichen Institution.
Das neue Gesetz soll das jüdische Wien, wie wir es kennen, für unsere Kinder und Enkelkinder erhalten.
Aber erst vor sechs Jahren erhielt diese Arbeit erstmals monetäre Anerkennung durch die Republik. Mit der damaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wurde ein Vertrag zur Förderung der Sicherheitsarbeit der Israelitischen Kultusgemeinde geschlossen. Unsere jährlichen Sicherheitsausgaben im Ausmaß von derzeit 3,7 Millionen Euro wurden mit bis zu 1,2 Millionen Euro gefördert. Ein Meilenstein.
Mehr als ein Meilenstein, sondern ein historischer Schritt ist die nun zwischen IKG Wien und Bundesregierung vereinbarte gesetzliche Absicherung. Es ist ein Projekt, von dem Bundeskanzler Sebastian Kurz immer schon überzeugt war. Im September 2020 gipfelten die beiderseitigen Bemühungen in der historischen Vereinbarung mit Bundeskanzler Kurz, Vizekanzler Kogler, Innenminister Nehammer und Kanzleramtsministerin Edtstadler: Die Republik wird jüdisches Leben mit jährlich vier Millionen Euro absichern. Die Regierung bringt dafür eine Gesetzesinitiative auf den Weg. Damit wird Judentum als selbstverständlicher Teil Österreichs noch stärker gesetzlich verankert. Mit diesen Mitteln kann der bisherige Umfang der Leistungen in den Bereichen Sicherheit, Jugend, Bildung und Schulen, Sozialarbeit, Kultur etc. für unsere Kinder erhalten werden. Pandemiebedingt befinden wir uns in einer schwierigen Situation, aber eines steht mit Gewissheit fest: Gemeinsam werden wir diese Krise meistern und gestärkt daraus hervor gehen – noch im Jahr 5781. Shana tova umetuka