Der Titel der neuen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien (JMW) Schwarze Juden, Weiße Juden? klingt zwar nach einer Provokation, das ist sie aber ganz und gar nicht. Im Gegenteil, diese Ausstellung klärt auf, räumt vieles weg und revidiert faktenbasiert unsere über Jahre eingeprägten Denkmuster. Der Untertitel Über Hautfarben und Vorurteile bringt die Botschaft klarer zum Ausdruck: Hier wird aufgezeigt, wie Zuschreibungen von Hautfarbe mit Rassismus und Antisemitismus verknüpft sind.
Wodurch unterscheidet sich Rassismus von Antisemitismus? Wie fühlt es sich an, wenn man als Fremdling behandelt wird, ohne sich selbst fremd zu fühlen? Hier gibt es jetzt eine historisch-fundierte Schau, die von aufschlussreichen Dokumentationen, Bildern und Videos lebt, aber vor allem durch Installationen jener internationaler KünstlerInnen berührt, die zum Teil Jews of Colour sind und daher selbst schmerzliche Erfahrungen bei ihrer Identitätssuche gemacht haben. Die bewegendsten Momente bei der Presseführung durch die Ausstellung durfte ich erleben, als die anwesenden Künstlerinnen, Ella Cooper aus Kanada, Leonore Cohen aus den USA, Sheri Avraham, in Wien lebende Israelin, sowie Aaron Silver aus Minnesota ihre eigenen Werke vorstellten: Ihr kreatives und praktisches Kunstwissen ermöglichte es ihnen, ihre Gefühle, ihre Verletzungen und sogar ihre Narben zu zeigen.
Die Ausstellung „Schwarze Juden, Weiße Juden?“
im Jüdischen Museum Wien
vom 22. Oktober 2024 bis 26. April 2026
Bereits vor einigen Jahren las Barbara Staudinger, Direktorin des JMW einen Zeitungsartikel, der sich mit der veränderten Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden in den USA befasste. „Es ging darum, wie sie von als nicht weiß wahrgenommenen Menschen zu Superweißen wurden, die angeblich mit allen Privilegien ausgestattet sind und die Welt im Hintergrund regieren“, berichtete sie bei der Ausstellung. Ihr war klar, dass die Diskussion in den USA früher oder später auch nach Deutschland und Österreich kommen werde und so habe sie begonnen, über eine
Ausstellung zum Thema nachzudenken. „Jetzt stehen wir da und die Ausstellung ist aktueller denn je“, so Staudinger in Bezug auf die ‚Beschleunigung der Diskussion durch den Krieg in Gaza‘. „Denn wer hätte sich vor ein paar Jahren vorstellen können, dass alle Jüdinnen und Juden als zionistische, weiße Colonizer bezeichnet werden. Jetzt ist es Realität, auch in Wien, und genau jetzt müssen wir deswegen darüber diskutieren.“

Chefkurator Hannes Sulzenbacher ergänzte: „Wenn man eine Hautfarbe einfach nur hätte, dann müsste man keine Ausstellung darüber machen. Das Problem ist, dass mit der Hautfarbe eine Welle von Zuschreibungen, Vorurteilen und Implikationen verbunden werden. Die Farbe der Haut begründet die Ordnung der Welt. Welche Hautfarbe haben aber denn nun Jüdinnen und Juden?“ Dieser Frage widmete er sich mit seinen Co-Kuratoren Tom Juncker und Daniela Pscheiden sowie der Gastkuratorin Vanessa Spannbauer. Dabei geht es nicht um die konkrete Beantwortung dieser Frage, denn sie liesse sich außerhalb rassistischer Denkweisen gar nicht beantworten. Vielmehr erzählen künstlerische Positionen und historische Objekte, dass Jüdinnen/Juden als Gruppe, Minderheit oder „Rasse“ je nach Zeit, Ort und Perspektive ganz unterschiedlich gesehen wurden: als Weiße oder Nicht-Weiße, als Schwarze oder Nicht-Schwarze, als Diskriminierte oder als Diskriminierende, als Kolonisierte oder Kolonisatoren.
Dabei beziehen sich „Schwarz“ und „Weiß“ in den Ausstellungstexten nur bedingt auf die Hautfarbe, wie es auf einer Hinweistafel zum Sprachgebrauch heißt. „Vielmehr stehen sie für soziale Vorurteile und Zuordnung von Eigenschaften in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft.“ Daher werden beide Begriffe bewusst groß geschrieben, wenn sie auf soziale Konstruktionen hinweisen. Diese Widersprüchlichkeit macht nicht nur deutlich, wie sehr „Rasse“ eine gesellschaftliche Konstruktion ist, die allerdings bis heute das Leben von Menschen prägt und negativ bestimmt. Sie zeigt auch, dass die Beschäftigung mit jüdischer Identität zwischen Selbstdefinition, Antisemitismus und Rassismus ein Weg ist, eigene stereotype Vorstellungen zu hinterfragen und das rassistische Weltbild womöglich zu sprengen.

Brisante Aktualität erhielt die Ausstellung durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den danach folgenden Krieg in Gaza. War die Frage nach einer „White supremacy“ (weiße Vorherrschaft) von Jüdinnen und Juden noch vor ein paar Jahren, wie Staudinger feststellte, nur eine US-amerikanische akademische Debatte, werden heute Jüdinnen und Juden in öffentlichen Diskursen häufig als „privilegierte Weiße Kolonisatoren“, bezeichnet. Diese Zuschreibungen blenden jedoch historische Erfahrungen und gegenwärtige Realitäten antisemitischer Diskriminierung aus. „Schwarze Juden, Weiße Juden?“ will dem etwas entgegensetzen und lenkt einen differenzierten Blick auf das Thema.
Das beste Beispiel für diese sozial aufgepfropfte Absurdität zeigt Ben Younger, der US-amerikanische Filmdrehbuchautor, in einem Instagram-Video, wo er die aktuellen Anwürfe gegen Israelis und Juden infolge des Massakers vom 7. Oktober und des Gaza-Krieges pointiert auf den Punkt bringt: Eine ganze Reihe Israelis unterschiedlicher ethnischer Herkunft sprechen nacheinander den Satz „I am a White Colonizer“ (Ich bin ein weisser Kolonisator) sarkastisch in die Kamera. Damit erinnert und verdeutlicht der Künstler, dass zwei Drittel der israelischen Bevölkerung People of Color sind.

Allgemeinwissen ist, dass die Menschen untereinander den zerstörerischen und spaltenden Rassismus ausüben: Aufgrund von tatsächlichen oder zugeschriebenen körperlichen Merkmalen bewerten und entwerten sie diese gewissenlos. Gerade deshalb spielt die Hautfarbe als vermeintlich offensichtlichste Unterscheidung zwischen Menschen eine besondere Rolle: Bis heute ist sie eines der schlagkräftigsten Kriterien, um Zugehörigkeit zu bestimmen und um Ausgrenzung zu rechtfertigen.
Die Ausstellung spannt keinen chronologischen aber sehr weiten historischen Bogen: Die einzelnen Kapitel untersuchen, in welchen Zusammenhängen Jüdinnen und Juden bestimmte Hautfarben zugeschrieben wurden und werden: Angefangen von den „Rassentheorien“ des 19. Jahrhunderts; koloniale Diskurse; die rassistische Ideologie des Nationalsozialismus, erwünschte Orientalisierung sowie schwarze jüdische Communities in Afrika und den USA. Dem gegenüber stehen auch innerjüdische Debatten über Hautfarbe und Identität, reale Bedrohung durch Ausgrenzung und Diskriminierung. Exkurse widmen sich u.a. äthiopischen und chinesischen Juden, die syrisch-amerikanische Künstlerin Lenore Cohen beschäftigt sich in einer Installation mit dem Verschwinden arabisch-jüdischer Vornamen und berichtet über die große Gemeinschaft der syrischen Juden in den USA.

Ein weißes Mädchen vor einem Regal voller schwarzer Puppen, fünf Asiatinnen, die sich von weißen Amerikanerinnen die Füße pflegen lassen oder ein junger schwarzer Mann im Superman-Kostüm: Schon im ersten Raum der neuen Ausstellung spielt das Jüdische Museum Wien mit Zuschreibungen und Vorurteilen, um zu verdeutlicht, wie sich der Blick auf die Hautfarbe historisch entwickelt hat.
Ein Beispiel dafür, dass man gegen jede Art von Ausgrenzung gemeinsam kämpfen muß, liefert der in Minnesota, USA lebende Künstler Aaron Silver: „Black Lives Matter“ heißt seine 2016 entstandene Arbeit. Sie zeigt einen Scherenschnitt, mit einem Tallith (Gebetsschal), der den bekannten Schriftzug in der Mitte umhüllt. Silver hat auch einen hebräischen Text eingeschnitten. „Der Mord an George Floyd passierte ganz in meiner Nähe und ich war schockiert, dass meine jüdische community nicht gebührend darauf reagiert hat“, erzählt Silver. „Deshalb habe ich diesen Poster überall aufgehängt, auch in der Synagoge, ich wollte mit der Aktion irritieren und wachrütteln.“























