Katriel Schory: „Vom eigenen Leben in Israel erzählen“

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Das Interesse am israelischen Film ist größer denn je. Warum das so ist, erzählt der Direktor des Israel Film Fund, einer der Väter dieses Erfolges, im Gespräch. Von Marta S. Halpert

wina: Zwischen 2008 und 2010 sind drei israelische Spielfilme für den Academy Award, den Auslands-Oscar nominiert worden, darunter Waltz with Bashir, Beaufort und Ajami. Zum ersten Mal in der Geschichte des israelischen Films hat der Streifen Lebanon den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen und weltweit noch weitere 25 Auszeichnungen eingeheimst. Woher kommt diese große Anerkennung für den israelischen Film?

Katriel Schory: Dieser Erfolg hat viele Namen und es steckt viel harte Arbeit dahinter. Es handelt sich hier um eine Entwicklung, die vor rund 15 Jahren begonnen hat. 1999 wurde ich gebeten, die operative Leitung des Israel Film Fund zu übernehmen und eine Rettungsaktion für die darniederliegende Filmindustrie zu starten.

wina: Sie selbst haben nach Ihrer Rückkehr aus den USA mehr als 200 Filme in Israel produziert, die auch ausgezeichnet wurden. Jetzt kümmern Sie sich aber nur mehr um die Filme der anderen?

KS: Ja, ich habe das Potenzial in Israel erkannt und mich seither dieser Rettungsaktion gewidmet. Erstens war es wichtig, intensivstes Lobbying für den israelischen Film in Israel selbst zu betreiben. Nach zwei Jahren, nämlich 2001, ist es uns dann nach großen Anstrengungen gelungen, ein Gesetz in der Knesset durchzubringen, in dem das israelische Parlament zum ersten Mal das Kino als legitime Kunstform akzeptiert. Und wenn wir eine Kunstform sind, dann müssen wir genau so gefördert werden wie das Theater, die Musik oder der Tanz. So verwandelte sich der israelische Film von einem Stiefkind in ein legitimes Kind der israelischen Kultur.

„Uns ist es gelungen, ein Gesetz in der Knesset durchzubringen, das Kino als legitime Kunstform akzeptiert.“

wina: Was hat sich dadurch geändert?

KS: Das ermöglichte uns, Strukturen aufzubauen und ein Fünfjahresbudget zu erstellen. Das war ein großer Erfolg, denn jetzt konnten wir gut vorausplanen und uns um ein starkes Aufbauprogramm kümmern. Unser Budget stieg auf sieben Mio. Euro, das war das Dreifache als zuvor. Und wir haben gemeinsam mit der Industrie die Art, wie wir lesen und aussuchen, komplett geändert.

wina: Was bedeutet das im Detail?

KS: Wir haben den Israel Film Fund für alle Geschichten, Ideen und Projekte ganz weit geöffnet: Wir haben Autoren und Filmemacher aus ganz Israel, aus allen kulturellen und gesellschaftlichen Schichten dieses bunten Landes, in dem wir leben, eingeladen. Wir sind über die Tel Aviver Filmgemeinde hinausgegangen, und das hat eine Fülle an neuen Ideen und frischen Wind hereingebracht. Wir haben die Strukturen für Marketing und Vertrieb in Israel umgekrempelt, und erst als der neue israelische Film im Land selbst akzeptiert wurde, konnten wir für den Sprung in die Welt auch das nötige Geld aufstellen.

wina: Wie haben Sie diesen Sprung auf den internationalen Markt geschafft?

KS: Das Wichtigste war zuerst, den israelischen Kinofilm im eigenen Land zu etablieren, denn man braucht eine starke Heimbasis, ehe man auf die Weltbühne tritt. Dann folgte der internationale Markt – ich ging zu allen Filmfestivals, um den israelischen Spielfilm vorzustellen. Ich habe aber gewartet, bis wir zwei, drei herausragende Filme hatten, um auf der Weltbühne adäquat aufzutreten.

wina: Welche Filme waren das?

KS: Dazu zählten Late Marriage (2001), Broken Wings (2002) oder Time of Favor (2000) in der Regie von Joseph Cedar, dessen jüngster Film Footsteps 2012 bei den Auslands-Oscars in Los Angeles unter den ersten fünf gereiht war. Wenn Sie sich den Erfolg des israelischen Films in den letzten zehn, zwölf Jahren ansehen, merken Sie, dass es meist Debütfilme sind. Das heißt, unser Konzept ist voll aufgegangen, weil wir trotz hohem Risiko jungen aufstrebenden Leuten eine Chance gegeben haben. Das ist auch eine hohe Anerkennung für die Filmschulen in Israel, denn alle Regisseure haben hier studiert.

wina: Sind die israelischen Filme thematisch noch immer vom politischen Konflikt dominiert?

KS: Nein, da ist auch ein großer Wandel eingetreten. Die ältere Generation an Filmemachern wollte immer wieder mit den Filmen Flagge zeigen und politische Botschaften aussenden. Die Generation der Jungen hat dieses dringende Bedürfnis nicht mehr. Die jüngeren Regisseure wollen vom eigenen Leben in Israel erzählen. Sie beschäftigen sich mit Themen, die ihnen nahe liegen, wie z. B. der gesellschaftliche Konflikt im Land zwischen den Religiösen und den Säkularen oder die kulturellen Unterschiede zwischen den vielen Neueinwanderern. Das heißt aber nicht, dass die heutigen Filme unpolitisch sind.

wina: Der neue, großartige Film Bethlehem von Yuval Adler wurde auch von Deutschland mitfinanziert. Wer interessiert sich in Europa am meisten für israelische Produktionen?

KS: Wir bekommen jedes Jahr um die 200 Skripts vorgelegt. 2013 reicht unser Budget nur für 12 bis 14 Spielfilme. Vor sechs Jahren musste ich den Leuten durch die Korridore von Berlin, Cannes, Venedig und Toronto nachlaufen und darum betteln, dass sie sich einen israelischen Film anschauen. Heute rufen die Filmeinkäufer und Verleihfirmen uns an, kommen vier bis fünf Mal im Jahr nach Tel Aviv, weil sie neugierig sind und wissen wollen, was es Neues gibt. Unsere Kooperationspartner kommen zu allererst aus Frankreich, Deutschland, Belgien, Kanada und Polen. In Deutschland gibt es auch viele regionale Stiftungen, die Projekte mitfinanzieren.

wina: Interessiert man sich auch in Österreich für den israelischen Film?

KS: Ja, ich persönlich habe sehr gute Kontakte, u. a. zu Roland Teichmann, den Direktor des österreichischen Filminstitutes, zum Filmfestival in Graz, wo ich schon Vorträge gehalten habe. Und jetzt stehen wir mit Österreich vor einer ganz wichtigen Vertragsunterzeichnung auf ministerieller Ebene: Unsere beiden Länder beschließen eine Kooperation, die es israelischen und österreichischen Produzenten erleichtern wird, gemeinsame Produktionen zu machen.

wina: Aus welchem Talentepool kommen die israelischen Filmemacher?

KS: Die große Zahl an guten Drehbuchautoren verdanken wir dem israelischen Privatfernsehen. In den letzten zehn Jahren stieg die Nachfrage nach Dramen und Serien stark an, und diese Entwicklung brachte eine ganze Gruppe von Autoren hervor, die jeden Morgen aufwachen und gleich Ideen für das TV parat haben. Israel ist klein, und deshalb gibt es diese positive Synergie zwischen Fernseh- und Filmautoren.

wina: Hat das israelische Kino bereits ein besonderes Markenzeichen?

KS: Seit ich den Israel Film Fund leite, habe ich 197 Spielfilme autorisiert. Ich glaube, wir sind am besten Wege, uns als Markenzeichen zu etablieren. Denn schon jetzt erkennen viele Fachleute nach drei, vier Minuten, aha, das ist ein israelischer Film. Dabei geht es um cinematografische Merkmale, nicht um ein oder das politische Thema. Ein maßgebendes Charakteristikum ist, dass wir kaum Buchverfilmungen machen: Neunzig Prozent aller Geschichten kommen aus dem persönlichen Erfahrungsbereich der Filmemacher.

Big-Bad-Wolves_ekBig Bad Wolves

Eine Serie brutaler Morde bringt die Leben dreier Männer auf Kolisionskurs: Als eines Tages der kopflose Körper eines kleinen Mädchens im Wald gefunden wird, ist sich der über die Maßen verärgerte Polizist namens Miki sicher, dass der schüchterne Schullehrer Dror für diese Tat und eine ganze Reihe von Kindermorden verantwortlich ist. Mit Entführung und Gewalt versucht er diesem ein Geständnis zu entlocken. Zu Hilfe ist ihm dabei Gidi, der Vater des ermordeten Mädchens, der sich auf einem Rachefeldzug gegen den Peiniger seiner Tochter befindet.

Big Bad Wolves (Wer hat Angst vorm bösen Wolf) der israelischen Regisseure Navot Papushado und Aharon Keshales scheint Oscar-Qualität zu besitzen. Dieser Meinung sind nicht nur die Experten, auch Hollywood-Größe Quentin Tarantino (Django Unchained) lobte das Werk bei einer Aufführung am Busan International Film Festival in Südkorea und erklärte es zum „besten Film des Jahres“. – R.M.

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