Keim der Hoffnung

Ende 2021 besuchte eine Delegation des Jewish Diplomatic Corps des World Jewish Congress die Vereinigten Arabischen Emirate. Mit der Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Emiraten wird auch der Umgang mit der jüdischen Welt neu gestaltet. Ein Gespräch mit IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele über seine Eindrücke dieser Reise.

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Vor der Sheikh Zayed Grand Moschee in Abu Dhabi: Benjamin Nägele bei der Delegationsreise in den Emiraten.

WINA: 2020 wurde zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten ein Friedensvertrag unterzeichnet. Nun bereiste das Jewish Diplomatic Corps, dem Sie angehören, Abu Dhabi und Dubai. Wie ist das politisch zu bewerten?
Benjamin Nägele: Dieses Friedensabkommens war die Grundlage und der Beweggrund unserer Delegationsreise. Man betritt Neuland, indem man Beziehungen mit Ländern aus einer Region wiederaufleben lässt, in der es lange ein Spannungsfeld mit Israel und damit vermeintlich auch ein Spannungsfeld mit der jüdischen Welt insgesamt gab. Und nun wird ausgelotet, welche Auswirkungen die normalisierten Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten eben auch auf die Beziehungen zur jüdischen Welt bringen könnten.

Was hat Sie bei dieser Reise am meisten überrascht?
I Es hat mich vieles positiv überrascht: zum einen, dass einige meiner Vorstellungen von dieser Region teilweise auf falschen Annahmen beruhten, wie eben dem Spannungsfeld mit Israel, aber auch den Erfahrungen mit islamistischem Terror, der aus Teilen der Region gefördert wird und der auch in Europa steigt, sowie dem alltäglichen Antisemitismus, dem Juden auch in Wien begegnen. Und andererseits dann zu sehen, wie sicher eine jüdische Gemeinde gerade in dieser Region leben kann, aber auch, wie warm und herzlich unsere Delegation empfangen wurde. Ich habe schon an vielen ähnlichen Delegationen teilgenommen, es aber noch nie erlebt, dass sich hier 40 Personen, die auch als jüdisch erkennbar sind, eine ganze Woche ohne jegliche Security bewegen können. Es war schön zu sehen, dass das ausgerechnet in einem arabischen Land und in dieser Region möglich ist, und eine traurige Erkenntnis, dass das in Europa und auch im eigenen Land nicht mehr möglich ist.

Neuland betreten: Delegationsreise der World Jewish Congress in Dubai und den Vereinigten Arabischen Emirate nach dem hististorischen Friedensabkommen 2020: Besuch des Israel Pavillon auf der EXPO in Dubai (o. li.); die Königsfamilie und Scheich Nahayan Mabarak Al Nahayan, Minister für Toleranz, im Austausch mit der
Delegation (o. re.); der Staatsminister für Außenhandel Thani bin Ahmed Al Zeyoudi im Gespräch

Und wie sicher fühlt man sich, wenn man allein etwa in Dubai auf der Straße unterwegs ist und Kippa trägt?
I Zu 100 Prozent sicher. Es gibt kaum einen anderen Ort, an dem ich mich mit Kippa so sicher gefühlt habe. Das hat mich persönlich selbst überrascht. Wir hatten auch eine Führung durch den Shuk, und immer wieder kamen Jugendliche, die offensichtlich Locals waren, die einfach nur gelächelt haben, gewunken und „Shalom“ gerufen. Die Sicherheit ist in den Emiraten grundsätzlich sehr hoch, aber auch, wenn man als jüdische Person wahrgenommen wird, wird man willkommen geheißen, in jedem Kontext, ob das nun bei Treffen mit Ministern, NGOs oder auch im privaten Rahmen ist. Es gab ausnahmslos positives Feedback.

Was waren die wichtigsten Zusammenkünfte auf politischer und diplomatischer Ebene?
I Für mich persönlich war es das Zusammentreffen mit der jüdischen Gemeinde, die sich gerade konstituiert und ihre Strukturen aufbaut. Darüber hinaus sehr beeindruckend und informativ waren auch die Termine mit ranghohen Politikern und Ministern, etwa dem Handelsminister Tani Al Zeyoudi. Wir haben aber auch ein Mitglied der Königsfamilie kennenlernen dürfen, Scheich Nahyan bin Mubarak Al Nahyan, der Minister für Toleranz und Koexistenz ist. Dass es für diesen Bereich einen Minister gibt, zeigt auch, welchen Stellenwert dieses Thema hat. Das Interesse am Gegenüber und der gezeigte Respekt gehen hier spürbar über die Förmlichkeit der diplomatischen Gastfreundschaft hinaus.

„Nun wird ausgelotet, welche Auswirkungen die normalisierten Beziehungen
zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten eben auch auf die Beziehungen zur jüdischen Welt bringen könnten.“
Benjamin Nägele

Sie haben auch die jüdische Gemeinde in Dubai besucht. Wie sehen die Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in den Vereinigten Arabischen Emiraten aus?
I Grundsätzlich muss man sagen, dass die Toleranz gegenüber anderen Religionen und Kulturen groß ist. In Abu Dhabi wird derzeit das Abrahamic Family House errichtet, ein Gebäudekomplex, in dem eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee in selber Größe nebeneinander gebaut werden. Das empfand ich als stellvertretend für das, was dieses Land heute repräsentiert: Toleranz.
Was die jüdische Gemeinde betrifft: Es haben auch vor Unterzeichnung des Friedensvertrags mit Israel schon einige Israelis dort gelebt, das waren aber nur Menschen mit einer Doppelstaatsbürgerschaft und das Praktizieren des Judentums war nur im Privaten möglich. Nun aber institutionalisiert sich da eine jüdische Gemeinde, die mittlerweile auch Teil des World Jewish Congress ist, einen Minjan hat und regelmäßig einen Schabbat-G-ttesdienst macht. Es gibt bereits ein koscheres Catering, und der Aufbau einer koscheren Infrastruktur wird auch staatlich gefördert. Es ist sehr bewegend zu sehen, wie da eine neue Gemeinde entsteht. Und ich hoffe, dass es in Zukunft auch zu einem engen Austausch mit der jüdischen Gemeinde Wien kommt.

Was lässt sich aus diesen nun intensivierten Beziehungen mit einem arabischen Staat für die Beziehungen mit anderen arabischen beziehungsweise muslimisch geprägten Ländern aus jüdischer Sicht lernen?
I Einerseits, dass Frieden möglich ist, egal, in welchem Spannungsverhältnis die Länder in den Jahrzehnten zuvor waren. Es nährt aber auch die Hoffnung, dass das ein Gamechanger zum Positiven in der gesamten Region ist. Auch andere Länder in der Region finden wieder zu Beziehungen mit Israel, man besinnt sich zurück auf das Gros an Gemeinsamkeiten, die viel größer sind als die Kleinigkeiten, die zu Spannungen führen. Schön wäre, wenn dadurch das Judentum, das es in der Geschichte in der gesamten Region gab, wieder aufleben würde.

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