Kerzen in der Finsternis

So wie das Böse sich anschleicht, kann auch das Gute Einzug in unseren Alltag halten. Warum versuchen wir es nicht einmal mit Zusammenhalt?

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Die Zeiten sind dunkel, nicht nur politisch. Sich selbst zu motivieren, fällt schwer, es ist grau, es ist kalt, die Tage werden länger, aber nicht lang genug, um aufatmen zu können. Die guten Vorsätze sind bei manchen schon vor den Füßen zerschellt wie stürzender Tannenbaumschmuck. Und im Außen? Die Welt hat beschlossen, völlig wahnsinnig zu werden. Und dann noch dieses Gefühl: Wozu sich motivieren, weshalb, die Welt rollt zügig zu einem Abgrund, wie soll man sich diesem Rollen denn noch entgegenstemmen? Mit welcher Kraft? Es rollen doch so viele freudig mit, dem eigenen Absturz entgegen … Hat man also wirklich noch die Geistesstärke, um gegenzuhalten? Will man wirklich um die roten Linien kämpfen, die mehr und mehr verrutschen? Richtung Antisemitismus in altneuen Kleidern. Richtung Autokratie, der Meinungsunfreiheit, Richtung Oligarchen und ihren Wünschen; lauter Richtungen, die man nie einzuschlagen gedachte? Warum also, als kleine Einzelperson, warum nicht einfach aufgeben, sich in das große Zusammenbrechen fügen? Die Antwort ist simpel: Man kämpft nicht nur für das große Ganze, man kämpft natürlich auch für sich. Für seine Kinder. Für seine Freunde. Für das, was das Private ist, denn das Private wird das Nichtprivate zwangsläufig berühren, so wie die Entwicklung gerade läuft.

 

Wir sind nicht von allen guten Geistern verlassen.
Denn wir haben uns. Und wir sollten
dieses Gemeinsame hegen […].

 

Wir müssen uns in dieser Zeit, die so dunkel scheint, ein wenig Rückhalt geben. Ein bisschen aufeinander schauen. Über kleinere Auseinandersetzungen hinwegsehen. Über geringergradige Kränkungen. Draußen lauern die viel, viel größeren Kränkungen, Schädigungen, Gefahren. „Wir“ – das bedeutet nicht unbedingt Gleichgesinnte, aber jedenfalls empathisch aufeinander Schauende. Du musst nicht zu 100 Prozent meiner Meinung sein. Und ich nicht deiner. Diese Divergenz müssen wir wieder aushalten lernen. Solange die Divergenz die roten Linien nicht überschreitet, nach deren Rubikon-Querung man einfach nicht mehr miteinander können wird. Ja, das ist nach dem 7.10. auch in meinem Freundeskreis leider geschehen. Und es hat sehr geschmerzt. Aber. Die Herausforderung wäre, sich nicht diesem Schmerz zu ergeben. Das bedeutet zwar auch, diesen Schmerz nicht zu verdrängen, nicht kleinzureden, zu ignorieren oder gar lächerlich zu machen. Ja. Er ist da und muss durchtaucht werden. Aber: Wir alle brauchen auch ein Gegengewicht. Das Gegengewicht errichtet man unter anderem in lauter kleinen Schritten.

So wie das Böse sich anschleicht, so kann auch das Gute Einzug halten. Sich gegenseitig fragen, wie es geht. Hilfe anbieten, dort, wo man nicht sicher ist, ob sie gebraucht wird. Sich in Erinnerung rufen, dass auf jede antisemitische Schmiererei das Gegengewicht so aussieht: in Menschen, die sich, als Juden und auch als Nichtjuden, an Mahnwachen beteiligen, die sich lautstark zu Zusammenhalt bekennen. In Menschen, die mit einer und einem gemeinsam aufstehen. Wir sind nicht von allen guten Geistern verlassen. Denn wir haben uns. Und wir sollten dieses Gemeinsame hegen wie ein kleines flackerndes Licht, das wir von Heim zu Heim tragen, um dort dicke Wachskerzen zu entzünden, an deren Honigduft wir uns sättigen können.

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