Wiener Jugendliche aus der zionistischen Bewegung Haschomer Hatzair unternehmen eine Reise in eine andere Welt und bringen den Kindern von Barta’a ein wenig Hoffnung für ihre Zukunft. Von Avia Seeliger
Kein Militär, kein Stacheldrahtzaun und kein Graben umgibt das kleine arabische Dorf Barta’a im Norden Israels. Die Sonne steht strahlend am blauen Himmel, als wir das erste Mal dort ankommen. Doch schnell wird uns klar, welche Tragik dieser Ort in sich birgt. Das Dorf wird direkt hinter dem Bazar Barta’as entzweit – die eine Hälfte liegt auf international anerkanntem Gebiet Israels, die andere befindet sich in der Westbank, den sog. besetzten Gebieten. Das Schicksal der Kinder Barta’as kommt also auf jeden Meter an: Während die einen gleich bei der Geburt einen israelischen Pass bekommen, müssen die anderen hinter der „Green Line“, der Trennlinie Israels von der Westbank, um ihre Zukunft bangen. Es ist das Schicksal einer ganzen Nation, das sich hier abzeichnet.
Wir spazieren von unserem Minibus Richtung Schulgebäude – der Boden ist schmutzig, es riecht nach Urin, und ein paar Straßenkatzen laufen an uns vorbei. Neugierige Augenpaar starren aus den Fenstern des Schulhauses zu uns herüber, wir werden schon erwartet. Als wir das erste Mal die Klasse betreten, kommt uns ein tosender Lärm entgegen, jeder will uns als Erster begrüßen und uns willkommen heißen. Wir stellen uns vor und beginnen gleich unsere erste Englischstunde mit Kennenlern- und Wortspielen.
Unsere Schülerinnen und Schüler stammen alle von demselben Clan ab, sie sind alle Kabahas, das einzige, was die einzelnen Familien trotzdem von einander unterscheidet, sind ihre Papiere. Die „israelischen“ Kabahas dürfen sich überall frei bewegen – die Welt steht ihnen offen. Die Kabahas aber, die nicht das Glück haben, im Besitz eines israelischen Passes zu sein, dürfen nicht einmal in den anderen Teil ihres Dorfes, ohne sich davor eine Einreisebestätigung des Militärs geholt zu haben. Ein tiefer Riss im Herzen des Clans um das Dorf Barta’a, der die Bevölkerung spaltet.
Wenn wir in unseren blauen Hemden, auf denen ein riesen Magen David mit der Unterschrift „Haschomer Hatzair“ auf dem Rücken prangt, durch die Straßen laufen, sehen wir nur freundliche und lachende Gesichter. Zwei Kindergarten-Mädchen verfolgen uns kichernd, Mütter stehen auf ihren Terrassen und winken, Väter nicken uns zustimmend im Vorbeigehen zu. Wir fühlen uns willkommen und erwünscht. Wir sind Teil eines für den Haschomer Hatzair sehr wichtigen Projektes, das bereits seit ein paar Jahren läuft. Es ist ein Friedensprojekt, in dem wir, jüdische Jugendliche aus ganz Europa und Nordamerika, palästinensischen Kindern spielerisch Englisch-Unterricht geben und verschiedene „Chuggim“ (Workshops) halten. Der Dialog und die Auseinandersetzung mit der jeweils anderen Kultur stehen im Fokus.
Grenzenlose Gastfreundschaft
Nach einem langen Schultag kommen wir bei unserer Schülerin Shatha zuhause an, der Tisch ist voll beladen mit Essen, die ältere Schwester und Mutter stehen noch in der Küche, der Vater liegt auf dem Sofa und sieht fern, und der kleine Bruder läuft energiegeladen und einen Fußball kickend durch das Haus. Shatha legt ihr Kopftuch ab und hilft den beiden Frauen – uns ist es nicht erlaubt, auch nur einen Finger zu rühren. Getrunken wird erst nach dem Essen, Tee und Kuchen folgen, am Tisch geblieben wird so lange, bis der Hausmann sich seine Zigarette anzündet und das Mahl somit beendet. Ich muss dreimal wiederholen, dass ich keinen Hunger mehr habe, bis die Familie aufhört, mir Essen auf meinen Teller zu türmen. Mein gemurmeltes „Toda, shukran“ klingt wohl unhöflich in ihren Ohren.