Kleine Schritte

In der chassidischen Gesellschaft gibt es klare Rollenbilder. In Borough Park zeigt die Juristin Ruchie Freier, was dennoch möglich ist.

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Ruchie Freier dokumentiert die Enstehung eines weiblichen Rettungsdienstes. © 93queen.com/ 2018 Malka Films LLC

Die Hatzohla in New York ist weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Dieser jüdische Rettungsdienst ist nicht zuletzt auch Vorbild für die seit einigen Jahren bestehende Hatzule Wien. Vor allem streng orthodox lebende Jüdinnen und Juden verlassen sich lieber auf die Hatzohla, bevor sie eine herkömmliche Rettung rufen. In der chassidischen Gemeinde in Borough Park, in der strikte Geschlechtertrennung gelebt wird, hätten sich einige Frauen aber wohler gefühlt, wäre im Notfall – vor allem, wenn es um eine Geburt geht – eine Sanitäterin zu ihnen gekommen. Den Vorschlag, die Hatzohla solle auch Frauen aufnehmen, wies der rein männlich besetzte Rettungsdienst vehement zurück.
So initiierte eine Gruppe von Frauen rund um die Juristin Ruchie Freier – sie ist inzwischen auch die erste chassidische Richterin in New York – die Gründung eines rein weiblichen Rettungsdienstes. Die US-Filmemacherin Paula Eiselt hat mit ihrem Film 93Queen die Entstehung von Ezras Nashim dokumentiert. Vier Jahre arbeitete sie an dieser Dokumentation, die sie auch weitgehend selbst filmte.

93Queen.
Ein Dokumentarfilm
von Paula Eiselt.
85 Min., USA, 2018

Die chassidische Gesellschaft macht um Mainstream-Medien einen großen Bogen. Es brauchte daher eines besonderen Vertrauensverhältnisses, damit Freier dem Film zustimmte. Eiselt brachte das nötige Verständnis für die sensible Materie mit. Sie verstehe sich hier als Brücke, sagt sie: Die chassidischen Frauen konnten so ihre Geschichte aus ihrer Perspektive erzählen. Hätten völlig Außenstehende berichtet, wäre die Botschaft wohl eine ganz andere geworden.
So ermöglicht Eiselt, den Kampf von Frauen um Selbstbestimmung zu zeigen, die sich dennoch nicht als Feministinnen sehen. Freier sagt in dem Film dazu, Feminismus in der säkularen Welt bedeute die Gleichstellung von Mann und Frau. Als chassidische Frau erkenne sie aber die Unterschiede, die es gebe, an. Nur so ist es auch zu verstehen, dass sie in ihrem Bemühen, einen weiblichen Rettungsdienst einzurichten, versucht, nicht alles über den Haufen zu werfen, obwohl sie Spielregeln bricht. So lässt sie ledige Frauen nicht als Sanitäterinnen zu – und weist auch eine junge Frau ab, die bereits Erfahrung in einem Rettungsdienst vorweisen kann. Das führt zu Zwist im Frauenteam, doch Freier lässt sich nicht beirren. Schließlich weiß sie um den Balanceakt, den sie hier zu vollbringen versucht.

Sie ist es auch, die als Gallionsfigur der Bewegung viel aufs Spiel setzt. Und sie ist es, die mit dem Hass in sozialen Medien vor allem zu kämpfen hat. Sie spiele mit dem Feuer, muss sie da etwa lesen. Oder, dass sie eine kontroversielle Person sei, die religiöse Werte untergrabe. Von der Schule ihrer Kinder war sie zuvor zur „Mutter des Jahres“ gekürt worden. Nun wird diese Entscheidung massiv angezweifelt.
Sieht man sich die Stellung der Frau in der Gesamtgesellschaft an, so ist es für chassidische Frauen das Bohren harter Bretter, um auch nur einen kleinen Schritt voranzukommen. Faszinierend ist, dass sich diese Frauen in ihrem Weg nicht beirren lassen – und dennoch an ihrem Glauben und ihrer Lebensart festhalten. Sie kritisieren zwar Rabbiner, weil diese sich weigern, öffentlich etwas Positives zum weiblichen Rettungsdienst zu sagen. Dennoch erkennen sie sie als Autorität an. Und es braucht dann genau eine Filmemacherin wie Eiselt, um diese Geschichte behutsam und verständnisvoll zu erzählen.
93Queen lief vergangenen Sommer in New York und anderen Städten in den USA an und wurde zum Publikumshit. Diesen Winter kommt die Dokumentation auch in die israelischen Kinos, und ARTE will den Streifen kommendes Jahr zeigen. Freuen würde sich Eiselt, wenn der Film auch in Österreich zu sehen wäre. Schließlich stammt ihr Mann David aus Wien – er ging vor 15 Jahren in die USA, um dort zu studieren. Das Paar hat inzwischen drei Kinder und lebt in New Jersey.

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