„Kochen muss man mit Neschume!“

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Bekanntlich geht die Liebe durch den Magen. Aber auch alles, was jüdische Identität, Geschichte und Kultur umfasst, findet Emilia Fliegler, die Initiatorin von GefilteFishStories. Von Manja Altenburg 

GefilteFishStories versammelt verschiedene Generationen von Juden an einem Tisch. Gemeinsam kocht und speist man Gerichte der traditionellen jüdischen Küche. Von der Vorspeise bis zum Dessert. Das Projekt richtet sich an junge Erwachsene. Die Teilnehmer sind nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, überwiegend Frauen. „Oft sind sogar mehr junge Männer als Frauen dabei – und sind sehr, sehr fleißig“, schmunzelt Emilia.

„Kochen muss man mit Neschume!“

nesh2Ehrenamtliche Unterstützung bieten der Initiatorin viele jüdische Freunde, die jedes Mal tatkräftig mit anpacken. Aber in erster Linie ist dieses Projekt ihrer Großmutter, Bronja Vernikova, gewidmet: „eine außergewöhnliche Frau und zugleich eine ausgezeichnete Köchin“. Bronja erzählt, während man gemeinsam kocht und isst, ihre Lebensgeschichte. Viel hat die sympathische Dame zu berichten, denn sie lebte nicht nur bis 1997 in der ehemaligen Sowjetunion, sondern hat auch die Schoa überlebt. Sie will ihre Geschichte weitergeben und aktiv gegen das Vergessen wirken. Manchmal kocht Bronja auch nur und die anderen Schoaüberlebenden, die zu jedem Kochevent eingeladen werden, erzählen. Dabei entwickeln sich die Lebensberichte nie zu einem frontalen Monolog. Bisher entspann sich immer ein reger Dialog zwischen allen Beteiligten. Genau das ist das Ziel des Projekts.

„Man muss mit guter Laune an das Gericht rangehen, dann gelingt es auch.“ Bronja Vernikova

Es soll Begegnungen zwischen Schoaüberlebenden und der jungen jüdischen Generation in einer warmen Atmosphäre schaffen. Aber noch etwas ganz anderes liegt Bronja am Herzen, womit sie das andere Ziel dieser Unternehmung trifft. Schon immer pflegt sie bewusst die jüdische Kultur und Tradition und möchte, dass diese auch weiterhin erhalten bleib: „Ich möchte, dass die Enkelgeneration die jüdische Tradition und Lebensweise nicht vergessen und diese in ihr weiterleben.“

Dor vaDor

nesh3Eben schlichtweg via „Dor vaDor“ (von Generation zu Generation) werden bei GefilteFishStories auf eine sehr unkonventionelle Weise jüdische Geschichte und Tradition weitergegeben. Denn Emilia findet, dass „nach über 20 Jahren jüdischer Zuwanderung und fast 76 Jahre nach der Schoa vieles vergessen ist“. Immer weniger Menschen können ihre ganz persönlichen Geschichten teilen. Dabei bewahren gerade diese ein wahres Schatzkästchen der gelebten jüdischen Geschichte bzw. Kulturgeschichte auf. GefilteFishStories tut alles, damit diese Schätze erhalten bleiben und weitergegeben werden: „Die Umsetzung dieser Idee soll ähnlich wie die Liebe durch den Magen gehen“,  so Emilias Motto, und das ist Programm. So wird gekocht, was das Zeug hält. Natürlich unter Beachtung der jüdischen Speisegesetze.

Bisher fanden die Events in den Küchen der jüdischen Gemeinden in Würzburg, Erfurt, Berlin und Leipzig statt. In der Regel kreieren die Teilnehmer mehrgängige Menüs. Diese reichen von traditionellen Vorspeisen über Gefilte Fisch bis hin zu Hamantaschen und Latkes. Dabei genießt die Initiatorin jedes Mal wieder die Momente, „wenn man sieht, wie sich ein Tandem aus Jung und Alt entwickelt, wie alle gemeinsam beim Essen jüdische Lieder singen und sich angeregt über Leben und Kulinarik austauschen. Man lernt von und miteinander.“  100 Prozent „Dor vaDor“. Ein glatter Volltreffer, wenn man bedenkt, dass das Projekt erst rund 15 Monate jung ist.

Baskischer Männerkochklub

nesh4Rein zufällig kommt Emilia die Idee zum intergenerationellen Kochen, als sie einen Bericht über baskische Männerkochklubs sieht. Anfang 2013 schlägt sie im Rahmen eines Nevatim-Seminars, einem Förderprogramm der Jewish Agency, ihre Idee bei einem Workshop über imaginäre Projekte vor.

Die positive Resonanz darauf haut die junge Dame förmlich um. Rasch lässt sie der Theorie die Praxis folgen und schreibt einen Projektantrag bei Nevatim. Vier Veranstaltungen werden ihr sofort bewilligt. Unterstützt wird das Vorhaben von der Dachorganisation JEWIG e. V. und durch die gute und notwendige Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern vor Ort. Der erste Event findet zu Sukkot (Laubhüttenfest) 2013 in Erfurt statt und wird ein voller Erfolg. Bemerkenswert ist, dass die eingeladenen Schoaüberlebenden freimütig aus ihren Lebensgeschichten erzählen.

„Ich möchte, dass die Enkelgeneration die jüdische Tradition und Lebensweise nicht vergisst und diese in ihr weiterleben.“

Dennoch trauen sie sich meist nicht zu, im Gegensatz zur beherzten Bronja, einen solchen Event durchzuführen. Die älteren Gäste sind hocherfreut über das Interesse der jungen Leute und genießen die warme und freundliche Atmosphäre. Das freut Emilia sehr, denn das ist ihr Hauptanliegen: „Alle Teilnehmer müssen sich wohlfühlen, es geht um informelle Bildung, und diese kann am besten in einer guten, warmen und empathischen Atmosphäre stattfinden.“

Wann kommt ihr zu uns?

nesh5Das Projekt wird gut angenommen. Immer wieder wird Emilia von jungen Menschen aus unterschiedlichen Gemeinden Deutschlands angesprochen, wann sie zu ihnen kommt. Doch die junge Dame betreibt ihr Projekt ehrenamtlich. Darum können nicht sehr viele Events auf einmal geplant werden. Schließlich müssen Räumlichkeiten organisiert werden, ein Menü, das auch zur Jahreszeit und dem jüdischen Kalender passt, zusammengestellt werden. So gibt es zum Beispiel zu Purim Hamantaschen und zu Schawuot Knisches mit Topfen. Die Gerichte bieten eine wunderbare Vorlage für Gespräche und Erzählungen, die sich dann entspinnen.

Die meisten kennen diese Gerichte aus ihren Familien. „So kann man wunderbar individuelle jüdische Geschichte und Tradition kommunizieren und weitergeben. Außerdem ist für mich das Kochen ein Kulturgut, ein Stückchen Heimat, das immer mitkommt.“ ◗

© Emilia Fliegler

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