Kochrezepte mit Unterbrechungen

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Das Leben in Tel Aviv blieb in diesem Sommer so normal wie möglich. Es hat allerdings an einer Leichtigkeit verloren, die sich auch nach dem Krieg so schnell nicht wieder einzustellen vermag. Von Gisela Dachs

Es war ein heißer Sommer, der nun hoffentlich endgültig vorbei ist. Sicher aber kann man nicht sein. Natürlich ist nicht die Rede von den Temperaturen, die erst einmal weiter dreißig Grad überschreiten werden, sondern von der ersehnten Rückkehr zur Normalität. Die Einigung auf eine „unbefristete Waffenruhe“ hat an diesem schalen Gefühl, dass alles jederzeit wieder losgehen könnte, nur wenig geändert.

Sieben Wochen sind eine lange Zeit. Fast vermisst man ihn schon, den monotonen Tonfall, mit dem die Radioprogramme regelmäßig unterbrochen wurden, um einen Alarm zu melden. Einmal versuchte ein prominenter Chef, ein Rezept durchzugeben, was schließlich einen Lachanfall beim Moderator auslöste, weil sein Interviewpartner gezwungen war, immer wieder von vorn mit dem Aufzählen der Zutaten anzufangen. Mit Humor ließ sich der Alltag leichter meistern, der ja durchaus weiterging und weitergehen musste. Die Israelis sind darin geübt.

Einmal rief ich im Schwimmbad an, um zu klären, ob im Alarmfall genug Zeit wäre, aus der Mitte des Beckens in den Bunker zu laufen.

Nach draußen war diese Ambivalenz oft schwer zu vermitteln. Dass man gar nicht so arm dran ist, schon gar nicht verglichen mit der palästinensischen Bevölkerung, die – ironischerweise außer der israelischen Armee – niemand zu schützen versuchte und auch nicht schützen wollte. Dass man aber trotzdem auf Dauer nicht so leben möchte und leben kann. Dass all die Vorschläge von links bis rechts in Israel oder aus dem Mund aller möglichen Besserwisser im Ausland vielleicht den Schlüssel zur einer besseren Zukunft parat halten, vielleicht aber auch nicht.

Unsicherheit – in vieler Hinsicht – charakterisiert möglicherweise die Atmosphäre der beiden vergangenen Monate am besten. Mit 4.564 Raketen hat die Hamas in dieser Zeit israelisches Gebiet beschossen. 3.641 explodierten auf dem Boden, der Rest war von der „Eisernen Kuppel“ abgewehrt worden. Nicht überall und immer war die Raketenabwehr im Einsatz. Das tödliche Schicksal des vierjährigen Daniel Tregerman im Kibbutz an der Grenze zu Gaza wird im kollektiven Gedächtnis bleiben, weil er es nicht rechtzeitig schaffte, innerhalb der 15 Sekunden Warnzeit vom Wohnzimmer in den Schutzraum zu laufen. Er war einer der sechs zivilen Opfer in Israel. Eigentlich ein riesiges Wunder, dass nicht viel mehr passiert ist.

Verglichen mit dem Süden lebten wir Tel Aviver in Luxus. Im Schutz der „Eisernen Kuppel“ mussten wir „nur“ aufpassen, dass nach einer Sirene keine abgeschossenen Raketenteile auf uns niederprasselten. Andererseits war man nie ganz sicher, ob bei einem ganzen Raketenbündel tatsächlich alle Geschosse abgewehrt werden konnten.

Selten gibt es Wohnhäuser, in denen alle Nachbarn einander mögen. In unserem Fall ist das eine Untertreibung. In diesem Sommer aber blieb uns nichts anderes übrig, als im wahrsten Sinne des Wortes zusammenzustehen. Bei jeder Sirene war der Treppenabsatz im zweiten Stock unser Treffpunkt. Dort kann kein Glas bersten und der Abstand zum Dach ist weit genug.

Kinder sind in solchen Momenten die gehorsamsten Wesen, die man sich vorstellen kann. Um sie darauf vorzubereiten, dass sie vielleicht auch nachts rausmüssen, stellte ich meinen die außergewöhnliche Gelegenheit in Aussicht, eine ungeliebte Nachbarin (die immer nur piccobello aus dem Haus geht) dann ja auch einmal im Schlafanzug sehen zu können. Meine beiden Mädchen dachten wohl sofort im Umkehrschluss. Jedenfalls hängsten sie fortan abends schicke Tücher an die Wohnungstür, mit denen sie sich dann im Alarmfall schnell umwickeln wollten. Ab und zu kam es so auch zu einer kleinen Probemodeschau vor dem Einschlafen. Was gar nicht ging, war ein Nachahmen des Sirenentons, um die kleine Schwester zu erschrecken, das stand unter Strafe.

Verglichen mit dem Süden lebten wir Tel Aviver in Luxus. Im Schutz der „Eisernen Kuppel“ mussten wir „nur“ aufpassen, dass nach einer Sirene keine abgeschossenen Raketenteile auf uns niederprasselten.

Ein Glück war, dass der Nachbar unter uns gerade ein Hundebaby bekommen hatte. Der kleine flauschige Welpe steckte in einer riesigen rosa Wolldecke und blickte neugierig auf die Leute um ihn herum im Treppenhaus. Das Streicheln war therapeutisch. Für meine Jüngste ganz besonders. Sie brachte das Dilemma sofort auf den Punkt. Sie wünschte sich keine Raketen herbei, klagte sie, aber sie wollte den Hund doch so gerne öfter sehen. Wir hatten nochmals Glück. Unsere Beziehungen zum Hundebesitzernachbarn sind gut, der Kontakt zum Hund ist somit pädagogisch entkoppelt von einem Gefahrenszenario.

Auf dem Treppenabsatz versammelten sich anfangs mit uns auch die palästinensischen Arbeiter, die in diesem Sommer die Wohnung direkt neben uns renoviert haben. Um Wege zu sparen, oder Kontrollen, hatten sie dort wochenlang auch übernachtet. Nach einer Weile gingen sie bei einem Alarm nicht mehr vor die Tür, vielleicht war ihr Vertrauen in die Effizienz des israelischen Abwehrsystems größer als das unsere, vielleicht wollten sie derlei interkulturellen Zusammenkünften auch lieber aus dem Weg gehen.

Das Streben nach Normalität nahm so ganz unterschiedliche Züge an. Einmal rief ich im Schwimmbad an, um zu klären, ob im Alarmfall genug Zeit wäre, aus der Mitte des Beckens in den Bunker zu laufen. Man riet mir ab. In der Surfgruppe meiner Ältesten wiederum versicherte man den besorgten Eltern, dass die Kinder sich im Notfall auf die nächste Welle stürzen würden, also noch rechtzeitig aus dem Wasser kämen, um sich bäuchlings mit den Händen über dem Kopf hinter eine Mauer zu legen. Beruhigend war das nicht. Jedenfalls weiß meine elfjährige Tochter jetzt genau, wie Rauchspuren aussehen, die ein Raketenabschuss hinterlässt. Sie sind weiß und sehen aus wie dünne Wölkchen, sind aber keine.

© Flash 90/Miriam Alster

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