Königin der Nacht

Marianne Kohn wurde 1945 in Wien geboren. Nach dem Schulabbruch machte sie eine Ausbildung zur Filmcutterin. Mit 16 Jahren ging sie nach Rom und arbeitete in der Cinecittà, unter anderem für Federico Fellini und Pier Paolo Pasolini. 1969 kehrte sie nach Wien zurück und war als Kellnerin tätig. Von 1983 bis 1987 führte sie den Wiener Klub „U4“, danach das „Café Europa“. Einige Jahre lang organisierte sie Clubbings. Seit 1995 leitet Marianne Kohn die 1908 von Adolf Loos gestaltete American Bar in der Wiener Innenstadt. Die Protégée des Musikforschers Marcel Prawy ist auch für ihre große Liebe zur italienischen Oper bekannt.

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© Ronnie Niedermeyer

Du magst Mozart nicht. Trotzdem wird das Buch über dein Leben, das im Herbst bei Brandstätter erscheinen wird, Königin der Nacht heißen.
Marianne Kohn: Mit Mozart hat das wenig zu tun. Der Titel bezieht sich darauf, dass ich schon seit einem halben Jahrhundert Teil des Wiener Nachtlebens bin und es in dieser Zeit gewissermaßen mitgestaltet habe. Selbst würde ich mich nicht unbedingt als Königin bezeichnen, auch wenn ich manchmal gerne ein Krönchen als Modeaccessoire trage. Den Buchtitel habe ja auch nicht ich gewählt, sondern die Ghostwriterin, Ella Angerer. Jedenfalls stimmt es, dass ich Mozart nicht mag. Die Zauberflöte ist eine fade Oper. Ich bin da eher für die Italiener.

Trotzdem noch eine Frage zur Zauberflöte: Ende April streamte die Wiener Staatsoper eine Inszenierung von Moshe Leiser. Monostatos wurde von einem Sänger verkörpert, dessen Haut schwarz angemalt war. Wieso ist unkommentiertes Blackfacing in Österreich heutzutage noch möglich?
Sehr rassistisch, sehr eigenartig – es gäbe ja auch genügend dunkelhäutige Sänger, die die Rolle geben könnten. Und wieso muss er überhaupt als „Mohr“ gezeigt werden, nur weil das damals im Libretto so stand? Da muss ich gleich den Bogdan [, Staatsoperndirektor, Anm. d. Red.] fragen, was er dazu meint. Gesehen habe ich den Stream jedenfalls nicht – ich schaue mir daheim keine Opern an. Oper ist für mich nur Oper, wenn ich dabei bin. Im September 2020 gab es noch die Butterfly, dann kam der Lockdown.

Von Puccini schwärmst du ja allgemein, im Besonderen von La Bohème, deinem ersten Opernbesuch als Mädchen. Kannst du dich heute noch mit der Geschichte der armen jungen Näherin Mimì identifizieren? Mit deinem selbstbewussten Auftreten wirkst du eher wie eine Salome.
Nein, identifizieren mit der Mimì kann ich mich nicht, aber ich heule immer noch, wenn ich La Bohème sehe. Die Geschichte ist einfach traurig und zum Weinen. Das gehört zur Oper dazu – und am Schluss muss der Tod kommen. Bei Mozart stirbt ja kaum jemand.

„Selbst würde ich mich nicht unbedingt als Königin bezeichnen, auch wenn ich manchmal gerne ein Krönchen als Modeaccessoire trage.“

In der Salome aber schon.
Ja, aber Richard Strauss mag ich auch nicht – das geht schon fast in Richtung Zwölftonmusik, und die halte ich überhaupt nicht aus. Meine Mutter war allerdings eine große Straussianerin.

Wie kam es dazu?
Vor dem Krieg war sie mit Marcel Prawy liiert, der schon damals ein phänomenales Opernwissen hatte und ihren Geschmack sicherlich beeinflusst hat. 1938 flüchtete Prawy nach Amerika. Meine Mutter blieb hier und heiratete den Mann, mit dem sie mich zeugen würde. Es war eine reine Zweckehe, um sie vor den Nazis zu schützen. Die ganze Verwandtschaft meiner Mutter wurde in Theresienstadt ermordet. Ihre erste Schwangerschaft hat meine Mutter abgebrochen, weil sie mitten im Krieg kein Kind auf die Welt bringen wollte. Kurz nach Kriegsende und also noch vor meiner Geburt trennten meine Eltern sich wieder. Prawy kam aus der Emigration zurück und wurde mein Ziehvater. Er war es, der mich als Kind in die Staatsoper mitnahm und meine Liebe zur Oper förderte.

Wie kann man sich eine Kindheit im Wien der unmittelbaren Nachkriegszeit denn vorstellen?
Meine Mutter hat mich taufen lassen, weil sie der Meinung war, es könnte jederzeit wieder ein Hitler kommen. Unter diesem Schatten bin ich aufgewachsen. Es hat lange gedauert, bis wir uns von diesem Trauma erholen konnten – manchen ist es bis heute nicht gelungen.

© Ronnie Niedermeyer

Auf den Fingern deiner rechten Hand hast du dir „ALMA“ tätowieren lassen. Alma Mahler-Werfel ist vor allem für ihre Ehen und Liebesbeziehungen mit den größten kreativen Köpfen des frühen 20. Jahrhunderts bekannt. Was verbindest du mit Alma, was verbindet dich mit Alma?
Eigentlich war Alma Mahler-Werfel nach heutigen Maßstäben ein Groupie – aber auch eine richtige Lady. Ich habe einen meiner Hunde nach ihr benannt, ein anderer hieß Loos.

Und jetzt sitzen wir in der Loos Bar, die du leitest. Was bedeutet dieser Ort für dich?
Meine Vorfahren mütterlicherseits haben die Möbelfirma J. & J. Kohn gegründet und geleitet. Dieses Unternehmen hat auch die von Adolf Loos entworfenen Möbel gebaut, unter anderen für seine „American Bar“. Schon in meiner Kindheit war diese Bar für mich präsent. Ich durfte natürlich nicht hinein, konnte aber kurze Blicke auf das edle Interieur erhaschen. Seit frühester Jugend war es mein Wunsch, eines Tages hier arbeiten zu dürfen – und sei es als Putzfrau.

Nach einigen Zwischenstationen bist du tatsächlich in der Gastronomie gelandet. Bald darauf wurdest du vegetarisch – in einer Zeit, wo dies noch als höchst ungewöhnlich galt. Vierzig Jahre ist es schon her, dass du kein Fleisch mehr anrührst. Was löste diese Entscheidung aus?
Eine Freundin von mir hat Veterinärmedizin studiert und mich in den Schlachthof St. Marx mitgenommen, der damals noch in Betrieb war. An dem Tag habe ich aufgehört, Fleisch zu essen. Immerhin wird man heute als Vegetarierin nicht mehr ausgelacht. Meine Enkelin lebt sogar vegan, aber ich würde es nicht schaffen, auf Milchprodukte zu verzichten.

Dein einziges Kind wird heuer 50. Nicoles Lebensmotto lautet: „Diejenigen, die wollen, erreichen mehr als diejenige, die können.“ Hast du eigentlich alles erreicht, was du wolltest?
Ja, das habe ich. Vor fünfundzwanzig Jahren habe ich meinen Jugendtraum verwirklicht, die Loos Bar zu übernehmen – eine der ältesten, traditionsreichsten, legendärsten Bars dieser Stadt.

Wie siehst du die Zukunft der Gastronomie nach Ende der Corona-Pandemie?
Momentan verdienen viele durch Zuwendungen vom Staat – mehr, als wenn sie offen hätten. Sobald sie tatsächlich wieder aufsperren dürfen, werden einige den Konkurs anmelden. Nur die Guten werden sich halten. Meine Bar hat zwei Weltkriege überlebt. Corona wird sie auch überleben.

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