Der Kunst ihren Freud

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Eine Ausstellung im 21er Haus widmet sich dem Nachhall der Psychoanalyse in der zeitgenössischen Kunst. Von Thomas Edlinger 

Kunst, hat der häufig mit Sprache und ihren Möglichkeiten arbeitende Künstler Joseph Kosuth einmal geschrieben, ist ein Test und keine Illustration. Seine Kunst testet aus, wie Bedeutung entsteht und sich verändert. 1965 hat Kosuth in seinem Werk One and Three Chairs vorgeführt, was er darunter versteht. Die Installation bestand aus einem Stuhl, einer Fotografie dieses Stuhls und einer Lexikondefinition des Stuhls. Was macht das Ding, den Stuhl an sich aus, und was unterscheidet den visuellen oder sprachlichen Code davon?

1981 führte Kosuths Interesse an der Repräsentierbarkeit der Welt ihn erstmals auf die Spur von Sigmund Freud. Verschiebung und Verdichtung nennt Freud die zwei zentralen psychischen Vorgänge in der Traumarbeit, die zwischen latenten und manifesten Inhalte vermitteln und später von Jaques Lacan mit den sprachlichen Formen der Metonymie und der Metapher parallelisiert wurden. Die Verschiebung und die Verdichtung im Traum erzeugen Rätsel, die es zu entschlüsseln gilt. Im Anwesenden schwingt immer etwas Abwesendes, Metaphorisches verborgen mit, das mitgemeint ist, obwohl es nicht explizit bezeichnet wird.

Viele Arbeiten im 21er Haus handeln von der in der Psychoanalyse zentralen Kluft zwischen Gezeigtem und Gemeintem, Bewusstem und Unbewusstem.

Kosuth hat diese unauflösbare Spannung von Präsenz und Absenz, wie sie Freud in der Theorie des Unbewussten ausgearbeitet hat, schon 1985 in einer raumfüllenden Wandtapete zur Darstellung gebracht. Die Arbeit heißt Zero & Not. Sie zeigt einen von einem schwarzen Balken durchgestrichenen, nur mehr in Buchstabenfragmenten lesbaren und vielfach wiederholten Textausschnitt aus Freuds Studie Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Der Balken stellt eine willkürliche visuelle Ordnung jenseits des verstümmelten Satzes im Raum her. Ein farbiges Intervallsystem aus Nummern unter dem Balken strukturiert die Loops des Textausschnitts, während dessen ursprünglicher Sinn verschüttet bleibt. Eine an den Raum angepasste Version dieses Spiels mit der „Syntax“ der Architektur war auch schon im Freud-Museum anlässlich des 50. Todesjahres von Freud 1989 zu sehen.

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Jürgen Tellers weiblichen Rückenakt auf einer eher zum Räkeln als zum Therapieren einladenden Teppichlandschaft.

Ein Vierteljahrhundert später, zum 75. Todestag Freuds, kehrt dieses Werk, das es bis heute in einer frühen Version auch in der Praxis eines Psychoanalytikers in Gent zu sehen gibt, zurück nach Wien. Und zwar im Rahmen der Ausstellung Sigmund Freud und das Spiel mit der Bürde der Repräsentation. Kosuth kleidet mit Zero & Not den ersten Stock des 21er Hauses aus. In dieses Display werden in Zusammenarbeit mit den Hauskuratorinnen weitere Werke Kosuths mit Freud-Bezug, Beiträge aus der hauseigenen Sammlung und die Arbeiten aus der von Kosuth mit dem Wiener Sigmund-Freud-Museum 1997 ins Leben gerufenen Sigmund Freud Contemporary Art Collection platziert.

Auch wenn Freuds Psychoanalyse heute in der akademischen Psychologie kaum mehr eine Rolle spielt: In der Kultur- und Kunstpraxis ist sie nicht trotz, sondern wegen des Verdachts auf ein spekulatives Wissen und der damit verbundenen Aufwertung unbewusster Produktionsweisen und surrealer Weltzugänge immer noch sehr attraktiv. Und zwar nicht nur als Deutungskrücke für Betrachter, sondern auch als Themenressource für Künstler.

Befreiung des Unbewussten
Joseph Kosuths Werk One an Three Chairs – der Stuhl, ein Foto davon und die Lexikondefinition.
Joseph Kosuths Werk One an Three Chairs – der Stuhl, ein Foto davon und die Lexikondefinition.

Viele Arbeiten im 21er Haus handeln etwa von der in der Psychoanalyse zentralen Kluft zwischen Gezeigtem und Gemeintem, Bewusstem und Unbewusstem. Der Fotograf Jürgen Teller zeigt einen weiblichen Rückenakt auf einer eher zum Räkeln als zum Therapieren einladenden Teppichlandschaft. Birgit Jürgenssen setzt ein Nest mit zwei Eiern vor den Schambereich einer Frau im Schneidersitz. Douglas Gordon lässt in seinem Video Divided Self seinen rasierten linken Unterarm seinen behaarten rechten Arm beim Handgelenk ergreifen – als ob ein Ich sein dunkles Unbewusstes in den Griff bekommen wollte. Protect me from what I want heißt eine (in Wien nicht zu sehende) berühmte Schriftbandarbeit von Jenny Holzer.

Ob der Gründervater des psychoanalytischen Staats seine Freude mit den sich auf die Befreiung des Unbewussten beziehenden Werken wie das der Wiener Aktionisten gehabt hätte, darf allerdings bezweifelt werden. Günter Brus hüllte sich vor 50 Jahren in seiner ersten bekannten Aktion Ana in eine weiße Leinwand und gab den seine Frau bemalenden Derwisch. Die Aktion wurde in einem flackernden Kurzfilm von Kurt Kren festgehalten, Fotos davon sind ebenfalls in Wien zu sehen.

Freud selbst war aber weder Freudomarxist noch ein Fackelträger der entfesselten Libido, sondern viel vorsichtiger. Er kritisierte zwar die Unterdrückung der Sexualität und den Terror des Über-Ichs, der die Einhaltung seiner strengen Gebote umso verdienstvoller erscheinen lässt, je schwerer sie ist. Doch trotz des Unbehagens in der Kultur gab es für ihn keinen Weg zurück. Es gibt keinen glücklichen Urzustand, in dem nur die Lust und nicht die Barbarei regiert.

Die Ausstellung

Zum 75. Todestag Sigmund Freuds finden gleich drei Ausstellungen parallel statt. Das 21er Haus widmet sich der ästhetischen Reflexion der Psychoanalyse (Sigmund Freud und das Spiel mit der Bürde der Repräsentation, 19. 9. 2014 –18.1. 2015). Das Sigmund-Freud-Museum, das dafür Werke aus der eigenen Sammlung zur Verfügung stellt, zeigt eine Schau zu Freuds Erkundungen der Fremde (Freuds Reisen. Kulturelle Erfahren – psychoanalytisches Denken, noch bis 5.10. 2014). Zusätzlich verantwortet das Freud-Museum noch die Ausstellung Hidden Freud. Dafür werden auf Litfaßsäulen assoziative Bruchstücke aus Leben und Werk collagiert, die selbst wieder auf weiterführende Portale im Internet verweisen.

© 21er Haus

Titelbild: Subkutane Bedeutungen. Birgit Jürgenssen setzt ein Nest mit zwei Eiern vor den Schambereich einer Frau im Schneidersitz.

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