Ein „Jubiläum“ der traurigen Art: Vor 500 Jahren entstand in Venedig das erste Ghetto.
Von Marta S. Halpert
Wie begeht man einen Jahrestag, der den Ausschluss eines Teils der Bevölkerung in ihrer eigenen Heimatstadt markiert? Dessen Bezeichnung zum Inbegriff der Ausgrenzung, Isolation und Diskriminierung über fünf Jahrhunderte wurde? Vor dieser schweren Aufgabe standen Politiker und Historiker in Venedig anlässlich eines runden „Jubiläums“: Vor genau 500 Jahren wurde in der Lagunenstadt das erste Ghetto für jüdische Bürger eingerichtet.
„Das ist natürlich kein Grund zum Feiern, aber ich betrachte es als Gelegenheit zum Nachdenken und Erinnern“, betont die Historikerin Donatella Calabi. Sie kuratierte die Ausstellung im Dogenpalast am Markusplatz mit dem Titel Venedig, die Juden und Europa 1516–2016 (Venezia, gli ebrei e l’Europa 1516–2016), die noch bis 13. November zu sehen ist. Zahlreiche Räume des ehrwürdigen Palastes wurden für diese beeindruckende Ausstellung bereitgestellt. Sie bietet einen umfassenden Einblick in das Leben der Juden vor 500 Jahren und bereitet dazu auch das politisch-historische Umfeld auf: Von der Entstehung bis zur Auflösung des Ghetto im Jahre 1797.
Der Ausstellungsort ist gut gewählt, war es doch die Verordnung des Dogen Leonardo Loredan vom 29. März 1516, die den künftigen Lebensraum der venezianischen Juden auf einer Insel festlegte: „Alle Juden müssen zusammen innerhalb der Hofnachbarschaft der Gießereien in der Pfarrgemeinde San Girolamo leben; damit sie nachts nicht herumstreunen können, werden an den beiden kleinen Brücken am Rand der alten Gießerei (Ghetto vecchio) und der neuen Gießerei (Ghetto novo) Tore angebracht, die morgens mit dem Glockenschlag von San Marco geöffnet und um Mitternacht verschlossen werden müssen. Vier christliche Aufseher, die von der Regierung bestimmt und von den Juden bezahlt werden gemäß einem von uns festgelegten Preis, haben diese Tore zu bewachen.“ Durch zwei hohe Mauern und Wassertore wurde die Eingrenzung vervollständigt. Die Bewachung galt rund um die Uhr, die Juden trugen auch die Kosten von zwei Booten, die ununterbrochen auf den Kanälen rund um die Insel kreisten. Schwere Strafen erwarteten Juden, die nachts außerhalb des Ghettos angetroffen wurden. Ausnahmslos mussten alle Juden – damals lebten etwa 700 in Venedig – nach Cannaregio auf das Gebiet der Kirchengemeinde San Girolamo umziehen, wo bis dahin ein Dutzend Kupfer- und Eisengießereien angesiedelt waren. Das Wort Ghetto erhielt für alle Zeiten eine neue Bedeutung*.