
„Man schämt sich nicht mehr, Antisemit zu sein.“
WINA: Die „Lebensmelodien“, Musikstücke und Geschichten, stammen aus der Zeit 1933-1945. Sie treten seit Jahrzehnten für die Erinnerungskultur ein und auf. Wie kam es im konkreten Fall zu diesem Programm?
Iris Berben: Mich hat der wunderbare und überzeugende Nur Ben Shalom kontaktiert und mir von diesem Programm erzählt, mit dem er schon seit einiger Zeit tourt und das er auch inhaltlich immer wieder verändert, weil es ihm glücklicherweise immer noch gelingt, neue Melodien und neue Schicksale ausfindig zu machen. Ich war begeistert, denn ich habe zwar schon viele Konzerte als Statement gegen den Antisemitismus gemacht, dass man aber spezifisch Musikstücke und Geschichten findet, die unmittelbar in diesen dunkelsten und verbrecherischsten Jahren entstanden sind, fand ich einen besonderen, aber auch sehr schmerzhaften Zugang zur Erinnerung. Dass Kunst in dieser Zeit ein Gefühl von Gemeinschaft ermöglicht hat, als Kunst, die einen verbindet. Das möchte ich auch mit meinen ganz kleinen, bescheidenen Möglichkeiten tun, denn was kann man denn überhaupt machen gegen Antisemitismus und für ein Erinnern? In meinem Fall kann ich die Kunst benutzen, um uns miteinander zu verknüpfen. Das hat mir Nur Ben Shalom ganz überzeugend dargestellt.
Werden Sie die Texte zur Musik sprechen oder wie kann man sich das vorstellen?
Oft steht der Text alleine und dann kommt die Musik, aber es gibt auch Stücke, bei denen wir den gesprochenen Text mit der Musik verbinden. Je nach der Dramaturgie kann die Musik den Text verstärken, oder wenn man nur die Melodie alleine hört, gibt das die Möglichkeit, in der Musik den gehörten Text wirken zu lassen. Es ist eine sehr enge Verbindung zwischen Musik und Text, und es ist der künstlerischen Leitung durch Ben zu verdanken, dass da eine solche Symbiose entsteht.
Sie haben das bereits an zwei verschiedenen Orten gemacht, wie wurde das Programm da aufgenommen?
Es war einmal im Beethoven-Haus in Bonn und einmal in Berlin. Die Aufmerksamkeit und Ruhe, die man ja nicht immer in einem Konzert hat, die gab es beide Male. Das Publikum war deshalb so angetan, weil es ja sehr persönliche Texte sind, manche Geschichten wurden über Jahrhunderte weiter getragen. Man taucht sehr in diese jüdische Welt und es ergibt ein gutes Bild eines jüdischen Lebens, das geraubt und zerstört wird. In bin gespannt, wie es in Wien sein wird, denn das Konzerthaus ist viel größer als die bisherigen Räume, aber ich bin überzeugt, wieder diese Aufmerksamkeit zu bekommen, denn es sind eben wahrhaftige Texte, und alles, was wahrhaftig ist, ist in unser heutigen Welt etwas, was uns auffällt und wir auch bewahren wollen.
Tipp
Die IKG.Kultur lädt zu Lebensmelodien ins Wiener Konzerthaus zu einem literarisch-musikalischer Abend mit Iris Berben, Nur Ben Shalom und dem Nimrod Ensemble.
27. April 2025, 19:30 Uhr.
Infos & Tickets:
ikg-wien.at/lebensmelodien25
Gerade in der heutigen Zeit haben Programme wie diese im deutschen Sprachraum einen ganz anderen Resonanzraum als noch vor einigen Jahren. Dieser Resonanzraum hat sich auch in der Kunst- und Kulturszene dramatisch verändert.
Ja, natürlich. Und es ist erschreckend, auch wenn wir etwa an Auseinandersetzungen an den Universitäten denken. Ich komme aus der 68er-Bewegung, und weiß, dass Universitäten immer ein streitbarer Raum waren, aber dass dieser Austausch und die Diskussion, die dort stattfinden muss, gar nicht mehr gegeben ist, weil einfach manifestierte Meinungen nur noch gebrüllt werden und man den Diskurs nicht mehr zulässt, das ist eine höchst traurige Entwicklung, die sich eben gerade auch in der Elite einer Gesellschaft zeigt. Wie sich die Kulturbranche verhält, davon bin ich überrascht gewesen bin. Ich bin nicht von dem nicht nachlassenden Antisemitismus überrascht, sondern wie sich da in unserer Gesellschaft etwas entwickelt hat, das einen Diskurs und ein Nicht-Verwechseln mit einer Politik, die man eventuell nicht mittragen möchte, verunmöglicht.
Mit dieser Politik sprechen Sie Israel an, zu dem Sie eine besondere Beziehung haben. Sie hatten sogar eine Wohnung in Tel Aviv. Gab es auch biografische Gründe für dieses besondere Verhältnis zu Israel und auch dem Judentum?
Ich denke schon. Ich habe einige Jahre in einem sehr katholischen Nonnenkloster, einem Internat, verbracht, bis man mich rausgeworfen hat, und da ist uns das Nicht-Fragen, sondern Glauben eingetrichtert worden. Ich bin aber stark geprägt durch meine Mutter, die mir beigebracht hat, Fragen zur stellen. Später hab ich auch die Haltung der katholischen Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus mitbekommen. Ich hab vor einem Jahr im Berliner Ensemble gemeinsam mit Thomas Thieme ein Programm gemacht, in dem Bittbriefe von jüdischen Bürgern an den Papst vorgelesen wurden, die der Vatikan erst jetzt freigegeben hat. Darin bestätigt sich nochmals, wie passiv sich die katholische Kirche verhalten hat. Das war für mich auch schon als junger Mensch nicht akzeptabel, und darum bin ich ausgetreten, und vielleicht ist das auch ein Teil meiner Haltung zu Israel gewesen.
Wirklich entscheidend war aber als ich mit 18 Jahren nach Israel gefahren bin und noch viele Holocaust-Überlebende treffen durfte. Da hat sich dann in mir eine Verantwortlichkeit entwickelt, die nichts mit Schuld zu tun hat, ich bin Jahrgang 1950. Eine Verantwortlichkeit, alles zu verhindern, was wieder dahin führen könnte, und auf diesem Weg sind wir ja schon wieder. Ich bin immer fassungslos, wenn man mir sagt, auch in anderen Ländern ist der Antisemitismus zu beobachten, ja aber wir in Deutschland haben eine andere Geschichte.
Sie habe eine lange Zeit mit einem jüdisch-israelischen Partner, Gabriel Lewy, gelebt. Hat auch das ihre Haltung beeinflusst?
Ja, sicherlich auch. Wir sind auch nach unserer Trennung die besten Freunde geblieben. Wenn man über 30 Jahre zusammen war, ist das ein Leben, man hat auch gemeinsame Menschen. Natürlich war das auch ausschlaggebend. Mein Partner war kein strenggläubiger, aber praktizierender Jude, die jüdischen Feiertage wurden eingehalten, und ich habe gelernt, was Feiertage bedeuten. Er hat sich auch für die christlichen Feiertage interessiert, wir haben das miteinander praktiziert, und ich dachte, so müsste das möglich sein. Den Respekt und die Akzeptanz anderem Glauben gegenüber kann man leben.
„Den Respekt und die Akzeptanz anderem Glauben gegenüber kann man leben.“
Als Schauspielerin haben Sie jüdische Frauen verkörpert, etwa in der Serie „Deutsches Haus“. Werden solche Rollen wegen ihrer Einstellung an Sie herangetragen?
Nein, das war das erste und einzige Mal, dass ich eine Jüdin gespielt habe. Ich hab auch zweimal abgesagt, denn ich fragte mich, darf ich das, bin ich die richtige Stimme? Heute bin ich froh, dass ich es gemacht habe, denn ich denke, dass mit den Prozessen in Frankfurt auch jungen Leuten ein gutes Stück deutscher Geschichte gezeigt werden konnte.
Sie sind Schirmherrin bzw. Förderin zahlreicher Organisationen wie Magen David Adom in Deutschland oder der Hebräischen Universität Jerusalem und haben viele einschlägige Ehrungen erhalten. Sie wollen aber nicht zur diesbezüglichen Vorzeigefrau werden, haben Sie einmal gesagt. Sind Sie das nicht längst, denn soviel Konkurrenz gibt es in der Szene in Deutschland ja nicht?
Ja, das ist es ja. Dieses Vereinnahmen für das Thema Nationalsozialismus, deutsch-jüdisches Engagement, gegen das Vergessen, da denk ich immer, ich will nicht, dass man mich dann einfach aus der Schublade zieht und ich erfülle da etwas. Ich hoffe aber nach wie vor, dass es für viele Menschen selbstverständlich wird, sich damit auseinanderzusetzen, es ist ein Teil unserer Identität, was uns als Volk ausmacht. Man muss sich auseinandersetzen mit dem, wozu wir auch fähig gewesen sind. Es geht da gar nicht um Schuld, sondern um dieses Wissen und die Verantwortung für dieses Wissen zu tragen. Es ist für mich immer so merkwürdig, dass das so außergewöhnlich ist, denn für mich ist es normal. Deshalb hab ich ein bisschen Scheu vor einer solchen Vorbildfunktion, denn ich gebe ja nicht nur gute Beispiele ab.
Besonders nach dem 7. Oktober sind Sie auch öffentlich für Israel eingetreten und haben unter anderem eine Patenschaft für eine Hamas-Geisel übernommen. Wie wurde das in der Filmbranche aufgenommen? Gab es da auch Gegenwind?
Der Gegenwind ist da. Jeder Mensch, der eine Haltung lebt und nicht nur vorgibt, ist angreifbar. Wir haben inzwischen die Anonymität des Mobile Phones, die es Menschen ermöglicht, ihre Emotionen, ihren Hass und ihre Unkenntnis rauszuposaunen. Das hat etwas verändert. Gleichzeitig steigen die antisemitischen Übergriffe. Man schämt sich nicht mehr, Antisemit zu sein. Das war ja einmal anders, das musste versteckter gemacht werden. Dass man sich nicht mehr schämt, das ist die Veränderung, die wir gerade erleben.
„Man muss sich auseinandersetzen mit dem, wozu wir auch fähig gewesen sind. Es geht da gar nicht um Schuld, sondern um dieses Wissen und die Verantwortung für dieses Wissen zu tragen.“

Wie besorgt sind Sie als Deutsche und Sozialdemokratin, wenn Sie auf die Zukunft blicken? Nur Ben Shalom, mit dem Sie das Konzert gestalten, hat vor kurzem gesagt, dass er sich als Israeli und Jude in Deutschland nicht mehr sicher fühle. Kann man mit künstlerischen Initiativen etwas über die Blase der Wohlwollenden hinaus bewirken?
Diesen Satz hört man nicht nur von ihm, ich habe einige Freunde in der jüdischen Community, die Ähnliches sagen, und dieser Satz macht mich traurig, und er macht mich wütend, denn dass dieser Satz nochmal in diesem Land gesagt werden kann, ist für mich unfassbar. Hilflos macht es mich aber nicht, weil das bedeuten würde, dass man resigniert, dass man aufgibt. Hilflos, sprachlos, darf man immer nur für einen Moment sein, weil man für einen Moment erstarrt in dieser Fassungslosigkeit. Dann weiß man, man hat eine Menge Aufgaben vor sich. Ich habe viele Programme gemacht. Ich habe Anne Franks und Goebbels´ Tagebücher gegeneinandergestellt, habe Abende über verfemte Musik gemacht und hab natürlich gemerkt, das Interesse wurde immer weniger, die Theater, die das angeboten haben, wurden immer kleiner und meinten, das reicht jetzt einmal, können Sie nicht mal was Lustiges machen? Ich hab vielleicht in meiner Naivität gedacht, das ist gar nicht mehr so nötig, wir sind auf einem guten Weg. Jetzt merk ich, wir müssen in unserer Haltung wieder lauter werden, die anderen sind immer so laut. Damit die Worte, die man aus der Politik hört, mit Leben gefüllt werden und nicht nur bekennende Sätze sind. Haltung zu leben ist anstrengend, aber es ist wichtiger denn je. Es ist eine schwere Zeit, aber keine aussichtslose. Ich hab manchmal so eine mentale Erschöpfung von so vielen schlechten Nachrichten. Das darf man sich aber nicht allzu lange erlauben. Und genau diese Menschen, die auch so eine Erschöpfung haben, sich aber nicht rausholen können, die dürfen wir nicht verlieren, denn die fallen ja in die Hände der Menschenfänger, die gerade ordentlich unterwegs sind, auch bei euch in Österreich. Das ist viel Arbeit für die Politik und für uns als Gesellschaft. Aber hoffnungslos bin ich nicht, denn das hieße, die anderen haben gewonnen und das will ich nicht zulassen.