Lebenszyklus in Baden und Graz

Zwei Städte, zwei Bücher, ein Präsident: Über Leben und Sterben im jüdischen Baden und Graz hat Autor und Gemeindepräsident in beiden Städten Elie Rosen viel zu erzählen. Und das tut er jetzt in gleich zwei Neuerscheinungen.

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Jüdischer Friedhof in Graz erzählt von der lebendigen Stille der Stadt. © Jüdische Gemeinde Graz

Im Juli 2022 erscheinen zwei Bücher von Elie Rosen, dem Präsidenten der Grazer, Badener und slowenischen jüdischen Gemeinde. Die Themen dieser Bücher können nicht unterschiedlicher sein. Eines beschäftigt sich mit dem jüdischen Leben in Baden, das andere mit dem Sterben im Judentum und dem Friedhof in Graz.

„Da ich teilweise in Baden aufgewachsen bin, habe ich mich mit der Stadt aus persönlichen Gründen viel auseinandersetzt“, erzählt Elie Rosen. „Mir lag es daran, im Buch zu zeigen, welchen Zusammenhang es zwischen jüdischen Künstlern und Wissenschaftlern mit der Stadt Baden gibt.“ Schon früh setzte er sich für die jüdische Gemeinde in Baden ein und konnte 1988 erfolgreich die Rettung der Synagoge vor dem Abriss erreichen, die dann 2005 wieder eingeweiht wurde. 17 Jahre mussten vergehen und viele Kämpfe ausgefochten werden, damit die Synagoge in der Grabengasse wieder renoviert wurde. Baden galt vor dem Zweiten Weltkrieg als beliebter Ort der „Sommerfrische“ und als Treffpunkt intellektueller, künstlerischer und gehobener sozialer Kreise. Nicht zuletzt auch, weil Kaiser Franz I. mit seinem Hofstaat die Sommer in Baden verbrachte.

Elie Rosen: Jüdisches Baden. Entdeckungreisen, Spurensuche, Stadtwanderungen. Amalthea 2022, 216 S., € 27

Der erste „Israelitische Kultusverein“ wurde 1871 in Baden begründet. Aber auch nach 1945 war es die Stadt Baden, wo sich die einzige jüdische Gemeinde in Niederösterreich wieder etablierte. Das Buch Jüdisches Baden. Entdeckungsreisen, Spurensuche, Stadtwanderungen beschreibt in Spaziergängen die Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens in Baden. Für Elie Rosen war seine Arbeit zu diesem Buch ein „emotioneller Hochseilakt“, denn in der ehemals drittgrößten jüdischen Gemeinde Österreichs wurde nahezu jede Erinnerung an eine jüdische Existenz zerstört. „Für mich war das Vorhaben der Renovierung der Synagoge auch deshalb so wichtig, weil es die Erhaltung des einzigen Mahnmals der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Baden bedeutete“. Die Rundgänge in Baden verlangen nach individuellem historischen Vorstellungsvermögen, das durch Gedichte, interessante Textstellen und tatsächliche Überreste jüdischer Kultur das Leben vor der Zerstörung durch die Nationalsozialisten wieder aufleben lässt. So wird das frühere alltägliche jüdische Leben, das Theater, die Literatur, Musik und Architektur, aber auch Wirtschaft und Wissenschaft der Kurstadt in diesem Buch wieder lebendig. Über Arthur Schnitzler, ein regelmäßiger Gast in Baden, ist in mehreren Kapiteln des Buches zu lesen. 2021 wurde Baden von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben, und so fügt sich auch darin das zeitgenössische jüdische Leben und die einhergehende Kultur ein. Dieses und nächstes Jahr wird des 150-jährigen Bestehens des jüdischen Friedhofs und der Synagoge gedacht. Das Buch ist auch ein Teil dieser Gedenkkultur, aber auch ein ungewöhnlicher Reiseführer, der Vergangenes und Zeitgenössisches durch Essays, Gedichte und nicht zuletzt durch die wunderbaren Fotografien von Ouriel Morgensztern zusammenführt und zum Flanieren einlädt.

Garten G-ttes für die Ewigkeit. Vieles in der jüdischen Geschichte ist durch Zerstörung oder Vergessen nicht mehr sichtbar. Jüdische Friedhöfe aber sind für die Ewigkeit ausgerichtet. In Österreich gibt es etwas mehr als 60 jüdische Friedhöfe, davon stehen 49 im Eigentum der jüdischen Gemeinden, die einen großen Teil der Erhaltungskosten tragen müssen. Allein das „IV. Tor“ am Zentralfriedhof in Wien hat 260.000 m2 , gefolgt vom Friedhof Wien-Währing, Baden und Graz. Die kleinsten Anlagen liegen in Bad Pirawarth, Bad Aussee und St. Pölten. Seit 2010 hat die Republik Österreich einen Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe eingerichtet. Elie Rosen beschreibt im reichbebilderten Buch Beit Ha’Chajim. Haus des Lebens die fast 160-jährige Geschichte des jüdischen Friedhofs von Graz. Eine lyrische Unterbrechung der vielen Beschreibungen der Bestattungsriten und Trauervorschriften bilden Gedichte und literarische Szenen jüdischer Schriftsteller:innen. Die zahlreichen Fotos wurden vom slowenischen Fotografen Le.Luka gemacht, der durch seine Schwarz-weiß-Aufnahmen die Leser:innen in künstlerische Besinnlichkeit versetzt. Elie Rosen beschreibt in chronologischer Reihenfolge den rituellen Ablauf des jüdischen Sterbens und hilft damit den interessierten Leser*innen, viele Fragen zu beantworten, die dieses schwierige Thema betreffen. Das Foto eines Toten, nach der Tahara (Waschung) in seine Leichentücher gehüllt, ist wohl eines der beeindruckendsten in diesem Bild- und Textband. „Mir ging es darum, wie der Tod und das Sterben nach der jüdischen Tradition ablaufen. Die praktische Vermittlung von Kultur und Religion auch zu diesem Thema ist ein wichtiger Beitrag. Das weiterzugeben und die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben im Judentum sind mir ein Anliegen, weil das in einer tieferen Form nicht so oft vorkommt“, erläutert Elie Rosen.

„Die Gedanken zum Leben nach dem Tod oder wie sieht die
Welt im Jenseits aus, ist mir zu philosophisch,
denn das kann niemand beantworten.“

Elie Rosen

Nach den allgemeinen Beschreibungen der Vorschriften, wie mit einem Leichnam umzugehen ist, werden die zahlreichen Symbole auf jüdischen Grabsteinen erklärt. So überrascht die Symbolik der Schlange, die nicht für Verführung, sondern Symbol für den ewigen Kreislauf von Leben und Tod steht. „Die Gedanken zum Leben nach dem Tod oder wie sieht die Welt im Jenseits aus, ist mir zu philosophisch, denn das kann niemand beantworten.“

Der Bild- und Textband beschreibt das Sterben im Allgemeinen, bezieht sich aber auch auf den jüdischen Friedhof in Graz. Nach der Shoah sind die jüdischen Friedhöfe Österreichs häufig die letzten Relikte und Zeugnisse einer weitgehend zerstörten Kultur. Der über 18.000 m2 große Friedhof Graz ist einer der wenigen noch aktiven jüdischen Friedhöfe in Österreich. 1864 gegründet, wurden auf ihm von 1865 bis heute rund 1.460 Gräber errichtet. Er dient als Hauptbegräbnisstätte der jüdischen Gemeinde Graz. Es finden sich auf diesem Friedhof im Gegensatz zu Wien nur wenige über die Stadt Graz hinaus bekannte Persönlichkeiten, die hier begraben wurden. Hervorgehoben werden kann hier das Grab von Madame D’Ora, Dora Philippine Kallmus. Die international bekannte Fotografin (1881– 1963) wurde vor allem mit Porträtaufnahmen aus der Wiener Künstler- und Intellektuellenszene bekannt, etwa von Alma Mahler-Werfel, Arthur Schnitzler, Anna Pawlowa, Gustav Klimt und Emilie Flöge, Marie Gutheil-Schoder, Pau Casals, Berta Zuckerkandl-Szeps und Anita Berber. 1916 fotografierte sie offiziell auch die Krönung Kaiser Karls zum ungarischen König.

Elie Rosen: Beit Ha’Chajim. Haus des Lebens. Der jüdische Friedhof von Graz. Vom Tod und Sterben im Judentum. Amalthea 2022, 256 S., € 38

Interessant ist auch der Gedenkstein für KR Simon Rendi. Geboren als Simon Rosenbaum, zählte er gemeinsam mit seinem Bruder Adolf Rendi zu den erfolgreichsten jüdischen Geschäftsleuten in Graz. Er war von 1912 bis 1922 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde sowie Gründer und Präsident der Grazer B’nai-B’rith-Loge. Rendi blieb kinderlos und wurde 1942 im Konzentrationslager Jasenovac ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen nach Graz zurückgekehrte Mitglieder der Familie Rendi den Gedenkstein errichten. Simon Rendi war über die Linie seines Großvaters ein Verwandter des Ehemannes der SPÖ-Politikerin Pamela Rendi-Wagner.

Die zahlreichen Fotos der Grabsteine am Ende des Bildbandes erzählen über Menschen, die die jüdische Geschichte der Stadt Graz mitgestaltet haben. Ein beeindruckender Rundgang zu einem Thema, das lebendig in seiner Stille ist.

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