„Lerne zu lieben, was du hasst“

Noch bis 18. März ist im Architekturzentrum Wien die erste große Personale über Denise Scott Brown zu sehen. Die heute 87-jährige „geheime“ Ikone der modernen Architektur und feministische Legende veränderte das Verständnis des engen Zusammenspiels von sozialer Verantwortung und verantwortungsvoller Stadtplanung nachhaltig.

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Denise Scott Brown vor der Skyline von Las Vegas, 1972. © Robert Venturi

Entwerfen ist eine abenteuerliche Reise, die zu überraschenden Ergebnissen führen soll: vielleicht zu einer wilden, unerwarteten Schönheit oder zu einer quälenden, wenn die Gegebenheiten katastrophal sind und die Vorstellungskraft harte Fakten aus einer schwierigen Realität bezieht.“ Denise Scott Brown gilt heute als eine der Pionierinnen der modernen Architektur und Stadtplanung. Gemeinsam mit ihrem zweiten Mann, Robert Venturi, entwickelte Brown ab den 1960er-Jahren zahlreiche Studien, Konzepte und Projekte für eine neue Sicht der Stadt abseits historisierender und idealisierender urbaner Zentren. Vielmehr interessierte die im Laufe ihres langen Lebens an zahlreichen Universitäten Lehrende das „Alltägliche“, das „Hässliche“, das Soziale, all die täglich übersehenen Qualitäten einer Stadt, Orte der Begegnung, wie Straßenkreuzungen und Cafés, Geschäftsportale, Werbeschilder. Heute gelten ihre Vorträge und Studien, vor allem ihr 1972 gemeinsam mit ihrem Mann herausgegebener und auf einem ab 1968 durchgeführten groß angelegten Forschungsprojekt mit ihren Studierenden basierender Band Learning from Las Vegas als Vorreiter einer „postmodernen“ Architektur, der gegenüber sich die beiden selbst hingegen immer wieder kritisch entzogen. Browns und Venturis Blick auf Architektur und Stadtplanung war und ist einer der Kommunikation und des sozialen Miteinanders. Kreuzungen und Diagonalen, die aus dem strengen Korsett architektonisch vorgegebener Weg- und damit Lebensstrecken ausbrechen, kommunikative Orte mehr als Orte des Rückzugs und der Kontemplation des Vergangenen waren es, die die beiden Architekt*innen interessierten. Dass das nicht unmittelbar mit einem „Postmoderne-Eintopf“ zu tun hatte, betonten Brown und Venturi immer wieder und mit großer Vehemenz, galt doch ihre Arbeit ein Leben lang dem Interesse an einer Nicht-Vereinnahmung und funktionalen Möglichkeitsformen urbanen Lebens abseits historischer Kopien und gestalterischer Rückwärtsgewandtheit. „Kommunikation ist ein Teil von Funktion in Architektur“, sagt Brown im Begleitvideo zur Ausstellung des Architekturzentrums Wien (Az W), die ihr langjähriger Mitarbeit Jeremy Eric Tenenbaum gemeinsam mit der Architektin selbst gestaltet hat. Downtown Denise Scott Brown heißt die spielerisch und interaktiv gestaltete weltweit erste große Personale über die heute 87-jährige prägende Urbanistin, dessen zweiter Ehemann, Robert Venturi, im Herbst letzten Jahres im Alter von 93 Jahren gestorben ist.

 »Kein Architekt ist gewillt zu begreifen, dass ich eine Architektin bin. […] lasst ja niemanden glauben, dass ich eine Designerin bin.«
Denise Scott Brown

Geboren wurde Denise Lakofski 1931 als Tochter jüdischer Einwanderer in der 1920 als Eisenbahnstation in der Provinz „Copperbelt“ (Kupfergürtel) gegründeten Kleinstadt Nkana, heute ein Stadtteil der zweitgrößten Stadt Sambias, Kitwe. „Meine Kindheit und Jugend verbrachte ich in Johannesburg“, liest man in einem kleinen Foto, das unscheinbar auf der Theke der Az W-Bar steht. Und: „Als in den 1930er- und 40er-Jahren immer mehr Menschen von den Nazis nach Südafrika flüchteten, verstärkte sich der multiethnische und multikulturelle Charakter.“ Lakofskis Eltern zählten zur Generation der früh Emigrierten aus Osteuropa. Zu diesen reihten sich ab den 30er-Jahren immer mehr „Nachkommen, […] jüdisch wie wir, aus Litauen und Lettland. Menschen so alt wie ich oder meine Eltern.“ Die Familie war 1933 nach Johannesburg gezogen, wo die Eltern das südafrikanische Architektenbüro Hanson, Tomkin & Finkelstein mit dem Bau ihres neuen Hauses beauftragten – „es ist bis heute ein schönes Haus“, sagt Brown. „International Style“, reduziert, klar. Und wohl eine der ersten Begegnungen mit moderner Architektur. „Mit zwei Jahren wurde ich Modernistin“, erinnert sie sich später an ihre Kindheit im neuen Eigenheim zwischen Geschwistern, Großfamilie, Emigrant*innen und multikulturellem Zusammenleben. Und an anderer Stelle: „Wir waren ethnisch in der Wildnis. Ich war immer froh, diese wilden Wurzeln in mir zu haben.“

Weitblick. Denise Scott Brown hilft beim Bau einer Tennishalle an der Universität Witwatersrand, 1950. © Clive Hicks

Women in Design. Ab 1948 studiert Denise an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg, wo sie ihren ersten Mann Robert Scott Brown kennen lernt. Es folgen Jahre des gemeinsamen Reisens nach Europa, erste Arbeitserfahrungen, erste Lehraufträge. 1955 heiraten die beiden, 1959 stirbt Brown bei einem Autounfall. Denise Brown beginnt kurz darauf an der Penn’s School of the Fine Arts zu unterrichten und lernt dort 1960 ihren zweiten Mann, Robert Venturi, kennen. Während „Bob“ in den kommenden Jahren seine Karriere als selbstständiger Architekt verfolgt, setzt Denise Brown ihre Lehrtätigkeit fort. Bald schon arbeiten die beiden, die 1967 in Santa Monica heiraten, sowohl in der Lehre wie als Architekt*innen und Stadtplaner*innen eng zusammen.
„Wir sind beide Arbeitspferde, nicht ein Pferd und ein Pony“, hielt Brown selbstbewusst fest. Eine Tatsache, die über Jahrzehnte ignoriert wurde – Venturi erhält zahlreiche Preise und Ehrenmitgliedschaften, Brown wird marginalisiert und ignoriert. 1991 realisieren die beiden gemeinsam sowohl das Seattle Art Museum wie den „Sainsbury Wing“ der Londoner Nationalgalerie, und Venturi erhält den renommierten Pritzker-Preis. Zwei Jahre zuvor hatte Brown ihren Essay Room at the Top? Sexism and the Star System in Architecture veröffentlicht – doch es sollte erst 2013 sein, dass eine viel beachtete Kampagne von „Women in Design“ die Zuerkennung des Preises an beide gemeinsam fordert. Über 20.000 Menschen unterschreiben die Petition – doch Pritzker korrigiert die Entscheidung nicht. Erst 2016 erhalten Denise Scott Brown und Robert Venturi die Goldmedaille des American Institute of Architects – die erste gemeinsame Auszeichnung nach über einem halben Jahrhundert gemeinsamer Arbeit.
2017 und 2018 folgen weitere späte Auszeichnungen – wichtige Schritte in der Wahrnehmung von Frauen in der zeitgenössischen Architektur und Stadtplanung. Doch Brown ist nur eine von vielen Architektinnen, die bis heute unterschätzt, unbeachtet, in der zweiten Reihe bleiben. „Kein Architekt ist gewillt zu begreifen, dass ich eine Architektin bin“, stellt Brown bitter fest. „Sie sagen, ich bin eine Bewahrerin, ich bin weine Planerin, ich bin Teil der Frauenbewegung, ich leite das Büro – alles Dinge, die sie nicht interessieren. Aber lasst ja niemanden glauben, dass ich eine Designerin bin. Es ist hoffnungslos.“
Mit Downtown Denise Scott Brown betonen Tenenbaum und die beiden Kuratorinnen Angelika Fitz und Katharina Ritter die nicht zu überschätzende Bedeutung der trotz des Todes ihres Mannes und einer schweren Augenerkrankung weiterhin aktiven Architekturpionierin. Die anregend und bilderrewich gestaltete Schau mäandert entlang wichtiger Lebensstationen und persönlicher Aussagen und Erinnerungen der Stadtplanerin und Urbanistin. Wer hier spricht, ist vor allem Brown selbst. Mal erklärend, mal reflektierend, fast immer mit viel Humor, da und dort resignativ. Eine Pionierin ist selbst am Wort.

Downtown Denise Scott Brown
Ausstellung bis 18. März 2019, tgl. 10–19 Uhr
Architekturzentrum Wien; Museumsplatz 1, 1070 Wien
azw.at

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