Licht am Ende des Tunnels

Verdrängung stand am Anfang der Krise, die eine systemische ist, Verdrängung begleitete uns durch die Krise. Hoffen wir, dass Verdrängung nicht auch die Zukunft prägt.

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Zeichnung: Karin Fasching

Der Alltag des rauschenden Konsumismus, der permanenten Produktion und Mobilität ist in den letzten Wochen zum Erliegen gekommen. Surreale Bilder entleerter Städte und Weltgegenden und widersprüchliche Informationen, Warnungen vor den unmittelbaren Gefahren einer unsichtbaren Bedrohung wie auch vor den Folgen der gesetzten und immer wieder neu justierten (und bisweilen willkürlich exekutierten) Maßnahmen prägten die Wortmeldungen, Beiträge und Papers namhafter WissenschaftlerInnen unterschiedlichster Disziplinen.
Die (Medien-)Welt war von einem einzigen Thema geprägt; exponentielle Kurven auf allen Kanälen. Und statt des Eurovision Songcontest: ein tosendes Länderranking der (mutmaßlichen) Infektionen, der Genesenen und der Sterbefälle. Und allerorts Regierungsspitzen, die verkündeten: „Wir haben so rasch gehandelt wie kaum ein anderes Land.“
Eine kritische Gegenöffentlichkeit, warnende Stimmen, die zuletzt über Monate und Jahre auf diverse gesellschaftliche Missstände und globale Fehlentwicklungen hingewiesen hatten, war mit einem Mal aus dem öffentlichen Raum und somit aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwunden.
Nach langem Zögern und widersprüchlichen Kommentaren von offizieller Seite, herrschte in Österreich auf einmal statt des Vermummungsverbots staatlich verordnete Maskenpflicht.

»Die Corona-Krise könnte Menschen dazu bringen, darüber nachzudenken,
was für eine Art Welt wir wollen.«

Noam Chomsky

Suggerierte Normalität im Schwebezustand. Weltweit setzte man auf Lockdown, Abschottung und die Rückbesinnung auf nationalstaatliche Grenzen und (politische) Interessen.
Die geballten News prasselten auf uns ein, und wir alle waren dem medialen Rauschen vor dem Hintergrund fehlender Daten ausgesetzt, zurückgeworfen auf unsere eigenen vier Wände, zum Innehalten verbannt. Angesichts der Unfassbarkeit der Situation fand man sich in mehr oder weniger privilegierter Lage in illustrer Corona-Biedermeierlichkeit wieder. Es wurde Brot gebacken, Hausunterricht praktiziert, getrunken und geturnt. Homeoffice, Telearbeit und Ausbau der Internetpräsenz und (gratis) -angebote wurden als Novum gefeiert, um zukunftsfit zu sein. Für alle, die es sich leisten konnten, war die Flucht in die Produktivität naheliegend. Sie suggerierte Normalität im Schwebezustand, als handelte es sich bloß um eine kleine Unterbrechung der Logik der globalen Schieflage, kaum störender als ein kurzer TV-Bildausfall. Schon bald würde es ja „ein Licht am Ende des Tunnels“ geben: ein Sprachbild, das Politiker weltweit bemühten. Manchmal ist das Licht am Ende des Tunnels auch ein entgegenkommender Zug.
Ansonsten verließ man sich auf die Regierung, die auf Message Control und das Schüren von Angst als probates Mittel des Krisenmanagements setzte. Kritische WissenschaftlerInnen, die essenzielle Bedenken, Public-Health-Anmerkungen und Forschungserkenntnisse einbrachten, waren von offizieller Seite nicht gern gesehen, gegenläufige Meinungen wurden als Verrat an der gerechtfertigten Verordnungsflut angesehen, zivilgesellschaftlich wurden mögliche falsche Bewegungen von Nachbarn gerne beobachtet und den Behörden gemeldet.
Verdrängung stand am Anfang der Krise, die eine systemische ist, Verdrängung begleitete uns durch die Krise: Die sozial Schwächsten, die (nunmehr) Arbeitslosen, die Obdachlosen und Wohlstandsverlierer, Heimatlosen, Flüchtenden, an den Rändern der Privilegiertheit und Sichtbarkeit – all jene, die keine Möglichkeit hatten, in einem gesicherten Umfeld auf physische Distanz zu gehen, um sich und andere zu schützen, drohten, ganz in Vergessenheit zu geraten.

Halbwertszeit des kollektiven Erinnerns. Ein leitender Ingenieur, der für Lawinen- und Wildbachverbauungen zuständig ist, hat mich einmal darauf hingewiesen, dass die Halbwertszeit des kollektiven Erinnerns erstaunlich kurz sei: Selbst nach tödlichsten Naturkatastrophen, die ganze Dörfer ausgelöscht hätten, würden die BewohnerInnen nach kurzer Zeit wieder in den roten – den verbotenen, weil exponierten und gefährdeten – Zonen ihre Häuser errichten.
Hoffen wir, dass Verdrängung nicht auch die Zukunft prägt, dass die erbrachten Entbehrungen und (gesellschaftlichen) Folgen der Quarantäne nicht blind machen für etwaige demokratiepolitisch gefährliche Entwicklungen, sondern vielmehr ein Hinterfragen des Geschehenen, eine Analyse der richtigen und der falschen Entscheidungen sowie ein Neuorientieren an einem Gemeinwohl, das allen zuträglich ist, stattfinden kann. – Oder, um mit Yuval Noah Harari zu sprechen: „Humanity needs to make a choice. Will we travel down with the route of disunity, or will we adopt the path of global solidarity.

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