Lizenz zum Töten

In Yishai Sarids neuem Roman Siegerin steht eine Militärpsychologin im Dienst der Macht und vor moralischen Fragen.

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Yishai Sarid: Siegerin. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Kein & Aber 2021, 240 S., € 22,70

Wie bringt man junge Soldaten dazu, Aug in Aug mit dem Feind zu kämpfen, Terroristen im Visier, auf den Abzug zu drücken, zu töten, um zu überleben, zu töten, um zu siegen?
Fragen, die man sich hierzulande nicht unbedingt stellt, erhalten in Israel offenbar einigen Sprengstoff. Doch vor heißen Eisen schreckt der israelische Erfolgsautor Yishai Sarid nicht zurück. War er mit seinem Politthriller Limassol tief in die Verhörkeller des Inlandsgeheimdienstes abgetaucht, hat er mit Monster die Rituale der Erinnerungskultur in Auschwitz hinterfragt, so wendet er sich mit seinem jüngsten Roman Siegerin nun einem innermilitärischen Problem zu. Und wie immer lässt Sarid seine Protagonisten in der von ihm gewählten Versuchsanordnung in moralische Zweifel über ihr Tun geraten, bringt ihr scheinbar sicheres Weltbild gehörig ins Wanken.

„Wir haben feinsinnige Kinder,
haben sie nicht zum Töten erzogen.“

Tötungsfit. Als Militärpsychologin ist Abigail eine Dienerin der Macht. Ihr Vater, ein sensibler, kultivierter Musikkenner, ist als Psychoanalytiker der alten Schule keineswegs einverstanden mit dem Berufsbild seiner einzigen Tochter. Hat sie lange Zeit vor allem kriegstraumatisierte Soldaten therapiert, so entwickelte sie sich im Laufe der Jahre zu einer anerkannten „Expertin für die Psychologie des Tötens“. Ihre Aufgaben sind vielfältig. So soll sie bei den brutal-harten Auswahlverfahren für die militärische Eliteausbildung die psychische Belastbarkeit der Kandidaten unter extremsten Bedingungen einschätzen, unter anderem während der erschreckend authentischen Simulation von Gefangennahme und Verhören durch den Feind. Diesem von Mann zu Mann ins Auge zu blicken, bei Bodengefechten im Feld, daran „hapert es“, stellt Generalstabschef Rosolio fest. „Wir haben feinsinnige Kinder, haben sie nicht zum Töten erzogen.“ Abigail soll die verwöhnten Söhne der vergleichsweise auch schon wohlstandsverweichlichten Eltern psychisch aufmunitionieren, sie quasi tötungsfit machen. Denn die alten Haudegen aus der heroischen Kämpfergeneration der Großväter hätten keine Psychologen gebraucht, wie Ariel Scharon einmal angemerkt haben soll.
Aus der mütterlichen Perspektive muss die heroische Alleinerzieherin Abigail schließlich erfahren, wie Schauli, ihr einziges Kind, während seiner prestigeträchtigen Ausbildung zum Fallschirmjäger in der realen Konfrontation mit der Gefahr psychisch einknickt. Dass Schaulis ihm unbekannter Vater gerade der mächtige Generalstabschef sein muss, spitzt diesen Konflikt zu. Und sogar den Kick des Tötens wird die professionell distanzierte Beobachterin noch am eigenen Leib erleben können.

Echt jetzt? Aus der sicheren Entfernung von den Schauplätzen der Gewalt mag das gesamte Szenario des Romans befremdlich bis nahezu exotisch wirken. Die Schönheit eines Gewehrs, das Hochgefühl eines Scharfschützens beim Zielen, das Pathos militärischer Zeremonien, das martialische Vokabular, all das und mehr lassen einen zweifelnd erstaunen. In echt jetzt? Auch die Position des Autors, der sich höchst raffiniert hinter dem Erzähler-Ich der Psychologin versteckt, ist dabei nicht immer zu fassen. Dass er die weibliche Erzählperspektive, vorzugsweise die von nicht mehr jungen, doch immer noch attraktiven, erotisch aktiven Müttern gut beherrscht, hat Yishai Sarid bereits in mehreren Romanen gezeigt.
Mit seiner „Siegerin“ leuchtet der Politikersohn Sarid, der selbst als Nachrichtenoffizier der Armee diente und heute als Rechtsanwalt tätig ist, wiederum ein abseitiges Feld der israelischen Wirklichkeit aus.

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