„Das hätte man auch früher haben können“, tönte es während der Präsentation der Jury-Entscheidung aus den Reihen der anwesenden Journalisten. Damit formulierte der Kollege wohl etwas, was sich in dem Moment viele der Anwesenden dachten: Warum wurde da über ein Jahrzehnt zugewartet? Kaup-Hasler meinte dazu: „Nur vermeintlich kehren wir zu einem Entwurf des Jahres 2010 zurück, denn es hat sich Entscheidendes verändert: Der stetige und in aller Breite geführte Diskurs in der Öffentlichkeit hat den Boden für eine Akzeptanz eines Eingriffes erst bereitet.“ Den Handlungsbedarf hätten vor allem die Protestaktionen seit dem Sommer 2019 gezeigt. Seit damals gab es einerseits künstlerische Interventionen, andererseits wurde das Denkmal mehrmals besprayt und beschmiert und dabei unter anderem mit „Schande“-Schriftzügen versehen – zuletzt wurde der obere Teil der Skulptur mit türkiser Farbe übergossen.
Was Kaup-Hasler (SPÖ) am Mittwoch allerdings auch unterstrich: Die Positionen zum Denkmal decken ein weites Spektrum ab – von stehen lassen, wie es ist, über eben verändern und kontextualisieren bis zu entfernen. Letzteres sei für sie aber keine Option, weil: „Ich möchte nicht, dass aufgehört wird, über Lueger und seine Folgen, seine Politik, den politischen Antisemitismus nachzudenken. Auch die nächsten Generationen müssen die Möglichkeit haben, sich mit der Geschichte der Stadt auseinanderzusetzen.“
Ähnlich auch der Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, Markus Figl (ÖVP): Er sei gegen die Entfernung von Geschichte aus dem öffentlichen Raum. Und es brauche eine differenzierte Betrachtung der Person Luegers, der sich einerseits mit einer proaktiven Sozialpolitik und großen Infrastrukturprojekten in die Stadtgeschichte eingeschrieben habe, auf der anderen Seite aber eben auch mit Populismus, Rassismus, Antisemitismus. Kritik kam von Figl an den Beschmierungen und Besprayungen des Denkmals. „Ich finde es schade, dass hier viel devastiert worden ist und ich frage mich schon, wie wir mit Dingen im öffentlichen Raum umgehen. Wer definiert, was für einen guten Zweck devastiert werden darf und was nicht?“
Nun wird das Denkmal jedenfalls einmal im Zug der Umgestaltung gereinigt, wie Martina Taig, Geschäftsführerin von „Kunst im öffentlichen Raum“ (KÖR) bekannt gab. Die Kosten dafür bezifferte sie auf Nachfrage auf 100.000 bis 150.000 Euro. Die Neigung des Denkmals wird dann über die Sockelbasis erzielt – diese wird abgetragen und neu betoniert, erläuterte Wihlidal. „Wenn man die Skulptur um 3,5 Grad neigt, verliert sie optisch die Balance. Diese minimale Irritation erweist sich als starkes Zeichen, durch die Schieflage wird der Anspruch auf Monumentalität gebrochen.“ Und, so der Künstler: „Die Schieflage verändert die Perspektive auf Vergangenheit und Gegenwart.“
Dennoch wird der Betrachter Informationen brauchen, um diese Neigung auch einordnen zu können. Neu gestaltet werden soll daher auch die derzeit einerseits im Verhältnis zum Denkmal sehr klein gehaltene und eher beschwichtigend formulierte Tafel. Zu Lueger ist da derzeit zu lesen: „Karl Lueger (1844-1910) war Rechtsanwalt. Ursprünglich Anhänger des Liberalismus, gründete er 1893 die Christlich-Soziale Partei. Seine politische Rhetorik wurde zunehmend von populistischem Antisemitismus und der Vormachtstellung des deutschen Nationalismus beeinflusst. Als Bürgermeister vertiefte er den modernen Ausbau der kommunalen Infrastruktur Wiens, modernisierte die Verwaltung und förderte die Entwicklung der Stadt zu einer Metropole während der intensiven Zuwanderung von Menschen aus allen Teilen der Habsburger Monarchie. Zu seinen Verdiensten zählten die Kommunalisierung des öffentlichen Verkehrs, der Wasser-, Gas- und Stromversorgung Wiens, die Witwen- und Waisenpension sowie die Pflege- und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Zu danken ist ihm auch die Bewahrung des Wald- und Wiesengürtels rund um Wien. Die Steinstatuen, die das Denkmal flankieren, sind symbolischer Ausdruck dieser Leistungen. Lueger verstärkte während des Nationalitätenkonflikts in der späten Habsburger Monarchie den antisemitischen und nationalistischen Trend seiner Zeit. Schon zu Lebzeiten ein ‚Mythos’, bleibt daher Karl Lueger in der Gegenwart eine umstrittene Persönlichkeit.“ Kein Hinweis findet sich hier auf die nationalsozialistische Gesinnung des Bildhauers Josef Müllner, der das Denkmal schuf.
Das soll sich nun ändern. Wie groß die neue Tafel ausfallen wird, wo auf dem Dr.-Karl-Lueger-Platz sie positioniert wird und welche weiteren Informationen sie enthalten wird, konnte am Mittwoch allerdings nicht beantwortet werden. Das sei nun Gegenstand einer weiteren wissenschaftlichen Abklärung, welche Grundinformationen hier enthalten sein sollen, so Taig. „Wir bündeln Wissen und bringen in aller Klarheit Dinge auf den Punkt.“
Wie klar diese Klarheit ausfällt, wird wohl erst 2024 zu beurteilen sein – bis dann soll das Denkmal zunächst abgebaut, gereinigt, umgestaltet und dann wiederaufgestellt worden sein. Viel wird allerdings eben genau von diesem Text abhängen. Daher muss auch jetzt schon die Frage gestellt werden: Wie sehr wird sich hier die Politik einbringen? Und kommt es damit erneut zu einer Verwässerung oder tatsächlich zu einem erinnerungskulturellen Durchbruch? Das Kippen des Denkmals nimmt ihm ohne Zweifel die derzeit an diesem Platz so spürbare Überhöhung Luegers. Ohne akurate Erklärung werden aber wohl viele Betrachter vielleicht ein bisschen Unwohlsein verspüren, aber nicht genau wissen, warum.
Und wie wird es dann weitergehen? Was etwa, wenn das Denkmal erneut beschmiert wird? Wihlidal ließ sich da bei dem Pressetermin zu einer durchaus interessanten Äußerung hinreißen: Das Denkmal werde nun eben einmal gereinigt und dann – geneigt – neu aufgebaut. Und dann werde man sehen, wie es weitergehe. „Es wird wieder zur Verfügung stehen.“ Replik Kaup-Haslers darauf: „Wir werden sehen, wie die Öffentlichkeit damit umgeht. Ich werde niemanden befeuern, das zu tun, weil ich persönlich nichts anschmiere, aber wir werden sehen, was diese Schrägstellung dieses Kunstwerks in der Öffentlichkeit auslöst.“ Sie betonte zudem, dass die Stadt mit den aktuellen Beschmierungen „gelassen“ umgehe. „Hier schreibt sich auch etwas ein in das Denkmal.“
Jury-Vorsitzende Eva-Maria Stadler, sie ist Professorin für Kunst- und Wissenstransfer an der Universität für Angewandte Kunst Wien, betonte, es gehe nun vor allem darum, die sehr schwierige Figur des Dr. Karl Lueger in der Bevölkerung in ein anderes Bewusstsein zu bringen. In der Entscheidung der Jury heißt es dazu unter anderem: „Der Entwurf vermag die öffentliche Debatte lebendig zu halten und so zu einer Bewusstseinsschärfung in der Zivilgesellschaft zu führen. Die Transformation des Denkmals unterläuft die affirmative Betrachtung von Luegers Politik der Ausgrenzung und seiner rassistischen und antisemitischen Hassreden.“ Neben Stadler gehören der Jury an: Iris Andraschek, Aleida Assmann, Katharina Blaas, Herwig Turk, Markus Figl, Lucia Grabetz, Felicitas Heimann-Jelinek, Sonja Huber, Franz Kobermaier, Hanno Loewy, Herbert Posch, Thomas Dr. Trummer sowie Heimo Zobernig.