„Machen Sie mich schön, Madame d’Ora“

Eine elegante Bildmonografie zeigt das fotografische Werk von Dora Kallmus (1881–1963), in dem sich Kunst, Kultur und Moden, die Gesellschaft ihrer Epoche und deren Ikonen spiegeln.

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Die Tänzerin. Trudl Dubsky war Mitglied des Bodenwieser-Ensembles. Wien, um 1930. © picturedesk.com/ Ullstein

Nur ein winziger Accent bedeutet den Schritt zu einer einzigartigen Karriere.

Erst 26 Jahre alt ist Dora Kallmus, die höhere Tochter aus großbürgerlichem jüdischen Haus, als sie sich den höchst raffinierten Künstlernamen d’Ora zulegt und mit ihm ein Atelier eröffnet, in dem sich sehr bald tout Vienne einfindet. Ein Porträt von Madame d’Ora musste man wohl haben, und so liest sich die Liste ihrer Klientel wie ein Who is Who der Haute­vo­lee. Gustav Klimt und Arthur Schnitzler, Frau Sacher, Karl Kraus und Max Reinhardt, Kaiser Karl, Erzherzoginnen und Komtessen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen, sie alle wollten von ihr „gemacht“ werden.

Die Fotografin.
Madame d’Ora
(Dora Kallmus), um 1962.

„Vor allem soll die aufzunehmende Person ihr eigenes Bild selbst mitmachen. Sie muss mit Interesse daran mitarbeiten – sie dahin zu bringen, ist meine schwere Aufgabe“, schreibt d’Ora 1913. Da waren ihr bereits Ausstellungen gewidmet und sie als erste Frau von der Photographischen Gesellschaft in Wien ausgezeichnet worden. Zu ihrer radikalen Selbstverwirklichung als Künstlerin und Geschäftsfrau trieb sie letztlich ihr langjähriges geheimes Verhältnis mit einem verheirateten Mann, das ihr eine Heirat unmöglich machte.

Das Modell. Mrs. Karton trägt Halskette und Turban aus Goldfäden von Suzanne Farnier. Paris, 1933.

Modefotografin. Nach ihrer Übersiedlung ins glamouröse Paris der 20er-Jahre erreicht Madame d’Ora als Modefotografin im doppelten Wortsinn ihren Zenit. Sie arbeitet für exquisite Journale und die teuersten Couturiers, fotografiert Josephine Baker nackt und bekleidet, Maurice Chevalier posierend und schlafend, Stars und unbekannte Schöne.

Heute würde man sie wohl als perfekt vernetzte Karrierefrau bezeichnen, doch d’Ora war und sah sich in erster Linie als Künstlerin und ihre Modelle als Individuen, deren Charakteristika sie so wunderbar einzufangen wusste, was vielleicht ihre größte Kunst war.

»Vor allem soll die aufzunehmende Person ihr eigenes Bild selbst mitmachen.«

Der Nationalsozialismus macht auch in Paris der eleganten Welt ein Ende, und die getaufte Jüdin versteckt sich in einem französischen Gebirgsdorf, während ihre geliebte Schwester Anna im KZ umkommt. 1946 reist sie wieder nach Österreich und fotografiert in Displaced-Persons-Lagern entwurzelte Menschen in trister Umgebung. Die einstige Chronistin der High Society protokolliert nun das Elend. In Paris werden Tierkadaver in Schlachthöfen ihre bevorzugten morbiden Motive. Sie, die immer wieder auch gern essayistisch geschrieben hat, arbeitet an ihrem „Lebengedenkbuch“ und einem, ihrem „Liebesroman“. 1963 stirbt sie in dem Haus in der Steiermark, dessen Restituierung sie erkämpfen konnte.

Der Sonnenaufgang. Bodenwieser-Ensemble.
Wien, um 1930.

Madame d’Ora, ihre Zeit, ihre Welt und ihr künstlerisches Genie, die Ästhetik, Eleganz und Menschlichkeit ihres fotografischen Werkes spiegelt dieses mit klugen Texten ergänzte opulente Bilderbuch ebenso wunderbar wider wie den Wandel des Frauenbildes in einem halben Jahrhundert. Von der schmuckbeladenen Aristokratin des Fin de Siècle zur Femme fatale der wilden 20er, vom Probierfräulein zum Mannequin bis hin zur verängstigten Flüchtlingsfrau mit ihrem Kind. Eine Zeitreise in Bildern und ein Rausch für die Augen, die bewundernd offen bleiben.

 

 


Monika Faber, Esther Ruelfs, Magdalena Vukovic (Hg.):
Machen Sie mich schön, Madame d’Ora.
Dora Kallmus. Fotografin in Wien und Paris 1907–1957.
Brandstätter Verlag, 356 S., ca. 250 Abb., € 50

Ausstellung:
MACHEN SIE MICH SCHÖN, MADAME D’ORA
Die Fotografin D’Ora, 1907–1957
Leopold Museum, 13. Juli bis 29. Oktober
leopoldmuseum.org

 

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