Mangelware Programmierer

Benjamin Ruschin hat mit seiner Firma WeAreDevelopers auf die dramatische Nachfrage nach Programmentwicklern reagiert. Es ist ein sehr spezieller, äußerst lukrativer Arbeitsmarkt.

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© Reinhard Engel

„Geld ist nicht das Thema Nummer eins. Dass sie gut verdienen, ist längst eine Selbstverständlichkeit.“ Benjamin Ruschin, einer der Gründer und Viertelgesellschafter der Jobvermittlungsplattform WeAreDevelopers, erzählt von einer Studie, die er über eine der momentan gefragtesten Berufsgruppen hat machen lassen, Programmentwickler. „Ihnen geht es vorrangig um Themen wie Work-Life-Balance oder den Sinn ihrer Arbeit.“
Das können sich die Frauen und Männer in dieser Branche auch leisten. Denn vor dem Hintergrund der umfassenden Digitalisierung suchen nicht mehr nur klassische IT-Unternehmen nach einschlägigen Fachleuten. Längst haben Industriefirmen, Handelsketten und Dienstleister aller Art erkannt, dass sie diese ebenso brauchen, um ihre Produkte und Angebote auf die Bildschirme der Kunden und User zu bringen. Es ist ein klassischer Verkäufermarkt geworden, Programmierer können sich aussuchen, für wen sie arbeiten wollen.
Dabei hat Ruschin in seiner Studie noch etwas anderes herausgefunden. Zwar sind nur wenige Prozent der Developer gleichzeitig aktiv auf Jobsuche. Darüber hinaus ansprechbar für etwas Neues zeigten sich aber weitere zwei Drittel. Das sollte eigentlich den Personalvermittlern eine Bonanza bescheren. „Viele sind aber von den Recruitern genervt“, erzählt er. „Sie werden fast täglich angesprochen, und sehr oft unqualifiziert, mit Angeboten, die mit ihren Interessen und Spezialitäten nichts oder wenig zu tun haben.“ Ähnlich schaue es in den großen Konzernen aus, die einen erheblichen Bedarf an IT-Profis aufweisen. „Der Personalvorstand in einer Bank oder in einem Industrieunternehmen muss sich um derart viele Bereiche kümmern, er kann gar nicht die besondere Sprache jeder einzelnen Abteilung sprechen.“

Benjamin Ruschin mit seiner Frau, der israelischen Sopranistin Hila Fahima. © Ouriel Morgensztern

WeAreDevelopers kann das, so Ruschin. Und der Erfolg spricht für das Konzept. Sein Unternehmen, gegründet 2015, zählt mittlerweile 58 Mitarbeiter in Wien, Berlin und Sarajevo (einer der Partner, der Techniker Sead Ahmetovic, stammt aus Bosnien). Und die Tendenz zeigt weiter nach oben in Richtung 100 Angestellte. Der nächste Entwicklerkongress in Berlin im Juni 2019 soll bereits zwischen 10.000 und 15.000 Besucher erreichen.
Das Geschäftsmodell sieht zwei Angebote vor: Developer stellen ihr persönliches Profil auf die Website des Unternehmens und werden auch verlässlich nur dann angesprochen, wenn sich jemand seriös genau für diese Spezialisierung interessiert. Unternehmen wiederum kaufen bezahlte Abos und werden dafür von WeAreDeverlopers mit Namen von Programmierern versorgt, die auf ihren jeweiligen Bedarf hin zugeschnitten sind. Der Datenstock umfasst mehr als 15.000 Entwickler aus ganz Europa. Unter den Firmenkunden finden sich mittlerweile bekannte Namen: BMW, Bosch, Google, IBM, Microsoft, Slack oder Volkswagen.
Begonnen hatte es freilich deutlich kleiner und bescheidener. Die erste Veranstaltung speziell für die Zielgruppe der Developer fand 2015 auf der Burg Perchtoldsdorf statt, mit zwei Handvoll Vortragender und 300 Teilnehmern. Doch die Resonanz war derart positiv, dass Ruschin und seine Partner die Organisation von Kongressen für dieses Segment als lukrativ erkannten und systematisch weiterbetrieben. Ein Jahr später waren es schon 600 Besucher auf einer WKO-Veranstaltung, ein großer Developerkongress im Frühjahr 2017 brachte in der Wiener Marx-Halle mehr als 4.000 Besucher und prominente Referenten aus dem Silicon Valley. Das war dann im Mai 2018 bei einer Konferenz mit 8.000 Teilnehmern im Austria Center etwa Apple-Mitgründer Steve Wozniak. Aber auch von Facebook, Google, Microsoft oder Palantir reisten Topleute nach Wien.
Das Interesse der Großen an derartigen Veranstaltungen lag zunächst einmal im Feld des Recruitings, der Personalsuche. Sie erkannten aber auch, dass man auf derart fokussierten Konferenzen eigene Programmiertools zielgenau verkaufen kann, ebenso Marketing für die jeweiligen Cloud-Dienste betreiben.

Vor dem Hintergrund der umfassenden Digitalisierung suchen nicht mehr nur klassische IT-Unternehmen nach Fachleuten. 

Vermittlungsplattform. Die Idee war bald aufgetaucht, die schnell wachsende Teilnehmerdatenbank nicht bloß für die jährlichen Kongresse zu nutzen, sondern daraus gleich eine spezialisierte dauerhafte Vermittlungsplattform zu bauen. Das ließ sich mit relativ wenig Beteiligungskapital von außen bewerkstelligen, Ruschin und seine Partner konnten – anders als zahlreiche andere Start-ups – damit auch ihre gemeinsame Mehrheit am Unternehmen behalten.
Ruschin, Jahrgang 1986, ist in München geboren. Seine Mutter stammt aus Wien, sein Vater kam als Sohn deutscher Emigranten in Chile zur Welt. Er studierte Betriebswirtschaft in England, zuerst in Leeds, dann in Coventry an der University of Warwick. Seine Masterarbeit befasste sich schon mit einer Schnittstelle zwischen Konzernmanagement und Offenheit für technologische Veränderungsprozesse. Darin beschrieb er detailliert, wie IBM ganz gezielt innerhalb der riesigen Organisation ein Umfeld für neue Ideen und neue Produkte schuf und damit für ein Weltunternehmen doch relativ flexibel und offen für Veränderung blieb. Bei einem anschließenden Praktikum in der Schweizer Großbank UBS ging es um ähnliche Themen, hier den Einsatz digitaler Technologien, speziell Virtual Reality, für Trainings und Schulungen auf mehreren Kontinenten.
2008 zog Ruschin nach Wien und begann in einem Internet-Start-up als Assistent der Geschäftsführung zu arbeiten. Die Firma Yasssu überlebte zwar nicht, aber er sammelte wertvolle Erfahrungen. Es folgten weitere Jobs im Bereich IT, Digitalmarketing und Werbung, schließlich der Entschluss, sich gemeinsam mit langjährigen Kollegen selbstständig zu machen. Seine Expertise gab er auch in einem Vortrag beim 110hub im Februar weiter, bei dem Young Jewish Professionals unter dem Titel Start-up Nation Meets Europe mit israelischen Firmen Kontakt aufnehmen konnten.
Privat ist Ruschin seit dem Vorjahr mit der israelischen Sopranistin Hila Fahima verheiratet.  Inzwischen erwarten sie ihr erstes Kind. Die beiden arbeiten auch geschäftlich zusammen. Um eine – teure und aufwändige – CD für Hila zu finanzieren, hat er begonnen, exklusive Privatkonzerte zu organisieren. Dorthin laden große Unternehmen – etwa die Erste Bank – wichtige Kunden ein. Dort kann er aber auch eigene Geschäftspartner empfangen und jenseits von Bits und Bytes näher kennen lernen.

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