Ahmad Mansour: „Erinnerungskultur, wie wir sie bisher betrieben haben, ist gescheitert“

Ahmad Mansour, israelisch-deutscher Psychologe und Autor, war am Freitag auf Einladung des ÖVP-Think Tanks Campus Tivoli, des ÖVP-Parlamentsklubs und des Wilfried Martens Centre for European Studies Keynote-Redner bei einer Veranstaltung zu „Gedenken. Erinnern. Vermitteln“ anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Jänner im Parlament. Er befasste sich dabei sehr pointiert mit dem Thema „Antisemitismus und Antizionismus nach dem 7. Oktober“.

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Ahmad Mansour ist dafür bekannt, nicht um den heißen Brei herumzureden. Und dieses klare Benennen, das fordert er auch von anderen – allen voran der Politik – ein. Er selbst sei arabischer Israeli palästinensischer Herkunft und daher mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt aufgewachsen und von ihm direkt betroffen. Sein Großvater, der 1948 auf arabischer Seite gegen Israel gekämpft habe, sei schließlich in einem jüdischen Krankenhaus, behandelt von einem jüdischen Arzt und neben einem Holocaust-Überlebenden gestorben. Damals habe er sich viele Fragen gestellt, so Mansour: „Wo geht die Reise für mich hin? Muss ich weiterhassen, muss ich unversöhnlich bleiben, muss ich glauben, dass dieses Land nur Platz für ein Volk hat?“ Er habe das alles für sich mit einem Nein beantwortet.

Das gilt aber eben für ihn – und für viele andere nicht, wie Mansour in der Folge ausführte: denn es werde nicht deshalb kein Frieden in den Nahen Osten zurückkehren, weil Israel eine rechte Regierung habe (die man durchaus kritisieren dürfe). Es werde keinen Frieden geben, weil auf der anderen Seite Menschen stünden, die die Vernichtung Israels wollten. „Ohne diese Klarheit werden wir diesen Nahostkrieg in Europa nicht verstehen.“

Stichwort Klarheit: Der Antisemitismus nach dem 7. Oktober sei nicht aus dem Nichts entstanden. Antisemitismus gebe es in Europa seit langem, einmal mehr erinnerte Mansour an die verschiedenen Facetten: den rechtsextremen Antisemitismus, jenen in der linken Szene und dem von Verschwörungstheoretikern, dem Antisemitismus in der muslimischen Szene und jenem, der im Mainstream der Gesellschaft vorhanden sei, manchmal subtil formuliert, manchmal aber auch „sehr klar“. Das reiche dann von (antisemitisch zu interpretierender) Israel-Kritik bis zur Verweigerung der Empathie für jüdische Menschen und jüdisches Leben in Israel und in Europa.

Jene, die vor dem 7. Oktober an Schulen unterwegs waren oder aber mit Menschen auf der Straße gesprochen hätten, sei schon lange klar gewesen, „dass wir ein großes Problem haben“. „Der 7. Oktober hat sichtbar gemacht, was wir als Gesellschaft verdrängen wollten: der Antisemitismus von links ist tiefgreifend.“ Seit mehr als zehn Jahren werde versucht, Kolonialismus mit Antisemitismus gleichzusetzen, „das ist ein Angriff auf die Erinnerungskultur, den wir zugelassen haben“. „Wenn Menschen in den postkolonialen Studien meinen, die Ursünde des Westens seit die Kolonialgeschichte und nicht der Holocaust, wenn Menschen an Gedenkorten Antisemitismus und Rassismus gleichsetzen, dann geht es ihnen nicht um eine neue Perspektive und nicht darum, unsere Gesellschaft zukunftstauglich zu machen, sondern es geht um einen Angriff auf Erinnerungskultur.“ Und wenn die Identitätspolitik von marginalisierten Gruppen spreche und auf der anderen Seite von alten, weißen Männern als Unterdrückern, dann werde in der Folge Palästinensern als marginalisierter Gruppe Sympathie entgegengebracht und Juden gleichzeitig „als Weiße abgetan“ und zu Unterdrückern erklärt.

Was man daher aus dem 7. Oktober lernen müsse: „Die Erinnerungskultur, wie wir sie bisher betrieben haben, ist gescheitert.“ Inwiefern? Man habe auf die toten Juden geschaut, aber nicht auf die lebenden. Eine neue Erinnerungskultur müsse einerseits die Singularität des Holocaust verteidigen. „Zur Erinnerungskultur gehören aber auch die Bilder aus Israel und die Art der Israelis mit dem Trauma umzugehen: Stark zu sein, sich zu verteidigen. Da muss sich Israel nicht rechtfertigen. Die Europäer müssen die historischen Konsequenzen aber verstehen.“

Deutliche Worte fand Mansour auch zum muslimischen Antisemitismus in Europa und besonders Deutschland. In Anspielung auf die frühere Kanzlerin Angela Merkel meinte er, „wir haben es nicht geschafft“. Man habe Menschen aufgenommen, die antisemitisch und mit einem Hass auf Israel sozialisiert worden seien, und habe nichts getan, um neue Perspektiven zu eröffnen. Es wäre nötig gewesen, zu sagen, willkommen in Europa, nun sei man aber auch Teil einer Wertegemeinschaft und dazu gehöre a, b und c zu akzeptieren. „Dazu gehört, dass Antisemitismus in diesem Land nichts zu suchen hat, auch kein Israel-bezogener Antisemitismus.“ Das gehöre auch klar gegenüber muslimischen Gemeinden kommuniziert: „Religionsfreiheit: ja. Aber dort, wo Religion benutzt wird, um Judenhass zu rechtfertigen, endet die Toleranz.“

Wodurch Antisemitismus aber auch eine neue Qualität bekommen habe, sei das Zusammenspiel von „Linksradikalen und Islamisten“. Sie hätten gemeinsam die Propagandamaschinerie in Bezug auf Israel in Gang gebracht. „Mein Appell: Kriege gewinnt man nicht mehr mit Kampfflugzeugen und Panzern.“ Heute tobe ein Krieg der Bilder, die emotionalisieren. Und der werde in Sozialen Medien geführt. Hier würden vor allem Jugendliche durch Desinformation, Schwarz-Weiß-Zeichnung und Propaganda überzeugt, der Wahrheit zu folgen, wenn sie sagen, Israel begehe einen Genozid oder habe kein Existenzrecht.

Wer die Demokratie schützen wolle, müsse daher verstehen, dass politische Bildung heute nicht mehr bedeuten könne, an Schulen mit Broschüren zu arbeiten. „Politische Bildung muss in sozialen Medien stattfinden.“ Und da geht es dann beispielsweise darum, zu erklären: der aktuelle Krieg sei nicht ausgebrochen, weil eine Regierung Lust auf Krieg hatte, sondern weil eine Terrororganisation entschieden habe, am 7. Oktober 2023 ein Pogrom an Juden durchzuführen. Und dass der Antisemitismus, der auf diesen Angriff folgte, eben auch etwas über den Zustand der Demokratie aussage. Der 7. Oktober habe daher gezeigt, dass Erinnerungskultur anders anzugehen sei – es gehe eben nicht nur um Erinnerung, sondern auch dafür zu sorgen, dass jüdisches Leben in Europa und anderswo sicher sei.

Dazu bräuchte es aber auch die nötigen Ressourcen. Menschen würden nicht als Antisemiten geboren und seien sie Antisemiten, müssten sie das nicht ihr ganzes Leben bleiben. Spezielle Schulungsprogramme könnten hier eine Änderung des Mindset erreichen. In Bezug auf das Thema Flucht und Migration bedeute das: man sollte so viele Menschen aufnehmen, wie man auch gut begleiten könne. „Darüber muss gesprochen werden.“


Gedenken. Vermitteln. Entgegentreten.
Holocaustgedenktag 2025
Campus Tivoli

 

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