„Max Reinhardt war ein Marketing-Genie“

Die Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, spricht über das bevorstehende Jubiläumsjahr 2020 und die Bedeutung jüdischer Künstler für die Stadt.

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Helga Rabl-Stadler. „Dieser Friedensauftrag ist in unseren schwierigen Zeiten aktueller denn je.“ © Reinhard Engel

Wina: Die Geburtsstunde der Salzburger Festspiele schlug mit der Aufführung des Jedermann am 22. August 1920 auf dem Domplatz. Was planen Sie zum 100. Geburtstag?
Helga Rabl-Stadler: Wir wollen dem Auftrag der Festspielgründer Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal gerecht werden. Oper und Theater, von beidem das Beste – die Qualität als Programm, lautete ihr Credo. Und Max Reinhardt war es, der 1917 aus Berlin an den Kaiser schrieb und ihm Festspiele in Salzburg als erstes Friedensprojekt ans Herz legte. Wie Eric Hobsbawm richtig schrieb: „Die Festspiele sind aus dem Todesröcheln der Donaumonarchie entstanden.“ Dieser Friedensauftrag ist in unseren schwierigen Zeiten aktueller denn je, er wird sich auch in unserem Festspielprogramm widerspiegeln.

In welcher Form wird des Gründers Max Reinhardt gedacht?
❙ Wir haben bereits 2018 mit dem geschichtlichen Rückblick auch in Form von Reinhardt-Symposien auf Schloss Leopoldskron begonnen. Hundert Jahre nachdem Reinhardt Leopoldskron gekauft hat, haben wir dieses Datum als Ausgangspunkt genommen, um seine eminente Rolle darzustellen. Heuer setzen wir das fort mit dem Fokus auf „Frauen rund um Max Reinhardt“, also Ehefrau Helene Thimig, seine Sekretärin Gusti Adler, eine Nichte des Begründers der österreichischen Sozialdemokratie Victor Adler, sowie die Schauspielerin Eleonora von Mendelssohn, das Subjekt der Eifersucht von Helene Thimig.
Wir wollen auch die Reinhardt-Forschung wieder anstoßen, denn diese ist meines Erachtens nach zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Reinhardts Prinzipien sind nach wie vor gültig: Er war der Erste, der die Rolle des Publikums für das Gelingen eines Abends besonders hervorstrich. Er wollte auch mit dem Jedermann die Mauer zwischen Publikum und Künstlern niederreißen: „Denn nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum müssen die Besten sein, wenn das vollkommene Wunder entstehen soll, dessen das Theater an glücklichen Abenden fähig ist.“

Wird es auch historische Bezüge zur NS-Zeit geben? Zur Vertreibung jüdischer Künstler aus der Stadt?
❙ Wer verfolgt hat, was ich bei den Festspielen über die Jahre gemacht habe, weiß, dass ich keine Scheu habe, auch die dunklen Kapitel aufzuschlagen. Die sieben Jahre Festspiele in der Nazizeit werden sowohl in unseren Publikationen wie auch in der Landesausstellung schonungslos dargestellt werden. Peter Ruzicka als Intendant und ich als Präsidentin haben zwischen 2002 und 2006 versucht, künstlerische Wiedergutmachung zu leisten an jenen Komponisten, die von den Nazis vertrieben und deren Werke geächtet wurden. Korngold, Zemlinsky, Schreker, Wellesz standen im Mittelpunkt dieser Festspieljahre. Markus Hinterhäuser wird auch 2020 die wichtige Rolle jüdischer Komponisten und Künstler im Programm deutlich machen, z. B. von Arnold Schönberg. Dieser beklagte in seinen Memoiren, wie er – lang bevor Hitler kam – vom Bürgermeister aus seinem Urlaubsort am Mattsee hinausgeworfen wurde. Diese beschämenden Ereignisse wie auch die Bücherverbrennung am Residenzplatz wollen wir im Jubiläumsjahr nicht totschweigen.

»Die sieben Jahre Festspiele in der Nazizeit werden sowohl in unseren Publikationen wie auch in der Landesausstellung schonungslos dargestellt werden.«
H. Rabl-Stadler

Reinhardt verschmerzte den brutalen Gestapo-Raub von Leopoldskron nicht. Er war im amerikanischen Exil voller Sorge um seine Familie während der NS-Zeit. Er verleugnete aber sein Judentum nie.
❙ Ja, das stimmt. Aber die großteils assimilierten jüdischen Künstler hatten keinen Kontakt zur lokalen Gemeinde, auch Stefan Zweig nicht. Es hieß, dass sich der Rabbiner sogar beschwert haben soll: „Die Juden gehen zur Vorstellung des Jedermann und nicht in die Synagoge.“
Etwas ist schon bemerkenswert: dass Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und andere jüdische Künstler gerade Salzburg für ihr Friedensprojekt gewählt haben, trotz des spürbaren Antisemitismus. Ich finde es beschämend, dass sich viele Bürger meiner Heimatstadt nicht bewusst waren, welche Chancen ihnen die von ihnen oft nur wegen ihrer Abstammung nicht geschätzten Künstler gaben.

Wollten die Salzburger überhaupt diese „jüdischen“ Festspiele anno 1920?
❙ Hungersnot in der Stadt. Die Salzburger wollten keine Festspiele. Sie hatten Angst, dass ihnen „die Fremden“ das wenige wegessen würden. Sie konnten nicht ahnen, dass uns sehr bald genau diese „Fremden“, also die Gäste, das Brot geben würden. Max Reinhardt war ein Marketing-Genie: Bei seinem ersten Aufruf für die Festspiele sagte er, dass es sich für die Stadt rechnen werde, weil die wohlhabendsten Menschen aus der Welt hierherkommen werden.

Sie begehen 2020 Ihr persönliches 26-Jahr-Jubiläum als Präsidentin der Salzburger Festspiele. Wagen Sie einen Rückblick: Was war Ihr schönstes und was Ihr schlimmstes Erlebnis?
❙ Das schönste war das Mozartjahr 2006, als Peter Ruzicka die Idee hatte, erstmals alle 22 Mozart­opern aufzuführen. Wir haben einen regelrechten Mozartrausch entfacht und uns als die Mozartstadt neu positioniert. Der Bau des Hauses für Mozart mit viel privatem Geld war auch so ein erfreuliches Ereignis. Die letzten Jahre der Intendanz Gérard Mortier von 1998 bis 2001 waren eher schwierig. Ich war ein großer Fan des Duos Mortier-Landesmann. Dass Mortier die Präsidentschaft abschaffen wollte, um Alleinherrscher zu werden, hat mich persönlich sehr getroffen.

Kommen die meisten Gäste immer noch aus Deutschland? Oder ist auch hier schon Asien im Vormarsch?
❙ Ich freue mich, dass ich dazu beitragen konnte, die Präsenz der Festspiele auf drei Kontinenten auszubauen. Diese Internationalisierung zeigt sich deutlich bei den Bestellungen, die kommen mittlerweile aus 80 Ländern, darunter 45 nichteuropäische. Der Großteil der Gäste kommt immer noch aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, wo die Festspielkultur auch eine wichtige Rolle spielt. Es ist einfacher, von München nach Salzburg zu reisen als von Shanghai. Von Shanghai aus erfüllt man sich einmal einen Lebens-traum – von München aus wird es zur Sucht. Daher sind wir glücklich über dieses, unser treues Publikum.
Und noch zu dem nicht zu entkräftigenden Vorurteil, die Festspiele hätten nur teure Karten. Mehr als die Hälfte der Karten kosten bis zu 105 €, aber natürlich sind diese immer als erstes weg. Dazu kommt noch die unsinnige Behauptung, reiches Publikum ist dummes Publikum. Davon lassen wir uns nicht irritieren. Intendant Markus Hinterhäuser fordert sein Publikum durch ein anspruchsvolles Programm, und trotzdem ist die Rechnung künstlerisch, ökonomisch und medial voll aufgegangen.

Werden die Salzburger Festspiele auch das 150-Jubiläum feiern können?
❙ Ich bin ganz optimistisch, obwohl ständig geunkt wird, dass Internet und Streaming dem Liveerlebnis den Garaus machen werden. So wie das Buch nicht aussterben wird, werden es die Festspiele auch nicht. Aber sie müssen mehr sein als eine Aneinanderreihung von ein paar Starevents. Werke, die die Menschen gerne hören und sehen, wie einen Don Giovanni und eine Aida, sind wichtig. Trotzdem halte ich es mit unserem Intendanten Markus Hinterhäuser, der sagt, das Publikum nicht zu fordern, heißt, es zu unterschätzen, und ist daher falsch. Frei nach dem Motto von Carl Amery: „Risiko ist die Bugwelle des Erfolgs.“ Denn Künstler sind zwar nicht bessere Politiker oder Menschen, aber sie können die richtigen Fragen stellen. In einer Zeit der vorschnellen Antworten sind die richtigen Fragen schon eine politische Tat.

Haben Sie schon Pläne für „danach“?
❙ Ich arbeite so viel, dass ich noch keine Zeit zum Überlegen habe. Es wird sicher schwer sein, ohne Festspiele zu leben, weil diese mein Leben waren, das gebe ich durchaus offen zu. Ein Anekdotenbuch schreibe ich sicher nicht, das bin ich nicht. Ich will auch nicht auf die andere Straßenseite gehen, weil ich meine Wahrheit über jemanden geschrieben habe. Ehrenjobs? Auch nicht meines. Meinem Vater, Gerd Bacher, hat man nach dem ORF den Aufsichtsratsposten von SAT 1 angeboten, da hat er gesagt: „Ich habe die größte Orgel des Landes bespielt, ich werde jetzt nicht Flötenspieler.“ Das gilt auch für mich.


Helga Rabl-Stadler, geboren 1948, schloss in ihrer Geburtsstadt Salzburg das Studium der Rechte sowie der Publizistik- und Politikwissenschaften ab. Sie übersiedelte nach Wien und arbeitete als Journalistin in den Ressorts Wirtschaft und Innenpolitik in den Zeitungen Die Presse und Wochenpresse. Bis 1978 schrieb sie als erste weibliche Journalistin innenpolitische Kolumnen im Kurier.
Von 1983 bis 2008 war sie Miteigentümerin des Modehauses Resmann in Salzburg. Als Nationalratsabgeordnete der ÖVP war Rabl-Stadler von 1983 bis 1990 tätig. Seit 1995 ist sie Präsidentin der Salzburger Festspiele.

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