„Meine Religion ist die Musik“

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In ihrer rumänischen Heimat galt die Pianistin Meira Farkas als Wunderkind, ihre Karriere brachte sie mit Größen wie Leonard Bernstein und Isaac Stern zusammen. Seit 1974 lebt sie in Wien.

Redaktion und Fotografie: Ronnie Niedermeyer

WINA: Diesen Herbst haben Sie ein Konzert in der berühmten Carnegie Hall in New York.

Meira Farkas: Ja, mit demselben Programm wie vor genau fünfzig Jahren! Damals, mit einundzwanzig, spielte ich dort anlässlich des 80. Geburtstages von Arthur Rubinstein. Seitdem ist viel passiert …

Wie haben Sie denn Ihre Liebe zum Klavier entdeckt?

❙ Meine Nachbarin hat mich im Klavierspielen unterrichtet, als ich fünf Jahre alt war. Sie war keine besonders begnadete Lehrerin, was ich aber damals nicht wusste. Erst, als sie mir einmal ein nichtkoscheres Huhn zubereitet hatte, warf mein Vater sie hinaus. Meine nächste Lehrerin hat mich in einer vollkommen anderen Technik unterrichtet, und erst dann wurde mir klar, was das Klavier überhaupt für Möglichkeiten bietet. Bis heute bin ich diesem nichtkoscheren Huhn dankbar, denn erst dadurch konnte ich richtige Fortschritte machen.

„Die Kunst verlangt den ganzen Menschen, aber Mutter sein bringt eine weitere Dimension hinein.“

Manche Eltern schicken ihre Kinder in den Musikunterricht, um sich selbst zu verwirklichen …

❙ In meinem Fall kam der Drang immer von mir. Schon meinem Vater war die Musik ein Lebenselixier. Obwohl er keine Noten lesen konnte, baute er sich mit zwölf Jahren selber eine Geige. Diese Obsession mit der Musik habe ich wohl von ihm geerbt.

Sie sind im kommunistischen Rumänien aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

❙ In der Schule war ich Klassensprecherin, aber zu Hause haben wir heimlich Voice of America gehört. Meine Eltern schärften mir ein, draußen ja nicht zu erzählen, was daheim besprochen wurde. Zum Glück gab es für Juden die Möglichkeit, Alija zu machen. Ich war knappe fünfzehn, als wir uns mit meiner schwerkranken und bereits pflegebedürftigten Mutter auf die Reise machten, da entfuhr es mir: Sobald ich in Israel ankomme, werde ich die Erde küssen. Das habe ich dann tatsächlich getan.

Schon mit dreizehn hatten Sie ein großes Konzert in Temeswar. Hatten Sie keine Sorge, Ihre junge Karriere würde mit dem Umzug nach Israel einen Knick erfahren?

❙ Schon damals wusste ich: Egal, wo ich auf der Welt lebe, mein Zuhause ist in der Musik. In der israelischen Szene wurde ich jedenfalls mit offenen Armen aufgenommen und unterstützt. Wir wohnten damals in Bnei Brak.

War Ihre Familie denn orthodox?

❙ Sehr sogar! Ich bin die Ur-ur-Urenkelin des Wunderrabbis Oppenheimer, auch der Bruder meiner Mutter war ein berühmter Rabbiner in Rumänien, zu dem die Leute sogar aus Amerika kamen.

Aber Klavierspielen ist doch etwas Weltliches. Wie ließ sich das mit dem Glauben Ihrer Eltern vereinbaren?

❙ In unserer Tradition gab es da keinen Widerspruch. Wir waren keine Fundamentalisten. Meine Eltern hatten auch kein Problem damit, dass ich weniger Mizwot einhalte als sie. Meine Religion war eben die Musik.

Sie haben letztendlich nur drei Jahre in Israel gelebt?

❙ Wir erfuhren von einem Mäzen namens Gorodetsky, der die Violinisten Perlman, Zukerman und Ashkenasi gefördert hatte. Mein Vater lud Gorodetsky zu einem Konzert ein, das ich mit achtzehn spielte. Dieser konnte zwar nicht kommen, bestellte mich aber zu sich und fragte, wie er mich unterstützen könne. Damals war ein großer Pädagoge auf Besuch in Jerusalem, Leonard Schuh, der noch unter Artur Schnabel studiert hatte. Ich wollte einfach nur die Möglichkeit, ihm vorzuspielen – und durfte letztendlich vier Jahre mit Schuh in New York studieren.

Wessen Porträt ist das auf dem Klavier?

❙ Das ist mein späterer Mentor, Wilhelm Kempff. Er gab mir den Ratschlag, nie zu heiraten. Das kränkte mich, denn er hatte sieben Kinder und zehn Enkelkinder, aber er war halt ein Mann und durfte das. Obwohl ich von der Musik besessen war, wollte ich unbedingt auch eine Familie gründen und ließ mich von seinem Rat nicht beirren. Die Kunst verlangt den ganzen Menschen, aber Mutter zu sein bringt eine weitere Dimension hinein.

Eines Ihrer letzten Konzerte in Wien fand zugunsten von ESRA statt …

❙ Ja, eine Benefizmatinée im MuTh. Mein Mann war von der Zeit des Nationalsozialismus schwer traumatisiert, und ich war für die Gelegenheit dankbar, Menschen mit ähnlichen Schicksalen zu helfen.

Kann Musik eine Art von Tikun Olam sein?

❙ Musik kann sensibilisieren und Gefühle wecken. Das macht es vielleicht einfacher, Empathie für seine Mitmenschen zu spüren und mehr für sie zu tun.

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