Messen, Heilen, Impfen

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Mehr als 200 israelische Unternehmen arbeiten an Themen, die unmittelbar mit Covid-19 zu tun haben. Das hat die Non-Profit-Plattform Startup Nation Central (SNC) ermittelt. Dabei konzentrieren sich diese Aktivitäten vor allem in den Bereichen Biotech/Pharmakologie sowie Software und künstliche Intelligenz (AI). Interessant ist dabei auch der Einsatz ursprünglich militärischer Technologien im Gesundheitswesen.
Der globale Wettlauf um einen Impfstoff – oder mehrere – ist längst intensiv im Gang. vfa, der Verband der forschenden Pharmaunternehmen in Deutschland, hat dazu einen aktuellen internationalen Überblick erstellt. Dieser listet auf Basis von WHO-Unterlagen 150 internationale Forschungsinstitute und Pharmakonzerne auf, die zumindest Teilerfolge vorweisen können oder bereits in ihren Studien relativ fortgeschritten sind. Es sind vor allem Wissenschaftler in Europa, den USA und China, die hier genannt werden, aber auch solche aus Israel.
Bei MigVax, einer Abteilung von Migal, The Galilee Research Institute, arbeitet man an einem oralen Impfstoff mit gentechnisch hergestellten Antigenen. Noch im Frühsommer 2020 soll mit Testreihen an Freiwilligen begonnen werden. Der Impfstoff basiert auf einer schon länger laufenden Forschung für eine Impfung gegen infektiöse Bronchitis bei Geflügel. Laut Jerusalem Post konnte das Unternehmen dafür im April von der Investitionsplattform MyCrowd eine Sonderfinanzierung von 12 Mio. Dollar erreichen.
Migal ist ein regionales interdisziplinäres Forschungsinstitut im Norden Israels. Es agiert im Rahmen des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie, gehört aber formell der Entwicklungsgesellschaft für Galiläa. 90 Doktoranden und 190 Wissenschaftler arbeiten in 44 Forschungsgruppen an unterschiedlichsten Themen. Im Juni gelang es MigVax, Eyal Desheh, den langjährigen Finanzvorstand des israelischen Pharmariesen Teva, als Chairman zu engagieren.

»In Israel lassen bereits 25 Prozent der Bewohner*innen mindestens einmal in der Woche ihre Symptome auf der Plattform auswerten.«
Kira Radinsky, Diagnostic Robotics

Bei der ebenfalls weltweiten Forschung für Medikamente gegen Covid-19 werden unterschiedlichste existierende Wirkstoffe gegen andere Krankheiten ausgetestet. Eines davon ist etwa Opanagib von RedHill Biopharma in Tel Aviv. Dabei handelt es sich um ein Krebsmedikament. Laut vfa hat es in vorklinischen Studien „eine entzündungshemmende, aber auch eine antivirale Wirkung gezeigt“. Das könnte für die Behandlung einer Covid-19-bedingten Lungenentzündung hilfreich sein. Das Medikament wurde bereits in Italien über ein Härtefallprogramm verfügbar gemacht und soll auf seine Eignung erprobt werden.
Andere Unternehmen und Forschungsgruppen in der Welt nutzen das Serum von Rekonvaleszenten als Basis, um aus den dort gewonnenen Antikörpern auf biotechnische Weise industriell ein Medikament herzustellen. In diesem Feld berichtete das Israel Institute for Biological Research (IIBR) im Mai von einem „entscheidenden Durchbruch“. Die Antikörperformel werde patentiert, so der Direktor des Instituts, man sei bereits auf der Suche nach einem internationalen Pharmakonzern als Produzent. Das staatliche Institut arbeitet sonst hauptsächlich an militärischen Themen.
Auch das Pharmaunternehmen Kamada, gegründet 1990 und ansässig im Weizmann Science Park in Rehovot, arbeitet an einer Antikörperbehandlung aus menschlichem Plasma geheilter Covid-19-Patienten. Das Immunglobulinprodukt wird auch als „passiver Impfstoff“ bezeichnet. Kamada nutzt die Plasmatechnologie schon seit Jahren für die Behandlung anderer Viruserkrankungen, etwa von Tollwut oder Zikafieber.
Israel zählt trotz einiger Probleme am Anfang und kleinerer Rückschläge im internationalen Vergleich zu den Ländern, die mit der Coronabedrohung am besten umgegangen sind. Dabei spielen die Bereiche Tests und Ansteckungsmonitoring eine große Rolle. Mobile Teststationen gingen durch die internationalen Medien, ebenfalls die politische Kontroverse über den Einsatz von Überwachungssoftware, die sonst dem Geheimdienst vorbehalten ist und strengen juristischen Grenzen unterliegt. So hat etwa Israels Höchstgericht im April den Einsatz von Überwachungstechnologie gegen die Ausbreitung des Coronavirus vorerst verboten. Diese könnte allerdings mit einem neuen Gesetz wieder eingeführt werden.
Zu den Anbietern schneller Tests gehört etwa BATM in HodHasharon nordöstlich von Tel Aviv. Das Unternehmen hat ein Testkit für Speichel entwickelt, das in 50 Minuten Ergebnisse bringt.
Diagnostics.ai arbeitet an der Automatisierung von Tests mit Hilfe von AI, Artificial Intelligence. Im Klinikalltag ausprobiert wird die Technologie bereits am King’s College Hospital der Nationalen Gesundheitsbehörde NHS in London.
Diagnostic Robotics nutzt ebenfalls AI-Technologie, hier aber nicht zur Testung, sondern zur breiten Risikoeinschätzung betreffend Covid-19-Erkrankungen und deren Verteilung. Auf einer digitalen Plattform tragen Einwohnerinnen und Einwohner von Ländern, die mit Diagnostic Robotic zusammenarbeiten, ihre Symptome ein und erhalten so eine Risikoeinschätzung bezüglich einer Covid-19-Erkrankung sowie Empfehlungen zur weiteren Vorgangsweise.
„In Israel lassen bereits 25 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner mindestens einmal in der Woche ihre Symptome auf der Plattform auswerten“, so Kira Radinsky, Vorsitzende und Chief of Technology bei Diagnostic Robotics zu Business Insider. Dabei können die Nutzerinnen und Nutzer selbst entscheiden, ob sie die App anonym verwenden wollen, oder ob ihre Ärzte und Behörden bei einem erkannten Infektionsrisiko automatisch kontaktiert werden – und dabei die persönlichen Daten weitergegeben werden dürfen. Das israelische Gesundheitsministerium nutzt diese Daten bereits als Prognosewerkzeug für zukünftige Ausbrüche.
Die Forschungsabteilung im Israelischen Verteidigungsministerium wiederum arbeitet am Einsatz von Spracherkennungssoftware mit Hilfe von AI, um einen einzigartigen sprachlichen „Fingerabdruck“ Infizierter auszumachen. Diese Technologie soll auch dabei helfen, den Heilungsfortschritt Infizierter aus der Entfernung einzuschätzen. Auch Cordio Medical und Vocalis Health entwickeln vergleichbare Technologien, diese werden etwa bereits am Rambam Health Care Campus in Haifa eingesetzt.
Ebenfalls aus dem Rüstungsbereich kommt eine andere Anwendung von AI, präsentiert vom Raketenhersteller Israel Aerospace Industries. Das Unternehmen gibt an, mit seiner Software, die sonst der Steuerung von Flugkörpern dient, den Verlauf bzw. die Verschlechterung der Krankheit bei Covid-19-Patienten im Spital mit 80-prozentiger Genauigkeit vorhersagen zu können. Einat Klein, Chief Innovation Officer von IAI, sagte dazu: „In unser Softwaremodell fließen zahlreiche Daten ein, von der Blutuntersuchung bis zum Herzrhythmus. Daraus errechnen wir Wahrscheinlichkeiten der Veränderung.“ Das ähnle durchaus der Vorhersage beim Start, ob ein Satellit „gesund“ sei, so Klein.
Ebenfalls der Vorhersage beginnender Verschlechterungen bei Krankheitsverläufen der Patienten dient die Technologie von EarlySense. Dabei handelt es sich um einen Sensor in der Größe eines DIN-A4-Blattes. Dieser liegt unter der Matratze des Spitalsbetts, zeichnet unter anderem die Mikrobewegungen des Patienten auf und warnt Ärzte und Schwestern vor bevorstehenden Problemen. Angewandt wird diese Technologie inzwischen an mehreren israelischen Spitälern, etwa dem Sheba Medical Center am Tel Hashomer Hospital in Ramat Gan.

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