Motoren, Öl und herzlicher Schmäh

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Rosina Kohn hat 36 Jahre lang eine kleine Autowerkstätte in Hernals geführt, jetzt geht sie in Pension. Hier gab es keine Standesunterschiede: Saniert wurden feine Bentleys ebenso wie brave Golfs für Fahrer mit Hut. Text und Fotos Reinhard Engel

„Nein, Wehmut habe ich keine.“ Rosi Kohn sperrt nach einem hektischen Arbeitstag ihr ebenerdiges, mit Fichtenholz getäfeltes Büro zu. Bald wird es für immer sein. Nach 36 Jahren wird sie diesen Sommer ihre kleine Autowerkstatt an ein junges Mechaniker-Paar übergeben. Dann wird sie doch noch beinahe pathetisch und bibelnah: „Es gibt eine Zeit für alles, fürs Anfangen, fürs Kinderkriegen und auch fürs Aufhören.“

Die Kundschaft von Rosi Kohn ist vielfältig

Die Nebengassen der Hernalser Hauptstraße im Wiener 17. Bezirk sind keine noble Gegend. Aber wer glaubt, dass in der freien Werkstätte „Werner Grögor GmbH.“ nur Rostschüsseln kurz vor ihrem Lebensende behandelt werden, der irrt. Die Kundschaft von Rosi Kohn ist vielfältig: Sie reicht von Handwerkern aus ganz Wien über die benachbarten Zuwanderer aus der Türkei und dem früheren Jugoslawien bis zu Universitätsprofessoren, Höchstrichtern und Wiener Spitzenpolitikern. Ihr Geschäftsmodell hört sich ganz logisch an: „Wir reparieren Autos, sobald die Garantie ausgelaufen ist und den Kunden die eleganten Markenwerkstätten zu teuer sind.“ Gewartet werden nicht nur Liefer- und Kleinwagen: Von VW, Audi, BMW und Mercedes geht es hinauf bis zum gelegentlichen Porsche, Bentley und zu älteren Spezialitäten, die Jaguar oder Triumph-Embleme auf den Motorhauben tragen. Auch die Besitzer betagter englischer Motorrad-Raritäten zählen hier immer wieder auf Hilfe. Da spielt eine Rolle, dass Herr Erich immerhin seit 36 Jahren hier arbeitet und dass er neben dem Diagnose-Computer auch noch auf seine feinen Ohren vertraut, was den sauberen, gleichmäßigen Lauf eines Motors angeht.

Rosi Kohn ist nicht mit Öldosen und Diagnosesteckern aufgewachsen

„Ich bin eine Schulabbrecherin“, sagt sie als kalkulierten Schocker, um gleich listig nachzusetzen, „wie Bill Gates“. Mit 17 bekam sie ihre Tochter und musste das Gymnasium vor der Matura beenden. Später holte sie einen Abschluss als Bürokauffrau nach und arbeitete in der Strickerei ihrer damaligen Schwiegereltern im Büro. Auch in ihrer Familie hatte es immer Unternehmen gegeben. Ihre Großeltern mütterlicherseits, mit dem legendären Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung, Friedrich Austerlitz, verwandt, führten als k. u. k. Hoflieferanten am Ring gegenüber der Universität einen Sanitärgroßhandel.

Ihre Eltern lernten einander nach einer Kriegsodyssee in England kennen. Dorthin war die Mutter 1938 vor den Nazis aus Wien geflüchtet. Der Vater, geborener Pariser, floh 1940 nach Spanien, schlug sich dann nach England durch und nahm in der Britischen Armee am Normandie-Feldzug teil. 1951 übersiedelten die beiden nach England und kehrten 1954 wieder nach Wien zurück. Hier betrieben sie in der Nähe von Schwechat eine kleine Fabrik zur Erzeugung von Plastikgeschirr. „Da habe ich meine ersten Kundenkontakte bekommen“, erinnert sich Rosi, „beim Ausliefern mit meiner Mutter“. Ihr Vater, Jacques Schwirtz, war übrigens Wiener Gründungsmitglied der Fußballsektion von Maccabi.

Die Werkstätte in einem ehemaligen Fuhrwerkerhaus erwarb dann die Familie Kohn vor 36 Jahren. „Ich bin aus dem Urlaub zurückgekommen und war vor vollendete Tatsachen gestellt“, erinnert sich Rosina. Die Strickerei ihrer Schwiegereltern hatte Probleme durch starke italienische Konkurrenz bekommen, die Familie entschloss sich, den Betrieb aufzugeben. Herr Kohn, von dem sie seit Langem geschieden ist, hatte damals zwar ein Faible für Autos, aber die Werkstätte war für seine Frau gedacht.

„Gefürchtet habe ich mich nicht, auch wenn ich gerade erst 25 war. Ich habe freilich keine Ahnung vom Geschäft gehabt und dann auch viel Lehrgeld bezahlt“, erzählt die Unternehmerin heute. „Am Anfang habe ich Autos hinaus gegeben und die Leute haben nicht bezahlt.“ Deshalb hängt auch an der Wand unübersehbar ein Schild: „Reparaturen nur gegen Barzahlung“, trotz der blauen Bankomat-Kasse am Schreibtisch. Rosi Kohn fasst ihr hart erworbenes Wissen mit einem Zwinkern so zusammen: „Ich vergebe keine Kredite, und die Bank repariert keine Autos.“

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Bis heute ist die Chefin selbst keine Auto-Närrin geworden

Sie fährt einen bescheidenen, aber stets blitzblank geputzten VW Polo, ihr langjähriger Lebenspartner, der Architekt Ivo Weinmann, gibt sich mit einem winzigen Fiat Cinquecento zufrieden. Auch wenn sie längst unzählige Stoßdämpfer- und Ansaugkrümmervarianten kennt, ihr dient die Arbeit am Auto nur als Vehikel zum Umgang mit Menschen.

„Es ist so ähnlich wie beim Friseur“, erklärt sie. „Da kommt eine Frau auch unzufrieden herein und geht selbstbewusst und fröhlich wieder hinaus.“ Das mit den Frauen kommt nicht von ungefähr: Rosi Kohn ist Mitglied bei der Arge Wirtschaftsfrauen; diese lassen auch bei ihr in Hernals reparieren. Aber nicht nur solvente bürgerliche Kundinnen interessieren sie, sondern auch andere Wienerinnen und Wiener, die auf die weniger gute Seite gefallen sind. Seit vielen Jahren arbeitet Rosi Kohn in der Sozialkommission der IKG, seit 1999 ist sie im Vorstand des jüdischen Wohlfahrtsvereins Ohel Rahel aktiv. „Das ist mir wirklich wichtig.“ Sie organisiert einerseits die jährlichen Spendenveranstaltungen eifrig mit, fordert aber auch im Freundeskreis immer wieder nachdrücklich dazu auf, dass der eine oder andere Jubilar bei seinem Geburtstag auf Geschenke zugunsten des Vereins verzichtet.

Jetzt will es die Rastlose angeblich etwas ruhiger angehen: „Turnen gehen, golfen oder einfach einmal im Kaffeehaus sitzen ohne schlechtes Gewissen.“  Sie hat ihre Werkstätte gar nicht anbieten müssen, der Käufer war von selbst zu ihr gekommen, im Weihnachtsurlaub in Vietnam hatte das Handy geklingelt. „Schauen Sie am 9. Jänner vorbei, da bin ich wieder in Wien. Um neun Uhr in der Früh war er in der Tür.“

Noch ist keine Zeit für Nachdenklichkeit

Und auch in den ersten Monaten will sie den neuen Besitzern zur Seite stehen, die Frau des Meisters im Büro einarbeiten. Aber dann, dann beginnt wirklich ein neuer Lebensabschnitt.


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