Musikindustrie – eine jüdische Erfindung

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Jukebox! Jewbox! Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack und Vinyl – die aktuelle Sonderausstellung im Jüdischen Museum München in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Hohenems. Eine musikalische Entdeckungsreise. Von Michal Typolt-Meczes   

Das hat er sich sicher nicht gedacht. Als der junge deutsche Emigrant Emil Berliner, der 1870 in die USA ausgewandert war und ebenda am 26. September 1887 sein Patent für einen scheibenförmigen Tonträger und ein entsprechendes Abspielgerät einreichte, war die Schallplatte geboren – und das Erleben der Menschen von Ton und Musik für alle Zeiten verändert.

Das Hören war bis dahin ein unwiederbringliches Erleben eines Momentes gewesen, und so mancher hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts daran gearbeitet, diese Töne aufzunehmen, um sie jederzeit wieder abhören zu können.

Neben den alten Abspielgeräten und der Geschichte der Schallplatte sind auch zahlreiche Platten jüdischer Musiker jeder Sparte zu entdecken.

Links: Kantor Yossele Rosenblatt, USA 1964;
Kantor Yossele Rosenblatt, USA 1964;

Allen voran Meistererfinder Thomas Edison, der mit der Verbesserung von Telefon und Telegrafen beschäftigt war und in diesem Zusammenhang – wie er selbst notiert – Folgendes entdeckt hat: „Habe gerade ein Experiment mit einer Membran gemacht, die eine herausstehende Stelle hat; hielt sie gegen ein Paraffinpapier, das sich schnell drehte. Die gesprochenen Schwingungen sind gut eingekerbt, und es besteht kein Zweifel daran, dass ich die menschliche Stimme speichern und jederzeit genau reproduzieren kann“ (Zitat Ausstellungskatalog). Edison hatte sich allerdings in zwei Punkten geirrt: Einerseits dachte er, ein Diktiergerät erfunden zu haben, und andererseits nahm er seine Töne auf unhandlichen Wachswalzen auf.

Da waren Berliners Platten, die zunächst aus Hartgummi und später aus einer Mischung aus Schieferpulver, Baumwolle, Ruß und Schellack (!) hergestellt wurden, wesentlich handlicher. Bereits 1889 wurden sie in großen Mengen industriell produziert.

20070511_PD2827Bald boomte die Plattenindustrie und Berliner gründete das erste bedeutende Label, die United States Gramophone Company, während sein in Deutschland verbliebener Bruder die bis heute maßgebende Deutsche Gramophon Gesellschaft ins Leben rief. Legendär ist von da an auch das originelle Logo: ein Hund, der vor einem Grammophon sitzt und der Stimme seines verstorbenen Herrchens lauscht. „His Master’s Voice“ hat Weltruhm erlangt.

Aus dieser ersten Labelgründung gehen zahlreiche weitere hervor, und aufgrund endloser Patentstreitigkeiten entstehen die Unternehmen sowie die Aufnahmestudios an den unterschiedlichsten Orten zwischen Kanada, Deutschland und Großbritannien. Aber immer sind diese Firmen in jüdischer Hand, und dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass sie keine Berührungsängste mit den neuen Aufsteigern der Populärmusik hatten: den schwarzen Jazzern. Gleichzeitig arbeitete man ständig an der Verbesserung der Technik sowie an der Steigerung der Qualität der Aufnahmen. Bald blieb es auch nicht bei der akustischen Unterhaltung, das Sehen kam dazu, und ab den frühen 30er-Jahren arbeitete man an der Entwicklung der ersten Fernsehkameras (EMI, Electrical and Musical Industries, London, Abbey Road Studios, Beatles).

Sophie Tucker: Life beginns at Forty ..., um 1947.
Sophie Tucker: Life beginns at Forty …, um 1947.

Für eine weitere Sensation und legendäre Neuerung sorgte das Label Columbia, das auf eine Gründung Edisons zurückgeht. 1940 erschien das erste grafisch gestaltete Cover, das heute einfach nicht mehr wegzudenken ist. Davor waren die Platten lediglich mit Firmenlogo und Musiktitel versehen.

1947 waren die Plattenverkäufe in den USA auf 400 Millionen gestiegen und an der Technik wurde weiterhin gefeilt, der ungarisch- jüdische Emigrant Peter Goldmark entwickelte die LP, eine Platte, die man mit 33,5 Umdrehungen abspielen konnte und das in High-Fidelity-Qualität. Nun konnte man ungestört längeren Stücken lauschen, das kam vor allem der Klassik zugute.

Musik für alle
Lieder aus Israel, Singkreis der städtischen Sing- und Musikschule München
Lieder aus Israel, Singkreis der städtischen Sing- und Musikschule München

Als 1948 die Single mit 45 Umdrehungen auf den Markt kam, gab es kein Halten mehr: Musik für jedermann zum kleinen Preis, die Schallplatte war zur Massenware geworden.

Darüber hinaus haben die großen Labels wahre Kulturarbeit geleistet. Die größtenteils aus Emigrantenfamilien stammenden Produzenten waren offen für Neues und keineswegs durch konservative Wertvorstellungen gebremst. So bleiben Namen wie Billie Holiday, Duke Ellington, Barbra Streisand und Bob Dylan immer mit Columbia verbunden, ab den späten 60er-Jahren auch Rocklegenden wie Janis Joplin, Patty Smith, Michael Jackson, Whitney Huston und viele mehr.

Ende der 70er-Jahre kommt es abermals zu einer technischen Revolution: Ein neuer Tonträger erblickt das Licht der Welt: die CD – Compact Disk, auch heute noch in jedem Haushalt vorhanden. Damit war die Ära der Schallplatte endgültig vorbei, hatte sie doch vorher schon einige Jahre harte Konkurrenz durch die MC – Music Cassette erhalten. Die neuen Tonträger, ebenso wie ihre Abspielgeräte, waren einfach kleiner und praktischer.

Streisand Superman, USA 1977.
Streisand Superman, USA 1977.

Mittlerweile haben wir allerdings schon einen weiteren Schritt getan, die MC ist längst durch digitale Geräte verdrängt worden, während CDs immer noch halbherzig in Gebrauch sind, allerdings halten Kenner – und ihre Zahl steigt ständig – nach wie vor an der geliebten Platte auf Vinyl fest, in der absoluten Überzeugung, dass die Tonqualität einer guten Platte durch nichts ersetzt werden kann.
Eine kleine, feine Ausstellung, begleitet von einem sehr bibliophilen Katalog, bietet nicht nur jenen einen tiefen Einblick in ein Stück Kulturgeschichte, die mit Platten aufgewachsen sind, sondern auch allen, die Platten nur mehr von den Großeltern kennen. Neben den alten Abspielgeräten und der Geschichte der Schallplatte sind auch zahlreiche Platten jüdischer Musiker jeder Sparte zu entdecken: vom Humoristen Mickey Katz über den singenden Rabbi Carlebach, Folksängerinnen wie Timna Brauer, Weltstars wie Georges Moustaki, Bob Dylan oder Barbra Streisand, von Sammy Davis Jr. bis Hermann Leopoldi – man kann sich alle anhören und so viele Stunden in dieser Ausstellung verbringen.

Mit dem Katalog kommt übrigens eine Schallplatte: Our Yiddishe Momme auf der einen Seite und Jewkbox! A musical journey auf der anderen. Leider konnte ich sie mir noch nicht anhören – ich muss erst sehen, wo ich einen Plattenspieler herbekomme. 
Ausstellung bis 22. November 2015

Bilder: © Franz Kimmel; Robert Fessler; Jüdisches Museum Hohenems; Jüdisches Museum München

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