Muslim Jewish Conference: „Miteinander, nicht übereinander reden“

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Jüdische und muslimische Studenten trafen einander zum einwöchigen Gedanken­austausch in Wien. Von EB. Bat Zwi 

Wer heuer in Mauthausen erlebt hat, wie hundert junge Menschen das jüdische Kaddisch-Gebet ebenso wie das muslimische Totengebet rezitiert haben, wird dieses gemeinsame Momentum nie mehr vergessen“, ist Ilja Sichrovsky überzeugt. Zum fünften Mal trafen sich auf seine Initiative und im Rahmen der von von ihm gegründeten Plattform Muslim Jewish Conference (MJC) jüdische und muslimische Studenten zum einwöchigen Gedankenaustausch. Diesmal fand es wieder in Wien statt, nach Kiew und Sarajevo. In der Ukraine hatte man gemeinsam die Holocaustgedenkstätte in Babi Yar besucht und 2013 in Bosnien-Herzegowina die Gedenkstätte in Srebrenica.

„Aber das Wichtigste ist, dass sie zuhören können.“ Ilja Sichrovsky, Initiator MJC

Doch wie gelingt ein Dialog zwischen Muslimen und Juden, wenn während des Treffens kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden? „Durch die Ereignisse in Israel und Gaza war nicht nur die Motivation, sondern auch das Bedürfnis nach konstruktiven Gesprächen noch viel stärker“, erzählt Sichrovsky, dem es gelungen ist, die Konferenz finanziell unabhängig zu organisieren sowie die ursprünglich bescheidene Diskussionsgruppe beachtlich auszubauen. Individuelle Großspender haben sich ebenso eingestellt wie Ex-US-Präsident Bill Clinton, Privatstiftungen oder das American Jewish Committee. „Um mehr Jugendliche einzuladen, die sich die Reise nicht leisten können, wäre es einfacher, sich irgendwo als Jugendgruppe integrieren zu lassen.“ Aber es ist wichtiger, frei zu sein, denn alle jüdischen und muslimischen Organisationen brächten immer eine Agenda mit, wenn es um den Nahostkonflikt gehe – und das sei mit den Grundsätzen der MJC nicht vereinbar.

Teilnehmer aus 38 Länder
© MJC / Daniel Shaked
In Mauthausen: jüdisches Kaddisch-Gebet und muslimisches Totengebet.

Der Themenbereich der Konferenz 2014 gibt darüber Auskunft: Es ging um Antisemitismus und Islamophobie in den Medien, Gender und Religion im Alltag sowie um weiterführende Projekte, die im Laufe des Jahres erarbeitet werden sollen, wie etwa eine Datenbank für jüdische und muslimische Familiengeschichten. Die Teilnehmer kamen diesmal aus 38 Ländern. „Man kann sich sechs Wochen lang online für die Konferenz anmelden, danach wählt eine Expertengruppe die Besten aus.“ Und wer sind in diesem Fall die Besten? „Wir wünschen uns natürlich Meinungsbildner und Multiplikatoren, die dann in ihren jeweiligen Heimatländern den positiven Spirit weitergeben können. Das können angehende Diplomaten genauso sein wie AktivistInnen bei NGOs. Aber das wichtigste Kriterium ist eigentlich, dass sie zuhören können, es geht nicht darum, überzeugen zu müssen.“

Beeindruckend ist jedenfalls die Länderliste der heurigen Konferenz: Dazu gehören nicht nur der Irak, der Iran, Ägypten und der Libanon, sondern auch Pakistan, Aserbaidschan, Tunesien, der Sudan, die Türkei und Saudi-Arabien. Das geografische Europa ist ebenso vertreten wie eine Reihe von südamerikanischen Staaten. 40 freiwillige Helfer aus aller Welt ermöglichen diese außergewöhnliche Initiative, die sich laut Sichrovsky „weigert, weiter mit dem Hass zu leben und die Umstände als gegeben und nicht veränderbar hinzunehmen.“ Nächstes Jahr soll das Gespräch in Berlin fortgesetzt werden. In Wien stand auch der gemeinsame Besuch einer Moschee auf dem Programm. Die Israelitische Kultusgemeinde, die anfangs der MJC etwas skeptisch gegenüberstand, lud diesmal die rund 100 Teilnehmer der interreligiösen Plattform in den Wiener Stadttempel ein. Die Botschaft der Konferenz ist angekommen: Man trifft sich auf Augenhöhe. ◗

© MJC / Daniel Shaked

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