
Vor Illusionen sind auch die klügsten Köpfe nicht gefeit. Fritz Haber, deutsch-jüdischer Chemiker, hatte Anfang 1933 noch die Vorstellung, er könne seine Forschungsarbeit nach den Jahreszeiten aufteilen: Im Sommer würde er im Labor in Deutschland sein, in der kalten Jahreszeit im warmen Palästina. Dort war sein englischer Fachkollege Chaim Weizmann gerade dabei, ein neues Institut aufzubauen, wofür er auch deutsche Wissenschaftler einlud, unter ihnen Haber.
Es sollte nicht mehr so weit kommen. Haber musste 1933 nach England emigrieren, und sein Gesundheitszustand wurde zunehmend schlechter. Vor seiner geplanten Reise nach Palästina, um sich dort ein eigenes Bild zu machen, wollte er sich im Schweizer Locarno erholen. Doch auf dem Weg dorthin verstarb er Ende Februar 1934 in Basel an einer Herzattacke. Einen Monat zuvor hatte er noch seine letzte Vorlesung in Cambridge gehalten. Weizmann und Haber hatten einander erst 1932 zum ersten Mal persönlich getroffen. Davor waren ihre Positionen, was den Zionismus betraf, diametral entgegen gesetzt gewesen.
Weizmann hatte schon 1917 an der Balfour-Deklaration mitgearbeitet, die die Grundlage eines eigenen jüdischen Staats bildete. Und er war lange Jahre Präsident der World Zionist Organization. Haber wiederum fühlte sich als deutscher Patriot und näherte sich dem Zionismus erst an, als die Nazis immer stärker wurden und ihre antijüdischen Aktionen eskalierten. Im Ersten Weltkrieg hatten übrigens beide für ihre jeweilige Regierung an der Entwicklung von Waffen gearbeitet. Weizmann forschte an Sprengmitteln, Haber gilt als entscheidender Mann für den Einsatz von Kampfgasen im Ersten Weltkrieg.
Haber fühlte sich als deutscher Patriot und näherte sich dem Zionismus erst an, als die antijüdischen Aktionen eskalierten..
Wer war Fritz Haber? Fritz Haber wurde 1868 in eine liberale jüdische Familie in Breslau (das heutige polnische Wrocław) hineingeboren. Sein Vater Siegfried war Geschäftsmann und verkaufte Lacke, Stoffe sowie Medikamente und importierte Farbstoffe wie Indigo. Seine Mutter Paula starb bald nach der Geburt, und Fritz wuchs bei seiner Schwiegermutter auf. Auf dem Gymnasium interessierte er sich vor allem für Literatur; Chemie wurde dort damals gar nicht unterrichtet. Nach der Matura begann er eine Handelslehre, wohl gedacht für den elterlichen Betrieb.
Ab 1886 studierte Haber gegen den Wunsch des Vaters Chemie, erst in Berlin, dann in Heidelberg. Doch schon zwei Jahre später unterbrach er, um als Einjährig-Freiwilliger bei der Artillerie seinen Militärdienst zu absolvieren. Danach kehrte er an die Universität in Berlin zurück und dissertierte in organischer Chemie. Nach Volontariaten in chemischen Fabriken folgte ein Weiterbildungssemester an der ETH Zürich, doch es gelang ihm nicht, eine Assistentenstelle zu bekommen.

Und auch die – eigentlich für einen Einjährig-Freiwilligen vorgesehene – Beförderung zum Leutnant sollte nicht klappen. Diese wurde Juden damals verweigert, doch Haber zögerte, sich taufen zu lassen. 1892 konvertierte er dann doch zum Protestantismus. Hatte er ursprünglich geschwankt, ob er das väterliche Geschäft übernehmen sollte, setzte er jetzt ganz auf eine akademische Karriere: Zunächst wurde er Assistent in Karlsruhe, und dort forschte er schon an der katalytischen Herstellung von Ammoniak, was später zur industriellen Produktion von Dünger bei BASF führen sollte.
Nach seiner Habilitation wechselte er als ordentlicher Professor für physikalische Chemie an die Universität Berlin. Er wurde Gründungsdirektor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie in BerlinDahlem und baute es zu einer international renommierten Forschungsstätte aus. „Dabei machte er den Schritt vom Wissenschaftler zum Wissenschaftsorganisator, wo er zunehmend an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, chemischer Großindustrie und dann auch dem politisch-militärischen Bereich an Einfluss gewann“, so Dieter Wöhrle und Wolfram Thiemann in einem Artikel in der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 meldete sich Haber freiwillig und arbeitete im Kriegsministerium an Kampfmitteln, erst Sprengstoffen, dann an – international eigentlich verbotenen – Giftgasen. Diese wurden ursprünglich aus Kartuschen auf den Gegner geblasen, erst später wurden dazu auch Granaten entwickelt. Haber selbst fuhr 1915 an die Front, um den Einsatz von Chlorgas nach dem so genannten „Haberschen Blasverfahren“ zu überwachen und zu optimieren. Die beabsichtigten Erfolge, nämlich die erstarrte Front aufzubrechen, stellten sich trotz hoher Zahlen Gefallener und Verletzter nicht ein.
Dennoch brachte ihm das den ersehnten militärischen Rang eines Hauptmanns. Haber argumentierte für seine Beteiligung an der Gasentwicklung, das sei „ganz und gar nicht grausamer als die fliegenden Eisenteile“. Der Chemiker Otto Hahn erinnert sich in seiner Autobiografie Mein Leben: „Auf meinen Einwand, dass diese Art der Kriegführung gegen die Haager Konvention verstoße, meinte er, die Franzosen hätten – wenn auch in unzureichender Form, nämlich mit gasgefüllter Gewehrmunition – den Anfang hierzu gemacht. Auch seien unzählige Menschenleben zu retten, wenn der Krieg auf diese Weise schneller beendet werden könne.“
Habers Ehefrau Clara Immerwahr, die er an der Uni kennengelernt hatte und die als erste Frau in Deutschland in Chemie promoviert hatte, sah das völlig anders. Sie nahm sich unmittelbar nach dem ersten großen Giftgaseinsatz das Leben, erschoss sich zuhause mit der Dienstwaffe ihres Mannes. Haber sollte zwei Jahre später noch einmal heiraten, Charlotte Nathan. Insgesamt hatte er aus den beiden Ehen drei Kinder, die ebenfalls akademische Karrieren machten.
Kriegsverbrecher. Und Nobelpreisträger. Unmittelbar nach dem Krieg wurde Haber als Kriegsverbrecher gesucht und floh in die Schweiz. Doch schon ein Jahr später bekam er den Nobelpreis für Chemie für seine Düngemittelforschung, das so genannte Haber-Bosch-Verfahren. Dagegen gab es auch Proteste, vor allem von Seiten der früheren Kriegsgegner Deutschlands.
Haber wurde dennoch in Deutschland zum angesehenen Forscher, an seinem Institut in Berlin-Dahlem stellten sich internationale Wissenschaftler an, um mitzuarbeiten. Dabei hatte Haber auch seltsame Ausreißer: So forschte er etwa eine Zeit lang an der Gewinnung von Gold aus Meerwasser, nicht zuletzt, um damit die deutschen Reparationszahlungen für den Krieg zu unterstützen. Daraus wurde freilich nichts.
Aber Haber blieb auch nicht hinter den Universitätsmauern verborgen. Er war durchaus für die praktischen und kommerziellen Umsetzungen von Forschung aufgeschlossen. Er hatte sein Düngemittel-Patent an BASF vergeben, und er saß seit der Gründung des deutschen Chemiekonzerns IG Farben 1925 in dessen Aufsichtsrat. Bis 1932.
Ab Jänner 1933, mit der Machtergreifung der Nazis, wurde sofort der „Arierparagraph“ an deutschen Universitäten durchgesetzt. Es betraf Haber selbst noch nicht gleich, er war als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs einstweilen geschützt. Allerdings musste er sehr schnell sämtliche jüdischen Assistenten und Mitarbeiterinnen entlassen, im April schrieb er dann sein eigenes Kündigungsschreiben und bat um Versetzung in den Ruhestand. Von einer Kongressreise nach Frankreich und Spanien kam er nicht mehr nach Deutschland zurück, sondern emigrierte nach England und begann in Cambridge zu lehren.
Am Aufbau von Chaim Weizmanns Institut in Rehovot konnte Haber nicht mehr Teil haben. Weizmann gründete es im April 1934, bei der Einweihung wurde an Haber erinnert. Habers private Bibliothek sollte den Grundstock der Bibliothek des Weizmann-Instituts bilden; seine ehemalige Sekretärin Rita Crakauer war von 1935 bis 1948 zudem Weizmanns Sekretärin und „die Seele“ des Instituts.
Von Chaim Weizmann wird berichtet, dass er ein Foto von Fritz Haber auf seinem Schreibtisch stehen hatte.