„Nicht über, sondern miteinander reden und handeln“

Das Projekt MuslimInnen gegen Antisemitismus bringt Annäherung und Hoffnung in die Beziehungen zwischen Juden und Muslimen.

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Canan Yasar. „Wir haben die angestoßene Debatte rund um den so genannten‚ islamischen Antisemitismus‘ verfolgt.“ ©Marta Halpert

Eine positive Grundstimmung erfüllte das Haus der Europäischen Union in der Wiener Wipplingerstraße an diesem Nachmittag. Zahlreiche festlich gekleidete junge Menschen begrüßten bereits im Vorraum die große Schar an Gästen aus Politik, Wissenschaft, Religionsgemeinschaften und diplomatischen Vertretern. Es ging um ein sehr ernstes Thema, und trotzdem lag etwas Fröhliches und Erwartungsvolles in der Luft. Professionell und selbstbewusst zelebrierte die Muslimische Jugend Österreichs (MJÖ) die Abschlussveranstaltung zu ihrem Jahresschwerpunkt MuslimInnen gegen Antisemitismus.
Laut Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission, hat die MJÖ mit diesem Projekt einen hohen Standard in der Antisemitismusprävention und der Bekämpfung von Judenhass gesetzt. „Man muss Antisemitismus entgegentreten, wo immer er sein hässliches Gesicht zeigt. Dabei mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist jedoch leicht. Viel schwieriger ist es, Antisemitismus in den eigenen Reihen zu entlarven, im Sportverein, im Schulhof, am Arbeitsplatz“, erklärt Schnurbein. Genau das habe die MJÖ mit ihrem Projekt beispielhaft gemacht, indem sie jungen Mitgliedern ihrer Community die jüdische Kultur, Geschichte und den jüdischen Glauben nähergebracht habe. Damit seien Brücken geschlagen worden, die für eine gesunde Gesellschaft in Europa unabdingbar seien.
Wie es zu diesem Projekt kam, weiß Canan Yasar, Lehrerin und Initiatorin, die seit 2015 eine der Bundesvorsitzenden der Muslimischen Jugend Österreichs ist. „Wir haben die seit 2017 angestoßene Debatte rund um den so genannten ‚islamischen Antisemitismus‘ verfolgt und immer wieder unter uns darüber diskutiert. Vor allem der von geflüchteten Menschen ‚importierte Antisemitismus‘ wurde da stark thematisiert. Es ist ja nicht so, dass es unter MuslimInnen keine judenfeindliche Positionen gäbe“, bekennt Yasar. „Aber gerade in Österreich tun sich die Menschen noch immer mit der Aufarbeitung dieser dunklen Kapitel schwer. Und jetzt sollen auf einmal nur die MuslimInnen für den Antisemitismus verantwortlich sein?“ Eine nüchterne Betrachtung wäre notwendig, befand die Freundesgruppe um Yasar, denn die Darstellung von Seiten der Politik und Medien war oft verzerrt und einseitig. „Wir haben beschlossen, etwas zu unternehmen, uns einerseits zu Wort zu melden, aber eben auch eine Auseinandersetzung in den eigenen Reihen zu ermöglichen.“
Die Schwerpunkte des Projektes, das in einem Jahr über eintausend muslimische Jugendliche erreichte, waren Gedenken, Bildung und Begegnung.
Die MJÖ nimmt als Verein seit zehn Jahren an den Befreiungsfeiern im KZ Mauthausen teil, dennoch wurde jetzt die Gedenkarbeit fokussiert und erweitert: Vorträge zum historischen Antisemitismus gehörten genau so dazu wie eine Studienfahrt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Um die TeilnehmerInnen mit den schlimmen Eindrücken nicht alleine zu lassen und Handlungsoptionen für die Gegenwart aufzuzeigen, wurde anschließend in Reflexionsrunden gearbeitet. Für den Bereich Bildung konnte der Antisemitismus- und Rechtsextremismusforscher Andreas Peham vom Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstandes (DÖW) gewonnen werden, der sowohl konzeptionell am Projekt beteiligt war wie auch mit seinen Fachvorträgen und Workshops einen wichtigen Beitrag leistete.
„Um nachhaltig wirken zu können, haben wir ein Praxishandbuch herausgebracht, um damit unsere Erkenntnisse und unseren Lernprozess einem größeren Publikum zugänglich zu machen“, erklärt Canan Yasar. In dieser Broschüre findet sich u. a. eine übersichtliche Dokumentation der Aktivitäten und Begegnungen im Verlauf des Projektes: Besuche von Synagogen und jüdischen Museen, beeindruckende Begegnungen mit Zeitzeugen sowie ein Vortrag der WINA-Autorin Alexia Weiss zum Thema „Jüdisches Leben in Wien“. Zwei Wissenschaftler beleuchten konkrete Aspekte: der muslimische Theologe Wolfgang Bauer hinterfragt, ob es ein theologisches Fundament für Antisemitismus im Islam gebe, während der Salzburger Politikwissenschaftler Farid Hafez die Unterschiede und Parallelen zwischen Judenhass und Islamophobie aufzeigt.

»Muslime und Juden müssen solidarisch sein,
nicht zuletzt auch wegen der Anfeindungen
gegen beide Gruppen.«
Ümit Vural

Hass ist erbarmungslos. Volle Unterstützung für dieses Projekt erhielt die Muslimische Jugend Österreichs von Ümit Vural, dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreichs (IGGÖ), der bei der Feier im Haus der EU sehr klare Worte fand: „Antisemitismus ist ein Geschwür. Wenn dieses wächst, kann es am Ende den ganzen Organismus töten. Denn Hass tötet, Hass ist erbarmungslos“, so Vural. Und ja, er wisse, dass auch Muslime diesem Hass verfallen können. Dagegen trete die Islamische Glaubensgemeinschaft jedoch auf. „Muslime und Juden müssen solidarisch sein, nicht zuletzt auch wegen der Anfeindungen gegen beide Gruppen.“
Für die Sensation sorgte Vural, als er vor dem Plenum ankündigte, dass die IGGÖ die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) annehmen werde, die bisher von zahlreichen europäischen Staaten akzeptiert wurde. Das Besondere an dieser Definition ist, dass sie auch den Antizionismus einschließt. Da heißt es wörtlich: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
IKG-Präsident Oskar Deutsch reagierte sehr erfreut und meinte, die österreichischen Musliminnen und Muslime setzten damit einen Meilenstein, denn „in dieser Definition wird klargestellt, dass Kritik an der israelischen Politik selbstverständlich möglich ist – zugleich aber auch definiert, wo die rote Linie zum Antisemitismus verläuft.“ Auch die EU-Beauftragte Katharina von Schnurbein zeigte sich überrascht: „Ich glaube, Sie sind die erste muslimische Organisation, die diese Definition annimmt.“
Trotz des Lobes für die Initiative der MJÖ verwies Präsident Deutsch auf den weiterhin bestehenden Antisemitismus auf muslimischer Seite und brachte einige Beispiele für judenfeindliche Stellen im Koran. „Leider verbreiten einflussreiche Organisationen und sogar ganze Staaten das, was zu Hass führt: antisemitische Verschwörungstheorien und Stereotype. Hier geht es nicht nur um die Auseinandersetzung mit Israel, sondern auch um religiös begründete Feindseligkeit gegenüber Juden und Judentum.“ Das Projekt der muslimischen Jugend sei „der richtige Weg, denn nur wenn der Antisemitismus in den eigenen Reihen bekämpft wird, kommen wir weiter“. Deutsch berichtete auch, dass die bisherigen Gespräche mit Präsident Vural von Respekt und Offenheit geprägt gewesen seien, und er dankte ihm dafür, dass „unsere Sorgen bezüglich der Aktivitäten der Muslimbruderschaft und Akteure des politischen Islam ernst genommen werden.“
Doch gab es nicht auch kritische Stimmen innerhalb der muslimischen Community gegen das Projekt MuslimInnen gegen Antisemitismus? „Ich muss zugeben, wir hatten im Vorfeld schon ein wenig Sorge, ob man unsere Anliegen verstehen und gutheißen würde“, räumt Canan Yasar ein. „Natürlich gibt es die berechtigte Frage, warum wir uns mit Antisemitismus beschäftigen, während doch der antimuslimische Rassismus aktuell immer salonfähiger wird und es täglich zu Vorfällen kommt. Für mich ist aber klar, dass wir uns als MuslimInnen als marginalisierte Gruppe gegen jede Art von Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit einsetzen müssen. Und was die Jugend betrifft: Das Thema Antisemitismus braucht mehr als zwei Doppelstunden im Unterricht“, so die Lehrerin.
Nermina Mumic, ihre Kollegin im Vorstand der MJÖ, die berichtete, dass das österreichische Projekt für den diesjährigen Jugendkarlspreis der EU nominiert ist, sekundierte Canan Yasar: „Wir können nicht leugnen, dass es auch unter MuslimInnen Antisemitismus gibt. Aber Antisemitismus nur als importiertes Problem darzustellen, ist zu einfach.“ Eines der erfreulichen Ergebnisse des Projektes sei auch eine Solidarisierung zwischen Juden und Muslimen gewesen. „Die Hand, die wir ausgestreckt haben, wurde wärmstens angenommen, und dafür sind wir dankbar.“


© Schlomo Hofmeister

Lichter in der Dunkelheit

Die Installation des Fotografen Luigi Toscano Gegen das Vergessen, die im Mai von ESRA nach Wien geholt und entlang des Rings mit 80 großformatigen Fotos an NS-Opfer erinnerte, wurde Ende Mai von Unbekannten beschädigt und teilweise zerstört. „Ich weiß, dass der allergrößte Teil der österreichischen Gesellschaft einen klaren, ablehnenden Standpunkt zu den NS-Gräueltaten hat. Dass es welche gibt, die mit der Wahrheit und dem Mahnen, das diese Fotos ausdrücken, nicht umgehen können, ist erschütternd“, erklärte Bundespräsident Alexander van der Bellen, der später selbst, wie auch zahlreiche andere Politiker und Künstler, vor Ort war.
Als spontane Reaktion auf die Zerstörung hat – neben YoungCaritas, dem Künstlerkollektiv Nesterval und der Jüdischen Hochschülerschaft – auch die Muslimische Jugend Österreichs Mahnwachen eingerichtet, damit die Vandalenakte nicht mehr wiederholt werden konnten.
Die Jugendlichen verbrachten ihre Nächte trotz Ramadan vor den Bildern und wurden von Freiwilligen am Abend beim Fastenbrechen mit Essen und Tee versorgt.
„Es ist eine Selbstverständlichkeit, was wir hier tun“, sagte die Bundesvorsitzende der MJÖ, Nermina Mumic.

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