Nichts für Leute mit schwachem Blutdruck

Aufregende Zeiten prägen in Israel den Alltag, manchmal mehr und manchmal weniger. Gerade war es das Erstere.

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Naftali Bennett. Der israelische Premierminister bei einer Zeremonie zum Holocaust-Gedenktag in der Knesset, dem israelischen Parlament in Jerusalem, am 28. April 2022. © Flash 90/Yonatan Sindel

Kürzlich hat jemand in Europa den Satz gepostet, er müsse nach den Abendnachrichten zur Beruhigung erst einmal einen Thriller schauen. Das war natürlich auf die Ukraine gemünzt. Ein bisschen so geht es einem gerade in Israel. Dabei ist man ja durchaus an so einiges gewöhnt. Hier deshalb ein kurzes Aperçu der jüngsten Geschehen, wenn auch nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge und ohne jeden Vollständigkeitsanspruch.

Und damit der Blutdruck nicht sofort nach oben schießt, zunächst einige der guten Nachrichten. Corona ist passé. Zumindest aus Sicht der Experten, die für die Aufhebung des obligatorischen Tests bei der Einreise am Flughafen plädiert haben. Die zuständige Abteilung ist aufgelöst worden. Das bringt wieder mehr Touristen ins Land, die jetzt keine Angst mehr haben müssen, bei einem positiven Ergebnis ihren Urlaub in Quarantäne verbringen zu müssen. Offenbar lassen sie sich auch weniger als früher von einer Terrorwelle abschrecken, vielleicht aber dominiert ja der Ukraine-Krieg die ausländischen Medien so sehr, dass der Nahe Osten in den Hintergrund gerückt ist. Jedenfalls stellt sich der Flughafen Ben Gurion auf 4,3 Millionen Reisende für Juli und August ein. Weil aber alle Fluggesellschaften an Personal sparen, sind die Warteschlangen unendlich lang geworden. Manche kommen deshalb mittlerweile schon fünf bis sechs Stunden vor Abflug zum Check-in.

Der Unabhängigkeitstag wurde erstmals nicht mehr überall
mit knallenden Feuerwerken gefeiert.
Das geschah aus Rücksicht
gegenüber Leidenden an posttraumatischen Belastungsstörungen.

Bis zum Sommer sollen in den Regalen der Supermarktkette Yeinot Bitan bereits die ersten Produkte von Carrefour liegen. Nach einem Abkommen mit dem französischen Riesen werden deren 150 Filialen dann allmählich in Carrefour-Märkte umgewandelt. Patrick Lasfargues, Präsident der internationalen Abteilung des Großhändlers, gibt sich optimistisch, dass dies „die lokale Kauferfahrung“ verbessern und die „Kaufkraft der Konsumenten“ stärken werde, die bessere Produkte zu erschwinglicheren Preisen bekämen. Das könnte die Konkurrenz dann ja vielleicht auch beeinflussen.

Auf den Lehrplänen steht ab Herbst das Thema Klimakrise. Vielleicht dämmt das dann ja die zum Teil immer noch ungebrochene Plastikflut im Land. Der Unabhängigkeitstag wurde erstmals nicht mehr überall mit knallenden Feuerwerken gefeiert. Das geschah aus Rücksicht gegenüber Leidenden an posttraumatischen Belastungsstörungen, darunter vor allem ehemalige Soldaten, für die der Lärm schlimme Erinnerungen zurückbringt. Geblieben sind natürlich die Alarmsirenen. Um zu überprüfen, ob sie intakt sind, müssen regelmäßig Tests gemacht werden. Mitte Mai gab es an einem Tag vier. Kurz danach fand dann noch eine außergewöhnliche Militärübung statt, bei der ein Angriff auf den Iran simuliert wurde. Das war eindeutig nichts für Herzschwache. Eingeordnet wurde dies dann aber schnell als Botschaft an die amerikanischen Verhandlungsführer mit Teheran, nicht als Zeichen einer höheren Alarmstufe. Inzwischen soll man aber von Reisen in die Türkei absehen, aus Sorge vor einer iranischen „Antwort“ auf die Ermordung eines hochrangigen Offiziers der Islamischen Revolutionären Garden.

Bis zur Niederschrift dieser Kolumne waren bei der jüngsten Terrorwelle insgesamt neunzehn Menschen ums Leben gekommen. Viele der palästinensischen Attentäter kamen aus Jenin. Bei einer militärischen Inkursion kam die Al Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh durch einen Schuss ums Leben. Unklar blieb, ob die Kugel aus einem israelischen oder palästinensischen Gewehrlauf gekommen war. Bei der Schuldzuweisung spielte das aber schon bald keine Rolle mehr. Drei Tage lange fuhr der Sarg durch palästinensische Dörfer und Städte, und die prominente 51-jährige Korrespondentin wurde als Märtyrerin gefeiert, gefallen im Kampf gegen die Besatzung. Die Bilder ihrer Beerdigung in Jerusalem gingen dann aber aus einem anderen Grund um die Welt: Israelische Polizisten attackierten die Träger des Sargs, weil der mit einer palästinensischen Flagge drapiert war. Der zuständige Einsatzleiter befand sich zu dieser Zeit auf einer Dienstreise im Ausland.

Bis zur Niederschrift dieser Kolumne sind bei der jüngsten Terrorwelle insgesamt neunzehn Menschen ums Leben gekommen.
Zunehmend populär als Tatwaffe ist dabei die Axt.

Es waren aber noch zwei weitere Kugeln, die Schlagzeilen machten. Sie steckten in handschriftlich adressierten Briefumschlägen, die deren Empfänger – und nicht nur sie – in Schockstarre versetzten: die Ehefrau und den 15-jährigen Sohn von Regierungschef Naftali Bennett. Bei der mutmaßlichen Täterin handelt es sich um eine 65-jährige Frau aus Aschkelon. Sie hatte sich auf Facebook als rechte politische Aktivistin und glühende Netanjahu-Anhängerin bereits einen Namen gemacht.

Naftali Bennett aber hat gerade noch andere Sorgen. Seine Acht-Parteien-Koalition wackelt und bröckelt weiter. Hatte Anfang April zunächst Idit Silman von Bennetts Yamina-Partei das Handtuch geworfen, so war es dann kurzzeitig die arabische Meretz-Abgeordnete Rinawie Zoabie, die nicht mehr wollte. Erstere beklagte sich über eine zu linke Regierung, für die Letztere ist sie zu rechts. Am Ende ließ sich Zoabie aber doch wieder beruhigen. Jetzt hangelt sich die Regierung erst einmal weiter durch.

Um seine rechte Front zu beruhigen, fand die traditionelle Flaggenparade am Jerusalem-Tag wie geplant statt. Bis zum Schluss war das alles andere als klar. Denn beim letzten Mal hatte die Hamas genau da ihre erste Rakete in Richtung Hauptstadt abgefeuert und den Startschuss zum jüngsten Gazakrieg gegeben. Diesmal machten sich jüdische Fanatiker einen Namen. Als die Teilnehmer durch das muslimische Viertel der Altstadt kamen, konnten es sich einige nicht nehmen lassen, Anwohner zu attackieren.

Wenige Tage später ging dann der Jerusalem March for Pride and Tolerance über die Bühne. An der Spitze mitgegangen war der Knesset-Sprecher Micky Levy. In seiner damaligen Funktion als Polizeichef hatte er einen solchen Umzug erstmals vor zwanzig Jahren in der Hauptstadt zugelassen. Die Stimmung im Vorfeld war aufgeheizt, denn was in Tel Aviv dazugehört, ist in Jerusalem auch nach so langer Zeit immer noch nicht etabliert. Am Ende nahmen Tausende am Umzug teil, nur ein kleines Grüppchen demonstrierte dagegen. Auch in Netivot hätte gerade eine solche LGBTQ+ Veranstaltung zum ersten Mal stattfinden sollen, sie wurde jedoch nach Todesdrohungen abgesagt.

Wer sich also nach den Nachrichten am Abend zur Beruhigung einen Thriller anschauen möchte, der kann dabei auch auf neue heimische Fernsehserien zurückgreifen. Da ist die zweite und diesmal wirklich exzellente Staffel von Teheran, die gerade angelaufen ist. Weltstar Glenn Close gehört mit zum Cast, sie spielt eine britische Psychologin im Iran, die gemeinsam mit Agenten des israelischen Geheimdiensts das dortige Regime sabotiert. Alternativ gibt es auch die neue Serie Jerusalem, die in der Altstadt spielt, wo sich die drei großen Weltreligionen und deren Feiertage ballen und israelische Polizisten versuchen, Unruhen am Tempelberg unter Kontrolle zu bringen. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig.

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