Nichts Neues im Nahen Osten. Oder doch?

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In Jerusalem brodelt es seit Juni. Die Stadt ist seither nicht mehr zur Ruhe gekommen. Inzwischen gab es auch noch einen Krieg. In Israel streitet man über neue Wege aus altbekannter Gewalt. Von Gisela Dachs

Wäre es nicht die Wirklichkeit, könnte es ein schlechter Film sein. Das Blutbad in der Jerusalemer Synagoge in Har Nof, angerichtet mit Äxten, Messern und einer Pistole. Die Schweigerminute im jordanischen Parlament, im Gedenken an die toten Attentäter. Im Internet die „Strassenschilder“, die ein Fahrzeug in Form einer Waffe zeigen – als Aufruf an Palästinenser, mit dem Auto eine (jüdische) Menschenmenge zu rammen. Einige haben es bereits erfolgreich probiert.

Wer da aus der Ferne schon gar nicht mehr hinschauen will, dem mag man das nicht verdenken.

Nichts Neues im Nahen Osten. Es ist alles nur viel vernetzter.  Wer will, kann sich auch von den Methoden der IS-Kämpfer inspirieren lassen. Facebook hat heute jeder. Ein Bild zeigt einen Juden vor dem Tempelberg, dem gerade der Kopf abgeschlagen wird. So etwas lässt sich doch gut herumschicken.

Wer da aus der Ferne schon gar nicht mehr hinschauen will, dem mag man das nicht verdenken. Wenn Kommentatoren allerdings die jüngste Terrorwelle in Jerusalem als Folge der Besatzungspolitik abtun, machen sie es sich zu einfach. Extremistische Attentate gibt es, solange sich die Israelis erinnern können. Sie haben die gesamte Geschichte des Staates geprägt. Auch schon vor 1967. Das ist ein solides Argument der Rechten, die – aus welchen Gründen auch immer – von Kompromissen mit den Palästinensern nichts halten.

Das macht aber das Zündeln aus ihren eigenen Reihen nicht akzeptabler

Kein Knesset-Abgeorndeter muss ausgerechnet jetzt auf dem Tempelberg steigen; man braucht auch kein brisantes Gesetz, um den jüdischen Charakter Israels ausdrücklich zu verankern. Dafür gibt es bereits die Unabhängigkeitserklärung. Auch der ehemalige Verteidigungsminister Moshe Arens hielt ein solches Gesetz nicht nur für unnötig, sondern für schädigend. Jeder andere Zeitpunkt wäre dafür ungünstig, fand er, aber jetzt wäre es der schlimmste Zeitpunkte von allen. Und Präsident Reuven Rivlin warf jenen vor, die den Gesetzesentwurf vorangetrieben haben, dass sie damit im Grunde den Erfolg des zionistischen Unterfangens hinterfragen würden. Israel als jüdischen und demokratischen Staat aus der Balance bringen und die palästinensischen sowie anderen nicht-jüdischen Bürger des Landes vor den Kopf stossen würden. Rivlin tut, was ein Präsident, der nicht für die grosse Politik zuständig ist, tun sollte. Er verweist in moralische Schranken. Amir Benayoun hätte in seiner Residenz ein Konzert geben sollen. Nachdem der Sänger ein rassistisches Lied fabrizierte, wurde es abgesagt. Seine klaren Worte haben viele überrascht. Gerade in Zeiten wie diesen.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Welle der Gewalt dem Scheitern von Verhandlungen folgt. Der amerikanische Aussenminister John Kerry war gewarnt worden, dass misslungene Friedensbemühungen einen hohen Preis haben könnten. Dass auch er – wie schon viele Vermittler vor ihm – die Flinte ins Korn werfen musste, ließ ein gefährliches diplomatisches Vakuum entstehen.

Bisher beschränkt sich die Gewalt auf Jerusalem, im Westjordanland ist es erstaunlich ruhig. Dort versucht Palästinenserpräsident Mahmud Abbas einen Balanceakt. Er trauert mit den Angehörigen des Attentäters, der den Tempel-Berg Aktivisten Yehuda Glick angeschossen hat und dann von der Polizei getötet wurde, hält aber zugleich an der Sicherheitskooperation mit Israel fest. Es liegt nicht in Abbas` Interesse, dass sich die Unruhen ins Westjordanland erstrecken. Vor der westlichen Welt, wo er – auch ohne ein Abkommen mit Israel – um die Anerkennung Palästinas wirbt, will und muss er Staatsfähigeit beweisen. Ausserdem fürchtet er, dass sich die Gewalt dann auch gegen die eigene Palästinenserbehörde richten könnte. Kritiker hat er genug. Und die letzten Wahlen, die ihn legitimiert haben, sind lange her. Neuwahlen nicht in Sicht.

Und Benjamin Netanyahu? 

Dass die Israelis unter seiner Ägide weitgehend in Ruhe leben konnten, hat ihm viele Jahere an der Spitze der Regierung beschert. Das ist jetzt in Frage gestellt. Seit der Entführung und späteren Ermordung der drei Jugendlichen, die am 12. Juni per Autostopp im Westjordanland unterwegs waren,  ist Jerusalem nicht mehr zur Ruhe gekommen. Es gab auch einen Krieg – mit fünfzig Tagen der längste in der  Geschichte des Landes.

Jetzt gibt es am 17. März vorgezogene Wahlen. Eine Mehrheit der Israelis hält das für unnötig. Er wird ein Votum für oder gegen Netanyahu sein, er selbst wollte das so.

Die Regierung stand schon seit Wochen auf wackligen Beinen. Aus verschiedenen Gründen. Der Vorwurf, keinen Frieden zustande gebracht zu haben, gehört nicht dazu. Ein Abzug aus dem Westjordanland käme den meisten Israelis gerade jetzt, da die gesamte Region in Gewalt versinkt und Staaten rundherum zerbrechen, eher halsbrecherisch vor.

Deshalb muss man selber kein Öl ins Feuer gießen, sondern einfach nur abwarten. Warnende Stimmen sagen, Israel müsse die Initiative ergreifen, sich mit den moderaten Regimen der Region auf der Basis des Saudischen Friedensvorschlags aus dem Jahr  2002 zusammentun. Das hätte auch den Vorteil, dass Abbas mit Unterstützung rechnen könnte, in einem Umfeld, wo man in der Vergangenheit ja stets klar gegen solche Annäherungsversuche gearbeitet hat.

Für Netanyahu käme das einer drastischen Wende gleich. Sie würde längerfristig womöglich eine Spaltung des Likuds bedingen, wie sie schon einmal Ariel Scharon vollzogen hat und eine ganz andere Koalition. Wahrscheinlich ist das nicht.

Voerst wird die Knesset aber nicht mehr über den umstrittenden Gesetzesentwurf, der den jüdischen Charakter des Staates festschreiben soll, abstimmen. Jetzt gibt es am 17. März vorgezogene Wahlen. Eine Mehrheit der Israelis hält das für unnötig. Er wird ein Votum für oder gegen Netanyahu sein, er selbst wollte das so.

© Emil Salman/Flash90

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